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Deutsche Teilung

Als sich der Ring um West-Berlin schloss

Mit dem Mauerbau wurde 1961 die deutsche Teilung in Beton gegossen. Widerstand der Westalliierten hatte die DDR nicht zu befürchten. Denn im Grunde kam ihnen der Schritt Ost-Berlins durchaus zurecht

Klaus Schroeder
12.08.2023

Der Mauerbau 1961 ist wie die Volkserhebung im Juni 1953 nicht nur Jugendlichen kaum oder überhaupt nicht bekannt, auch viele Erwachsene haben hier Wissenslücken. Dieses Defizit zu beheben, soll der nachfolgende Text beitragen.

Entsprechend der marxistisch-leninistischen Ideologie war die kommunistische SED davon überzeugt, dass die „kapitalistische Bundesrepublik“ nach dem Muster der Weimarer Republik in wirtschaftliche und soziale Krisen geraten und der kleinere deutsche Teilstaat an Anziehungskraft gewinnen würde. Diese Erwartung gipfelte 1958 auf dem V. Parteitag der Staatspartei in dem Anspruch, den materiellen Lebensstandard der Bundesrepublik in wenigen Jahren zu überbieten. Gleichzeitig startete die SED eine erneute deutschlandpolitische Initiative und forderte eindringlich die „Normalisierung“ des Verhältnisses von West-Berlin zur DDR sowie die Einstellung der angeblich in West-Berlin stattfindenden „Wühltätigkeit gegen die DDR“, die ansonsten die Zufahrtswege kontrollieren würde.
In einer auf Anregung Moskaus verfassten Note an die Siegermächte vom September 1958 wiederholte die DDR ihren Vorschlag, Beratungen über einen „Friedensvertrag“ mit Deutschland aufzunehmen und schlug der Bundesrepublik vor, eine entsprechende Kommission beider deutscher Staaten zu bilden. Allerdings – so die Bedingung der SED – müsse eine mögliche Verbindung von Bundesrepublik und DDR die Übertragung der Staats- und Gesellschaftsordnung des einen Staates auf den anderen ausschließen. Die SED-Herrschaft sollte sakrosankt bleiben und nicht gefährdet werden.

Frei oder vogelfrei?
Kurze Zeit später forderte der sowjetische Parteichef Nikita Chruschtschow ultimativ den Abzug der alliierten Truppen aus Berlin, den Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland und die Umwandlung West-Berlins in eine „freie und entmilitarisierte Stadt“. Sollten die Westmächte hierauf nicht eingehen, drohte er mit einem separaten Friedensvertrag mit der DDR.

Während der Berliner Regierende Bürgermeister Willy Brandt die von sowjetischer Seite angebotene „freie Stadt“ eine „vogelfreie Stadt“ nannte, schwankte die US-Außenpolitik zwischen Härte und Konzessionsbereitschaft. Die Briten zeigten sich sehr kompromissbereit. Beide Westmächte wollten wegen Berlin keinen Krieg riskieren, sondern hatten durchaus Interesse an einem weiterhin geteilten und damit geschwächten Deutschland.
Der im November 1960 neu gewählte US-Präsident John F. Kennedy präzisierte die amerikanische Position zu Berlin im Kontext eines globalen Status quo im Kalten Krieg. Im Mai 1961 übernahm die NATO seine drei Essentials, die nur noch die Freiheit des Westteils von Berlin garantierten. Neben der deutschen wurde jetzt auch die Berliner Teilung als gegeben hingenommen. Kennedy signalisierte dem sowjetischen Parteichef Chruschtschow im Sommer 1961 mehrfach, dass die USA sowjetische Entscheidungen in deren Interessenssphären respektieren würde.
Steigende Flüchtlingszahlen

Die SED-Führung drängte unterdessen auf eine Lösung des Berlin-Problems in ihrem Sinne, nicht zuletzt aufgrund der sich 1960 verschärfenden innenpolitischen Krise. Tempo und Ausmaß der mit allen Mitteln erzwungenen Kollektivierung auf dem Land und partiell im Handwerk hatten zu einem Wiederanschwellen der Fluchtbewegung sowie zu Versorgungsengpässen und allgemeinen wirtschaftlichen Schwierigkeiten geführt. In zwei alarmierenden Briefen an Chruschtschow verwies der erste Mann der SED, Walter Ulbricht, insbesondere auf den in Berlin ausgetragenen „Wettbewerb zwischen den beiden Systemen“. Er behauptete, die offenen Grenzen zwängen die DDR, den Lebensstandard schneller zu erhöhen, als es volkswirtschaftlich geboten sei. Freilich verschwieg er, dass die DDR-Wirtschaft noch immer unter den hohen Kosten für die Machtsicherung sowie für die Apparate von Parteien und Massenorganisationen und die Subventionierung der Lebenshaltung litt. Der Anteil dieser „unproduktiven Ausgaben“ lag 1959/60 zwischen 25 und 30 Prozent der Staatsausgaben.
1960/61 stiegen die Flüchtlingszahlen durch die letzte verbliebene offene Grenze in Berlin wieder stark an. Von Januar 1961 bis zum Beginn des Mauerbaus flohen knapp 160.000 Personen aus der DDR – allein im Juli 1961 kamen knapp 31.000 Flüchtlinge nach West-Berlin –, im Jahr zuvor waren es insgesamt etwa 200.000. Angesichts dessen war das Überleben des SED-Staates ernsthaft gefährdet.

Die Operation „Rose“
Am 15. Juni 1961 antwortete Walter Ulbricht auf die Frage einer Journalistin zu möglichen Maßnahmen in Berlin: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Diese Äußerung, vor dem 13. August in der westdeutschen Presse kaum zur Kenntnis genommen, wurde erst nach der Schließung der Sektorengrenzen und dem Mauerbau Gegenstand von Spekulationen. Was hatte Ulbricht bezweckt? Wollte er die Sowjetunion drängen, endlich die Erlaubnis zum Mauerbau zu geben? Oder wollte er Fluchtwillige animieren, das Land zu verlassen, um hierdurch die Sowjetunion unter Druck setzen zu können?

Fakt ist: Nachdem informelle Kanäle der Westmächte signalisiert hatten, es werde bei einer vollständigen Abriegelung der DDR gegenüber dem Westen nicht zu einer militärischen Konfrontation zwischen den Blöcken kommen, gab Chrusch-tschow Ulbricht im Juli 1961 sein Einverständnis, die Grenzen in Berlin vollständig zu schließen. Auf einer Politbüro-Sitzung am 7. August verkündete Ulbricht den führenden Genossen, die Schließung der Grenze stehe unmittelbar bevor. Die Vorbereitung für den Mauerbau traf die SED in einem kleinen Kreis um den ZK-Sekretär für Sicherheitsfragen, Erich Honecker. Am 12. August erläuterte Ulbricht führenden Staats- und Blockparteifunktionären, die Operation „Rose“, wie das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) die Aktion nannte, werde in einigen Stunden beginnen. Widerspruch gab es nicht.

Kurz nach Mitternacht am 13. August 1961 verlegten Grenz- und Volkspolizisten gemeinsam mit Mitgliedern der sogenannten Kampfgruppen der Arbeiterklasse, gedeckt von Einheiten der Nationalen Volksarmee (NVA), Stacheldraht und sicherten die Grenzanlagen an der innerstädtischen Sektorengrenze. Sowjetische Truppen standen dahinter bereit, um mögliche Eskalationen im Keim zu ersticken. Erst einige Tage später begann der eigentliche Bau der Mauer. Der von der DDR errichtete Ring um West-Berlin hatte schließlich eine Gesamtlänge von
155 Kilometern, davon 43,1 Kilometer zwischen den beiden Teilen der Stadt. Der zwischen 15 und mehr als 150 Meter breite Todesstreifen bestand neben den Mauersegmenten aus Kfz-Sperren, Kolonnenwegen, Beobachtungstürmen, Grenzsignalzäunen und Hinterlandmauern. Im innerstädtischen Bereich ließ die SED, anders als bei der innerdeutschen Grenze, weder Erdminen verlegen noch Selbstschussanlagen montieren.
Wut, Verbitterung und Verzweiflung

Wie von der Sowjetunion einkalkuliert, reagierten die Westmächte zurückhaltend. Insgeheim versprachen sie sich wohl von der Zementierung der deutschen Teilung mehr Stabilität in Europa und die westdeutsche Anerkennung des nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Status quo.
Weite Bevölkerungskreise im SED-Staat reagierten hingegen auf den Mauerbau mit Wut, Verbitterung oder Verzweiflung. Der ihr gemeldeten Unruhe in der Bevölkerung begegnete die Parteiführung rasch und heftig. Sicherheitskräfte und Justiz sollten hart durchgreifen, und es wurde zum „sozialistischen Faustrecht“ aufgerufen. Mit sogenannten Provokateuren sollte nicht diskutiert werden, sondern diese erst verdroschen und dann den staatlichen Organen übergeben werden.

Die Mehrheit der Bevölkerung reagierte auf die „Einbetonierung“ angesichts solcher Repressionen nicht mit lautstarken Protesten, sondern nahm sie eher mit stiller Verbitterung oder Resignation hin. Zustimmung fand der Bau des „antifaschistischen Schutzwalls“, wie die SED die Mauer nannte, jedoch bei vielen Literaten und Kulturschaffenden, die sich eine grundlegende Reform des Sozialismus erhofften, da dieser sich nun freier entfalten könne.

In West-Berlin gab es dagegen lautstarke Proteste. Der Regierende Bürgermeister Willy Brandt appellierte in einer Rede vor dem Rathaus Schöneberg an die Grenzpolizisten, sich nicht zu Lumpen machen zu lassen und auf eigene Landsleute zu schießen. Er wertete das Verhalten der SED-Führung als Eingeständnis des Versagens: „Eine Clique, die sich Regierung nennt, muss versuchen, ihre Bevölkerung einzusperren. Die Betonpfeiler, der Stacheldraht, die Todesstreifen, die Wachtürme und die Maschinenpistolen, das sind die Kennzeichen eines Konzentrationslagers.“
Mehrere Tage nach der Grenzschließung war Ida Siekmann, die aus einem Fenster in der Bernauer Straße in die Freiheit springen wollte, das erste Todesopfer der Mauer. Zwei Tage später – am 24. August 1961 – erschossen DDR-Grenzer im Humboldthafen hinterrücks den 24-jahrigen Gunter Litfin bei seinem Versuch, schwimmend West-Berlin zu erreichen.

Der Schießbefehl
Am 22. August 1961 ging das SED-Politbüro von der ersten zur zweiten Etappe der „Grenzsicherung“ sowie zur Propagierung des Schusswaffengebrauchs an der Berliner Mauer über. Am 20. September 1961 wurde der Schusswaffengebrauch in einer Lagebesprechung des vom Politbüro eingesetzten und von Erich Honecker geleiteten „zentralen Stabes“ präzisiert. Angesichts der von Militärs und Polizei geschilderten „Grenzdurchbrüche“ konstatierte der ZK-Sekretär für Sicherheit: „Gegen Verräter und Grenzverletzer ist die Schusswaffe anzuwenden. Es sind solche Maßnahmen zu treffen, dass Verbrecher in der 100-m-Sperrzone gestellt werden können. Beobachtungs- und Schussfeld ist in der Sperrzone zu schaffen.“

Mit Befehl Nr. 76/61 vom 6. Oktober 1961 wurde der Schusswaffengebrauch für das „Kommando Grenze“ der Nationalen Volksarmee auch formal bestätigt. Die in dem Befehl genannten Einschränkungen wurden durch die Bestimmungen in der Anlage 1 aufgeweicht, in der es unter Punkt 2 und 3 wörtlich hieß: „Die Waffe darf insoweit gebraucht werden, wie es für die zu erreichenden Zwecke erforderlich ist. Die Angehörigen der Nationalen Volksarmee sind jederzeit zum Waffengebrauch berechtigt, wenn sie in Ausübung ihres Dienstes zum Schutze der Deutschen Demokratischen Republik eingesetzt sind.“

Damit wurde die Verantwortung für tödliche Schüsse von der politischen Ebene auf die Angehörigen der Grenztruppen verlagert. Aufgrund der vorgenommenen Belobigungen von Grenzsoldaten, die von ihrer Schusswaffe tödlichen Gebrauch gemacht hatten, mussten diese freilich annehmen, die Partei- und Staatsführung erwarte diese letzte Konsequenz von ihnen.

Menschenverachtendes Pathos
Der Propagandachef der SED, Albert Norden, ansonsten mit Hetzpropaganda gegen den Westen beschäftigt, legitimierte den Schusswaffengebrauch im September 1963 mit geradezu menschenverachtendem Pathos: „Ihr haut alle diejenigen auf die Finger, die ihre Schweineschnauze in unseren sozialistischen Garten reinstecken wollen. [...] Ihr schießt also nicht auf Bruder und Schwester, wenn Ihr den Grenzverletzer zum Halten bringt. [...] Mit Verrätern muss man ernst sprechen. Verrätern gegenüber menschliche Gnade zu üben, heißt unmenschlich am ganzen Volk zu handeln.“

Gleichwohl gelang tausenden Menschen mit zum Teil spektakulären Aktionen die Flucht nach West-Berlin. Unter ihnen waren ganze Familien, aber auch Grenzposten. Zu den ersten Fluchthelfern gehörten Studenten der Freien Universität Berlin, die spontan die Fluchthilfeorganisation „Unternehmen Reisebüro“ gründeten. Mit ihrer Hilfe konnten in den ersten sieben Monaten nach dem Bau der Mauer 5000 Menschen von Ost nach West fliehen. Als einige Jahre später die Kommerzialisierung der Fluchthilfe begann, stellten die Studenten ihre Aktivitäten ein.
Die „zweite Teilung“ Deutschlands durch den Bau der Mauer war Folge des verzweifelten Überlebenskampfes der Machthaber. Sie war ein Eingeständnis der eigenen Schwäche und resultierte keineswegs aus einer Zuspitzung des Ost-West-Konflikts. Im Gegenteil: Mit dem Mauerbau forcierte die SED-Führung ihrerseits den Kalten Krieg in Deutschland.

Von den Westmächten hatte sie vorerst nichts zu befürchten. US-Präsident Kennedy betonte in einem Brief vom 18. August 1961 an Willy Brandt unmissverständlich: „So ernst die Sache auch ist, so stehen uns jedoch [...] keine Schritte zur Verfügung, die eine wesentliche materielle Änderung in der augenblicklichen Situation erzwingen können [...]. (Es) handelt [...] sich offensichtlich um eine grundlegende sowjetische Entscheidung, die nur ein Krieg rückgängig machen könnte. Weder Sie noch wir, noch irgendeiner unserer Verbündeten haben je angenommen, dass wir wegen dieses Streitpunktes einen Krieg beginnen sollten.“

Prof. Dr. Klaus Schroeder lehrt Politikwissenschaft an der Freien Universität
Berlin und ist wissenschaftlicher Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat.
www.fu-berlin.de


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