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Königsberg

Als ein Preuße Kindern half, über Wasser zu bleiben

Ein orange leuchtender Beitrag, um nicht zu ertrinken: Vor 60 Jahren erfand Bernhard Markwitz die weltberühmten Schwimmflügel

Konstantin Rasdorsky
29.08.2024

Die Sommerferien sind in weiten Teilen der Bundesrepublik bereits zu Ende gegangen. Für die meisten waren die letzten Wochen voll mit schönen Erinnerungen, allen voran an Sonne, Strand und Meer. Dazu gehören natürlich auch Gegenstände, die wir beinahe automatisch mit diesen Urlaubsgedanken verbinden wie beispielsweise Sonnenbrille, Sonnencreme, Badehose und Bikini, Schwimmflossen, Tauchermaske und vieles weitere mehr. Sind dann noch kleine Kinder mit im Strandspiel, dann kommt man an einem Utensil beinahe gar nicht mehr vorbei, eines, das vor 60 Jahren von einem klugen Mann aus Königsberg erfunden wurde.

Als DLRG-Rettungsschwimmer Bernhard Markwitz seine Erfindung im Sommer 1964 seinen Kollegen vorstellte, glaubten diese zunächst nicht an deren Erfolg. Doch heute, sechs Jahrzehnte später, wird seine ebenso einfache wie zugleich effektive Erfindung von annähernd allen Kindern auf der ganzen Welt genutzt, die noch nicht schwimmen können, oder die Nase noch nicht sicher genug über Wasser halten können. Es handelt sich um Schwimmflügel.

Als die Tochter fast ertrank
Markwitz wurde am 3. November 1920 in Königsberg geboren, wo seine Familie im Hotelgewerbe tätig war. Seine Jugend fiel in die Zeit des Zweiten Weltkriegs, während der er in der Wehrmacht diente. Bei Kriegsende geriet er in englische Kriegsgefangenschaft. Nach der Entlassung konnte er jedoch nicht in seine Heimat zurückkehren, die mittlerweile Teil der Sowjetunion geworden war. Markwitz blieb daher in der britischen Besatzungszone und ließ sich in Hamburg nieder. Als er Anfang der 1950er Jahre mit seiner Familie in den Stadtteil Winterhude zog, hätte er nicht gedacht, dass ein gewöhnlicher Goldfischteich in seinem Garten sein Leben nachhaltig beeinflussen würde. Denn 1956 wäre seine damals dreijährige Tochter Annette darin fast ertrunken.

„Ich erinnere mich, dass meine Lieblingsgießkanne ins Wasser fiel, und ich nicht zögerte, ihr zu folgen“, erinnerte sie sich Jahrzehnte später in einer NDR-Dokumentation. Glücklicherweise wurde das plötzliche Verschwinden des Mädchens augenblicklich vom Vater bemerkt, der sie gerade noch rechtzeitig aus dem Wasser zog.

Nach dem großen Schrecken schwor sich Markwitz, alles zu tun, um Kinder vor solchen Gefahren zu bewahren: „Aus Dankbarkeit gegenüber dem Herrn im Himmel habe ich mir geschworen, dass ich jedem Kind helfe, sich über Wasser zu halten.“ Für ihn war es ohnehin eine alltägliche Angelegenheit. Markwitz, der an der Ostsee aufgewachsen war, liebte das Meer. Er konnte von Kindesbeinen an gut schwimmen und tauchen, und mit 17 Jahren war er bereits Rettungsschwimmer, nachdem er die entsprechende Ausbildung erhalten hatte. Ab 1949 arbeitete er bei der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG), Ortsgruppe Hamburg, und leitete sogar mehrere Jahre deren Bezirksverband Alster.

„Schwimmer“ auf den Schultern
Ab 1957 begann Markwitz, Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren Schwimmunterricht zu erteilen, wobei er Methoden anwandte, die er aufgrund seiner eigenen Erfahrungen selbst entwickelt hatte. Doch der dramatische Vorfall mit seiner Tochter ging ihm nicht aus dem Kopf, und er fragte sich, aus welchen Materialien man eine wirksame Rettungsvorrichtung entwickeln könnte. Dieses Problem beschäftigte die Menschen schon seit der Antike – schon weit vor unserer Zeitrechnung benutzten beispielsweise assyrische Krieger Ledersäcke oder Blasen großer Tiere, um den Fluss zu überqueren.

Im 20. Jahrhundert beschränkte man sich auf Korkgürtel, mit denen es aber ein ernstes Problem gab. Es bestand immer die Gefahr, dass ein solcher Gurt bis auf Bauchhöhe herunterrutschte, der Oberkörper aus dem Gleichgewicht geriet und der Kopf des Kindes unter Wasser geriet. Befinden sich in der Folge die Füße über dem Kopf, wird verhindert, dass das Kind in seine ursprüngliche Position zurückkehrt und somit sinkt.

Das Leben ist eine Lotterie
Markwitz überlegte daher, wie er technisch sicherstellen konnte, dass der Kopf eines Kindes immer über Wasser bleibt. Und so kam er auf die Idee, zwei „Schwimmer“ auf dem Schulterteil der Arme zu platzieren. Zunächst experimentierte er mit Schläuchen von Kinderfahrrädern. Das Prinzip funktionierte grundsätzlich, die Tragfähigkeit von Gummischläuchen ist jedoch eindeutig unzureichend. Auf der Suche nach einem geeigneten Material stieß Markwitz eines Tages auf PVC (Polyvinylchlorid, auch Polychlorvinyl genannt). Dieser damals noch relativ neue Kunststoff passte perfekt zu seinen Zielen und Vorhaben.

Nun musste Markwitz die sekundären Probleme lösen – damit sich der Kunststoffschlauch nicht selbst verengt und die Blutzufuhr zur Schulter unterbricht, nicht an der Haut des Kindes reibt und keine Luft verliert, wenn der Ventilstopfen verrutscht.

Es schien von der Theorie her einfach zu sein, aber Markwitz hat dennoch acht Jahre lang an seinen funktionellen Armbinden gearbeitet. Ein echter preußischer Charakter, der mit Akribie und Verantwortungsbewusstsein zu Werke ging. Zu Hause hatte er seine PVC-Prototypen erfolgreich getestet, und die Massenproduktion hätte beginnen können. Aber woher sollte das Geld für sein ehrgeiziges Projekt kommen? Markwitz selbst verfügte nicht über die nötigen finanziellen Mittel. Die Sportartikelhersteller waren skeptisch, sodass der Erfinder nur Absagen erhielt: „Niemand glaubte, dass zwei Luftsäcke einen Menschen über Wasser halten könnten. Wie sich herausstellte, muss man daher manchmal einfach an das Schicksal glauben, das Glück ein Stück weit herausfordern und Lotto spielen. Die Chance auf einen Gewinn ist zwar immer äußerst gering, aber im richtigen Moment gewann Markwitz 253.000 Mark. Ein glücklicher Volltreffer genau zur rechten Zeit. Denn das Geld investierte er in seine Armluftbänder. Kurz darauf gründete Markwitz die Firma BEMA, deren Name sich aus den Anfangsbuchstaben seines Vor- und Nachnamens zusammensetzt.

Ein schwieriger Start
Am 13. Juni 1964 wurden die orangefarbenen „BEMA-Schwimmflügel“ in einem Schwimmbad im Hamburger Stadtteil Ohlsdorf erstmals offiziell der Öffentlichkeit vorgestellt, wobei die Markwitz-Kinder Annette und Rainer als Testpersonen fungierten. Im Oktober meldete Markwitz seine Erfindung beim Patentamt an und erhielt daraufhin die entsprechende Patenturkunde.

Der Verkauf begann noch im selben Jahr. Der Preis der Neuheit war durchaus erschwinglich: Auf der internationalen Bootsmesse in Hamburg im Januar 1965 wurden die neonorangefarbenen Rettungsschwimmer-Armbänder für 7,85 Mark pro Set verkauft. Doch der Handel lief schleppend. Das Publikum traute dem neuen Produkt zunächst nicht und bezeichnete es spöttisch als „aufblasbare Würstchen“. Auch in den Hamburger Schwimmbädern durften Markwitz' Schwimmflügel, die für viele damals noch wie aufblasbare Gummitiere aussahen, zunächst nicht eingesetzt werden.

1970 sagte Markwitz einem Korrespondenten vom „Hamburger Abendblatt“: „Jede Woche erhalte ich etwa 60 Anfragen, warum unser Produkt in Hamburger Schwimmbädern eigentlich verboten ist. Es wird bereits überall auf der Welt eingesetzt, von Frankreich bis zu den Fidschi-Inseln, aber aus irgendeinem Grund wird es hier nicht verwendet.“ Die Redaktion veröffentlichte Leserbriefe, in denen Leser berichteten, dass das Schwimmbadpersonal ihnen nicht erlaubte, ihre eigenen, von der DLRG ausdrücklich empfohlenen Schwimmhilfen zu benutzen. Das Personal berief sich auf angeblich hygienische Bedenken.

Ein weltweiter Triumph
Trotz aller Schwierigkeiten setzte Markwitz alles daran, seine Erfindung mit der Beharrlichkeit eines echten Preußen zu vermarkten. Er hatte seine Erfindung immer dabei und ließ keine Gelegenheit aus, sie vorzuführen. Beim Familienurlaub im Schwimmbad oder am Strand ließ er sie alle testen. Jeder konnte sehen, dass die Schwimmflügel sogar Erwachsene über Wasser halten können.

Mit der Zeit trug die Beharrlichkeit des Erfinders erste Früchte. Die Hamburger Armbänder traten zunehmend ihren Siegeszug um die Welt an. Bis Mitte der 1990er Jahre wurden rund 150 Millionen Exemplare verkauft. Der Erfolg zeigte sich auch darin, dass Markwitz bereits mit Plagiaten zu kämpfen hatte, vor allem auf dem US-Markt. Doch die Originale waren den Kopien immer einen Schritt voraus. Denn Markwitz verbesserte sein Produkt permanent und entwickelte darüber hinaus neue Hilfsmittel zum Schwimmenlernen, wofür er 1982 das Bundesverdienstkreuz erhielt.

Die DLRG-Experten betonen immer wieder, wie wichtig es ist, schwimmen zu lernen, da keine Schwimmhilfe absolute Sicherheit garantieren kann. Die Markwitzschen Schwimmflügel würden zwar sehr gut helfen, sich über Wasser zu halten, sind aber kein Ersatz für das Schwimmenlernen. Und heutzutage sind sie beim Schwimmunterricht eher unnötig, da sie die Bewegung der Arme einschränken. Daher werden heute im Unterricht eher Hilfsmittel wie Schwimmnudeln (aus Ethylenvinylacetat) verwendet.

Doch das Engagement des Entwicklers und die Hilfe durch die Schwimmflügel, die maßgeblich zur Sicherheit der Kinder im Wasser beigetragen haben, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Gegenüber dem NDR sagte Markwitz 1996, er fühle sich weniger als Erfinder und Unternehmer, wie er oft genannt werde, sondern vielmehr als Beschützer und Retter der Kinder.

Retter aus Königsberg
Dabei ist Markwitz nicht der einzige gebürtige Ostpreuße, der sich aktiv in der DLRG engagiert hat. Rainer Szimke war einer der Gründer der Ortsgruppe des Deutschen Rettungsdienstes in Stadensen (Niedersachsen). Im Jahr 2013 zeichnete die DLRG Ahrensburg (Schleswig-Holstein) ihr ältestes Mitglied Hannelore Smidt mit der Ehrennadel in Gold aus. Die in Königsberg geborene Ex-Rektorin der Reesenbüttler Grundschule ist seit 70 Jahren Mitglied der Organisation.

Markwitz' Leben endete am 10. Februar 2000, als er nach einer Herzoperation starb. Noch im selben Jahr wurde die BEMA von der Hamburger Firma Wehncke Freizeit gekauft, wobei Markwitz' Frau Gisela noch einige Zeit Geschäftsführerin blieb. Seit 2016 besitzt der Bremer Spielwarenhändler Happy People die Rechte an der Marke BEMA.


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