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Frieden von Versailles

Als Oberschlesien geteilt wurde

Nach West- und Ostpreußen fand vor 100 Jahren auch in Schlesien eine Volksabstimmung statt

Erik Lommatzsch
18.03.2021

In einem aus Oberschlesien und einem Teil Niederschlesiens bestehenden Abstimmungsgebiet war die Bevölkerung vor 100 Jahren aufgefordert zu bekunden, ob ihre Heimat weiterhin zum Deutschen Reich oder künftig zur Republik Polen gehören solle. Dies ergab sich aus den Festlegungen des Versailler Friedens nach dem Ersten Weltkrieg. Derartige Volksbefragungen waren zuvor bereits im westpreußischen Abstimmungsgebiet Marienwerder und im ostpreußischen Abstimmungsgebiet Allenstein erfolgt.

Bei einer Beteiligung von 97,2 Prozent der Abstimmungsberechtigten votierte am 20. März 1921 in Schlesien eine klare Mehrheit von 59,6 Prozent für einen Verbleib beim Reich. Lediglich 40,4 Prozent waren für einen Anschluss an Polen.
Das Abstimmungsgebiet blieb indes trotzdem nicht vollständig beim Reich, sondern wurde geteilt. Dabei erhielt Polen die flächenmäßig zwar kleineren, wirtschaftlich jedoch wesentlich bedeutenderen östlichen und südöstlichen Bereiche der Provinz Oberschlesien.

Französische Parteinahme für Polen

Zum Schaden der Deutschen spielten die Franzosen in Oberschlesien eine ungleich größere Rolle als in den west- und ostpreußischen Abstimmungsgebieten. Ab Anfang 1920, mit Inkrafttreten der Versailler Bestimmungen, war Oberschlesien besetzt worden, hautsächlich von französischen Truppen, zu geringeren Teilen kam britisches und italienisches Militär hinzu. Im Februar dieses Jahres nahm die „Interalliierte Regierungs- und Plebiszitkommission für Oberschlesien“ die Arbeit auf. Der Sitz war Oppeln, an der Spitze stand der französische General Henri Le Rond.

Bereits im August 1919 und im August 1920 war es dort zu Aufständen gekommen, die das Ziel verfolgten, die Provinz an Polen anzuschließen. Im Vorfeld der anstehenden Volksabstimmung wurde sowohl von deutscher als auch von polnischer Seite intensiv um Stimmen gekämpft. Dazu wurden erhebliche finanzielle Mittel aus den jeweiligen Staaten aufgebracht.

Das polnische Plebiszitkommissariat führte Wojciech Korfanty, einst Mitglied des Deutschen Reichstages, der nun für die polnische Sache und mithin den Anschluss Oberschlesiens an Polen eintrat. Er gilt auch als Organisator der Aufstände. Korfanty verfügte über 1000 Mitarbeiter. Sowohl mit Agitation als auch mit Terrormaßnahmen sollte die Bevölkerung im polnischen Sinne beeinflusst werden. Unter anderem wurde mit einer Bodenreform bei einem polnischen Abstimmungssieg geworben.

Als deutscher Kommissar wirkte der Verwaltungsjurist Kurt Urbanek. Er wurde dabei maßgeblich unterstützt vom Zentrumspolitiker Hans Lukaschek, dem späteren ersten Vertriebenenminister der Bundesrepublik. Im Gegensatz zur polnischen Seite wurde auf der deutschen weniger mit sozialpolitischen Maßnahmen gelockt und mehr an das Nationalgefühl appelliert. Der Literaturnobelpreisträger Gerhart Hauptmann engagierte sich vehement im Abstimmungskampf, etwa mit seinem Appell „Für ein deutsches Oberschlesien“. Von nahezu allen Seiten räumte man im Reich dem Verbleib Oberschlesiens im deutschen Staatsgebiet einen äußerst hohen Stellenwert ein.

Nach der für Deutschland ausgefallenen Abstimmung, bei der sich auch viele Oberschlesier polnischer Muttersprache und wohl fast der gesamte jüdische Bevölkerungsteil zugunsten Deutschlands entschieden hatten, begann Anfang Mai 1921 abermals ein polnischer Aufstand. Während die französischen Besatzungstruppen dies begünstigten, duldeten die Briten die Organisation des deutschen Selbstschutzes. Freikorps erstürmten am 21. Mai 1921 erfolgreich den Annaberg. Damit schien auch militärisch die Entscheidung zugunsten der deutschen Seite gefallen. Ausschlaggebend für die künftige Zugehörigkeit Oberschlesiens war indes Anderes.

In Berlin stand Reichskanzler Joseph Wirth unter Druck. Am 10. Mai 1921 hatte der Zentrumspolitiker das Amt übernommen. Er sah sich gezwungen, um Akzeptanz in der Bevölkerung für den von den Alliierten ausgearbeiteten sogenannten Londoner Zahlungsplan zu werben, der die Reparationen neu regelte. Die Kriegssieger drohten ultimativ für den Fall einer Zurückweisung des Plans mit der Besetzung des Ruhrgebietes. Um dem zu erwartenden Vorwurf aus der eigenen Bevölkerung, man betreibe Erfüllungspolitik, etwas entgegenzusetzen, hatte die Regierung Wirth sich mit dem Londoner Zahlungsplan nur unter der Bedingung einverstanden erklärt, dass das ganze Oberschlesien gemäß dem deutschen Abstimmungssieg beim Reich verbleibe.

Sturm auf den Annaberg

Die Versailler Regelung sah vor, dass man Oberschlesien auch teilen könne, gemäß der Verteilung der Stimmen in den jeweiligen Gebieten. Nun gab es in den östlichen und südöstlichen Bereichen tatsächlich polnische Mehrheiten. Da die Alliierten untereinander keine Einigung finden konnten, wurde die Aufgabe dem 1920 geschaffenen Völkerbund überantwortet. Dieser wiederum betraute einen Unterausschuss mit der Angelegenheit. Dort befassten sich Vertreter Chinas, Brasiliens, Spaniens und Belgiens mit der Frage der Teilung Oberschlesiens. Eine sich an den jeweiligen Mehrheitsverhältnissen orientierende Grenzlinie wurde vorgeschlagen. Am 20. Oktober gaben die Alliierten die Annahme der Völkerbundsempfehlung bekannt. Bei der Teilung wurden bedeutende Industriestädte wie Kattowitz und Königshütte, die für sich genommen für das Reich gestimmt hatten, zu Polen geschlagen. 90 Prozent der oberschlesischen Kohle sowie sämtliche Zink-, Blei- und Silberhütten wurden auf diese Weise polnisch, eine Fläche von über 3000 Quadratkilometern mit etwa einer Million Einwohnern.

Der Verlust der Gebiete lastete schwer auf Reichskanzler Wirth, der zum 22. Oktober zurücktrat – jedoch wenig später sein eigener Nachfolger wurde. Bereits vier Tage nach seinem Rücktritt bildete er eine neue Regierung. Ein anderer Kanzler, andere Mehrheiten waren nicht zu finden. Der Historiker Hagen Schulze urteilte: „Es war ausgegangen wie immer: man hatte große Worte ausgesprochen und war zu schwach gewesen, sie in die Tat umzusetzen. Die demokratischen Kräfte in Deutschland hatten eine weitere Demütigung erlitten, sie hatten in den Augen der Republikgegner einmal mehr ihre nationale Unzuverlässigkeit bewiesen.“

• Das Oberschlesische Landesmuseum, Bahnhofstraße 62, 40883 Ratingen (Hösel), Telefon (02102) 9650, E-Mail: info@oslm.de, zeigt bis zum Jahresende die Sonderausstellung „Polen oder Deutschland? Oberschlesien am Scheideweg. Zum 100. Jahrestag der Volksabstimmung in Oberschlesien“. Die (digitale) Eröffnung findet diesen Sonnabend statt.


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Kommentare

Chris Benthe am 18.03.21, 15:00 Uhr

Danke für diese wundervolle Geschichts-Lektion gegen das Vergessen !

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