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Sagenwelt

Als „Likedeeler“ ein Volksheld

Die Vorgeschichte der Erfolgsgeschichte der Störtebeker-Festspiele in Ralswiek auf Rügen

Torsten Seegert
07.09.2024

Jedes Land hat Legenden – auch Pommern! Einer seiner populärsten Helden, die sich, trotz täglichem Tod bei den diesjährigen Festspielen in Ralswiek auf Rügen durch Unsterblichkeit auszeichnen, ist Klaus Störtebeker. Seine Präsenz resultiert aus der überlieferten Legende, die Teil des Rügener Sagenschatzes ist und vom Volkskundler Alfred Haas gehoben und aufgeschrieben wurde, durch Volkstümlichkeit, dem auch ein ausgezeichnetes Bier mit dem Namen „Störtebeker“ Vorschub leistet, sowie durch Festspiele, die in ihrer Anpassungsfähigkeit an den Zeitgeist über Jahrzehnte Störtebeker in Generationen und einem Millionen-Publikum verankert haben.

Das klingt zunächst etwas übertrieben, aber den wenigsten dürfte bekannt sein, dass auch die seit 1993 existierenden Störtebeker-Festspiele eine lange Tradition und Vorgeschichte haben. Denn bereits 1958 trug sich die SED mit dem Gedanken, Rügenfestspiele ins Leben zu rufen, die als ein nationales Volksschauspiel beziehungsweise eine Volksoper ins­zeniert werden sollten. Störtebeker, der sich bereits weit vor dieser Zeit in den überlieferten Sagen vom Seeräuber zum Volkshelden gewandelt hatte, sollte nun bei den vorgesehenen Festspielen zur idealen Projektionsfläche eines Vorkämpfers des Volkes werden.

Vorkämpfer für das Volk
Nachdem bei einem Treffen in Putbus die Entscheidung für Ralswiek als Aufführungsort am Großen Jasmunder Bodden gefallen war, weil die landschaftliche Einbettung der zu schaffenden Naturbühne überzeugte, begannen die Vorbereitungen, die sich über Monate hinstreckten. Beteiligt waren daran neben kleinen Handwerksbetrieben Rügens die DEFA und die Deutsche Werbe- und Anzeigengesellschaft (DEWAG).

Auch die künstlerischen Vorbereitungen des Balladenstoffes bedurften eines gewaltigen Vorlaufs. Von Anfang an fußten diese auf das Zusammenwirken zwischen Laien- und Berufskünstlern – und so ist es bis heute. Doch im Unterschied zur Gegenwart wurde damals ein weitaus höherer Aufwand betrieben. Ein Beispiel: Die Mitwirkenden, etwa 1000 sollen es gewesen sein, setzten sich aus Chören, Tanz- und Reitergruppen sowie Kleindarstellern der Insel und hier stationierten Soldaten zusammen.

Inhaltlich gibt es zu heute weitere Unterschiede, denn damals wurde an einem Abend das ganze Leben von Klaus Störtebeker in der Festspiel-Ballade erzählt. Alles begann im Jahr 1391 im Dorf Ruschvitz auf Rügen, dem Heimatort Störtebekers. Hier kam es zum ersten Konflikt zwischen den Herrschenden und dem Helden. Ein nicht gehaltenes Wort lässt ihn dabei mit seiner Liebsten Trebele fliehen. Nach einer weiteren Enttäuschung über den Verrat der „Mächtigen und Großen“ wird er zum „Likedeeler“ (Gleichteiler) – ein Feind der Reichen, ein Freund der Armen. Sein spektakuläres Ende findet Störtebeker schließlich, nach etwa drei Stunden Spielzeit, im Jahr 1401 auf dem allseits bekannten Hamburger Grasbrook.

Obgleich die Ballade, die von Kurt Barthel (Künstlername: KuBa) nach der von Haas aufgeschriebenen Sage entstand, von Günter Kochan musikalisch umrahmt und von Hanns Amselm Perten inszeniert wurde, eine begeisterte Aufnahme beim Publikum fand, endeten die Rügenfestspiele bereits nach dem zweiten Jahr.

Versorgung war das Problem
Nun gingen 20 Jahre ins Land, bis es zur Fortsetzung der Festspiele kam. Angepasst an die neuen Möglichkeiten, ausgestattet mit neuem Logo, übernahm das Volkstheater Rostock weite Teile der künstlerischen Umsetzung der Ballade von KuBa und das sogar neben dem laufenden Spielplan des Theaters. Die Naturbühne wurde komplett neu ausgestattet mit Kulissen, Schiffen, Masken und Kostümen. Nach Lothar Krompholz (1959–1960) wurde Störtebeker jetzt von Manfred Gorr (1980–1981) verkörpert.

Aber: Wieder endeten die Festspiele nach nur zwei Jahren. Die Gründe waren vielfältig, neben materiellen – es war die Zeit der Ölkrise – gab es logistische Probleme, denn die Versorgung der Festspielbesucher durch die Bäckereien und Fleischereien der Insel konnte bei dem parallel laufenden Großprojekt des Fährhafens Mukran nicht mehr gewährleistet werden.

Auch nach 1990 gab es mehrere Initiativen zur Fortführung. Einer der wenigen, der zu den alten Festspielen noch Auskunft geben konnte, war der Bühnenbildner Falk von Wangelin. Auch Peter Hick, Intendant, Schauspieler und Stuntweltmeister kannte sich mit Festspielen bestens aus. Der gebürtige Sudetendeutsche, der in Thüringen aufwuchs, kam aus Bad Segeberg nach Rügen. Gemeinsam und mit neuen Mitstreitern etablierte er die Festspiele mit neuem Konzept auf einer der schönsten Naturbühnen Europas.

Wieder fest etabliert seit 1993
Alles begann wieder am 3. Juli 1993 mit dem Titel der ersten Episode: „Wie einer Pirat wird“, bei der Störtebeker durch Norbert Braun (1993–2001) verkörpert wurde. Ihm folgten Sascha Gluth (2002–2012), Bastian Semm (2013–2017), Alexander Koll (2018–2020) und Moritz Stephan (seit 2022). Jeweils 150 Mitwirkende zu Fuß, Pferd, Schiff und in der Luft ließen in 30 Jahren mehr als 8,9 Millionen Menschen nach Rügen pilgern und somit den Mythos Störtebeker weiterleben.

Obwohl die ersten Festspiele keinen Bestand hatten, gibt es sehr wohl einen interessanten Rückblick auf die damaligen Aufführungen. 1980 wurden die Rügenfestspiele der dreiteiligen Ballade von KuBa vom DDR-Fernsehen aufgezeichnet, 2017 wieder entdeckt und vom Studio Hamburg auf DVD veröffentlicht. Am 22. Oktober desselben Jahres erfolgte die erste öffentliche Wiederaufführung des Filmstreifens vor 130 Gästen im Sassnitzer Rügen-Hotel, mit Manfred Gorr, dem Störtebeker von 1980 und 1981, als Gast. Die DVD ist nach wie vor erhältlich.

Im kommenden Jahr folgt ein neues Abenteuer. Vom 28. Juni bis 13. September 2025 wird Störtebeker mit seinen Verbündeten, getreu seinem Leitspruch „Gottes Freund und aller Welt Feind“ den Pfeffersäcken das Fürchten lehren. Erneut ein ganz besonderes Erlebnis auf der Naturbühne in Ralswiek am Jasmunder Bodden.


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Kommentare

Peter Faethe am 11.09.24, 11:23 Uhr

Störtebekker als Nachfolger des "Früh-Sozialisten" Robin Hood zu installieren, war eine DDR-Legende - er war ein schlichter Seeräuber.

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