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Gesellschaft

Angriff auf die Bürgergesellschaft

Der Journalist Alexander Wendt warnt vor dem Einfluss einer linken Moralelite, welche die Sinnproduktion im Land kontrollieren will

Ansgar Lange
25.05.2024

Wirft man einen Blick auf die Politik der Bundesregierung, in die Presse, in die Universitäten, auf Verlautbarungen der Kirchen, auf den Kulturbetrieb und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dann könnte man den Eindruck gewinnen: Das ganze Land ist woke. Der Duden definiert dieses Unwort wie folgt: „In hohem Maße politisch wach und engagiert gegen (insbesondere rassistische, sexistische, soziale) Diskriminierung“.

Führt man Gespräche an der Fleischtheke, auf dem Fußballplatz oder in der Betriebskantine, dann denkt man, man lebe in einem anderen Land als die Erweckten. Woran liegt das? Und warum könnte man den Eindruck gewinnen, ganz Deutschland sei woke? Es liegt daran, wie Alexander Wendt in seinem Buch „Verachtung nach unten“ ausführt, dass eine sogenannte Moralelite in einer Form der Priesterherrschaft die Sinnproduktion im Land kon-trollieren will. Diese Personengruppe will in ihrem Moraldünkel den Bürgern, die auch mal ein Steak vom Grill essen, die mit dem Diesel jeden Morgen zur Arbeit fahren, die reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, und die wegen ihres Berufs und ihres Einsatzes für Freunde und Familie gar keine Zeit für die Sinnproduktion haben, vorschreiben, was sie zu denken und zu reden haben.

Wendt zufolge ist das Neue an dieser Pseudo-Linken, dass sie im Gegensatz zu früheren linken Bewegungen andere Bürger, die vermeintlich sozial unter ihnen stehen – also zum Beispiel Arbeiter und normale Angestellte – verachtet. Diese Verachtung nach unten war nie progressiv – und sollte auch heutzutage nicht dafür gehalten werden. Doch sind diese Woken, die die Bürgergesellschaft „durch eine neue, von Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht und Religion definierte Gesellschaft der Stämme“ ersetzen wollen, ungefährlich? Mitnichten, denn sie bedrohen, „was den Westen wertvoll macht“, nämlich die „Idee des Bürgers, die Rationalität, das Prinzip von Rede und Gegenrede, die offene Entwicklung“.

Der Autor, der nach langen Jahren als „Focus“-Redakteur inzwischen beim liberal-konservativen Magazin „Tichys Einblick“ unter Vertrag steht, macht Mut, diese Entwicklung nicht hinzunehmen. Denn die Moralelite gleicht dem Scheinriesen Herr Tur Tur aus Michael Endes „Jim Knopf“: Je näher man ihr kommt, umso mehr schrumpft sie. Die Bürgergesellschaft verfügt durch Produktion und Dienstleistung über das eigentliche Kapital im Land. Doch bisher unterwerfen sich Politik und Wirtschaft viel zu oft denen, die über die „richtigen“ Begriffe zu verfügen scheinen.

Alexander Wendt: „Verachtung nach unten. Wie eine Moralelite die Bürgergesellschaft bedroht – und wie wir sie verteidigen können“, Lau-Verlag, Reinbek 2024, gebunden, 372 Seiten, 26 Euro


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