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Deutsche Gemütslagen

Anmaßende Angsthasen

„German Angst“ und „German Assertiveness“: Die Deutschen schwanken zwischen zittriger Verzagtheit und einem scheinmoralischen Gratismut. Eine realistische Sicht der Welt bleibt da auf der Strecke

Wolfgang Kaufmann
29.03.2022

Der Tod ist ein ständiger Begleiter des Menschen – erst recht im Krieg, wie uns die schrecklichen Bilder aus der Ukraine jetzt täglich ins Bewusstsein hämmern.Doch auch im Frieden bleibt uns der Tod stets auf den Fersen. Diesen Umstand zu ignorieren zeugt von kindlich-magischem Denken statt von geistiger Reife. Gleichzeitig gehört es jedoch zum üblichen Tun und Lassen eines Erwachsenen, Risiken zu vermeiden und offensichtlichen Gefahren aus dem Wege zu gehen. Vor allem, wenn diese das Leben kosten können. Dabei liegt die Schwierigkeit darin, Bedrohungen realistisch einzuschätzen und nicht schon bei der allergeringsten Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines möglicherweise kritischen Ereignisses in Panik zu verfallen.

Aber genau daran hapert es hierzulande – und das beileibe nicht erst seit Beginn der Corona-Pandemie. Zahlreiche Deutsche fürchten sich vor einer Unzahl realer oder vielfach auch eingebildeter Gefahren. Zu den Letzteren zählen die herbeihalluzinierten Umtriebe von angeblich allgegenwärtigen Phantomfeinden. Für diese Gemütshaltung prägte das Ausland den Begriff „German Angst“: Wir seien ein Volk von verzagten oder hysterischen Bedenkenträgern, die kaum noch irgendetwas wagten.

Totalitarismus der Gefahrenabwehr

Die Ursachen für die überbordende Angst sind vielschichtig: Zum Ersten geht es den meisten Deutschen immer noch derart gut, dass sie einiges zu verlieren haben. Zum Zweiten paart sich naiver Machbarkeitsglaube mit einer Nullrisiko-Mentalität. Zum Dritten leiden viele Leute hierzulande unter dem Mitläufersyndrom, das ebenfalls mit Risikoscheu einhergeht. Zum Vierten ist die Kunst der angemessenen rationalen Bewertung von Risiken in Vergessenheit geraten. Häufig resultiert dies aus der sogenannten Restproblem-Intoleranz: Je stärker eine Gefahr bereits eingedämmt werden konnte, umso größer gerät die Angst vor dem übrig bleibenden Quäntchen Risiko. Und zum Fünften schafft es ein wachsender Teil der Bevölkerung einfach nicht mehr, die zum Leben zwangsläufig dazugehörenden Unwägbarkeiten als etwas völlig Normales hinzunehmen – obwohl der Blick auf die zahlreichen Menschen rund um den Globus, welche in echter Lebensgefahr schweben, das Bild eigentlich zurechtrücken müsste. Daraus resultieren dysfunktionale rituelle Bußübungen zur Abwendung der befürchteten Übel beziehungsweise zur Angstvermeidung.

Aus all dem erwächst ein Faible für jenen Totalitarismus der Gefahrenabwehr, der sich schon seit Jahrzehnten auf dem Vormarsch befindet und dann während der Corona-Pandemie einen triumphalen Sieg nach dem anderen feierte. Kernstück dieses Totalitarismus ist die staatliche Fürsorge, welche jegliche Rückbesinnung auf die individuelle Eigenverantwortung erschwert und deutlich häufiger unterwürfige Dankbarkeit statt Widerstand auslöst.

Aus Angst vor Ungemach und dem damit meist zusammenhängenden Kontrollverlust wird die Kontrolle im vorauseilenden Gehorsam an den Staat übergeben, ohne die Frage zu stellen, wie angemessene Vorsichtsmaßnahmen aussehen könnten und sollten. Deshalb war der derzeitige Gesundheitsminister Karl Lauterbach wohl tatsächlich der beliebteste Politiker hierzulande, bis der Ukraine-Krieg die Aufmerksamkeit der Deutschen von der Pandemie-Bekämpfung ablenkte. Seine Umfragewerte stellten keineswegs nur das Produkt von grotesken Manipulationen seitens der Meinungsforscher dar – auch wenn viele Regierungskritiker genau dies glauben. Nein, Leute wie Lauterbach sind beliebt, weil sie die personifizierte Staatsfürsorge darstellen und den Ängstlichen suggerieren, für deren Sicherheit sorgen zu können.

„Kinder an die Macht!“

Parallel hierzu zeigen Lauterbach und Co. eine Attitüde, welche für das Gegenteil der German Angst steht und German Assertiveness genannt wird. Assertiveness lässt sich am ehesten mit „Überheblichkeit“ oder „Anmaßung“ übersetzen. Im Ausland lächelt man zwar vielfach über das hypervorsichtige Verhalten der Deutschen, registriert aber gleichzeitig stirnrunzelnd, dass dieses zu keiner kleinlauten Zurückhaltung führt, sondern zu heftigen Ausfällen gegen all jene, welche nicht genauso denken wie die Ängstlichen hierzulande und im Umgang mit Gefahren und Risiken deutlich mehr Souveränität zeigen.

Zu dieser German Assertiveness kommt noch der ebenfalls typisch deutsche Gratismut hinzu. Also die Vorspiegelung von Courage, die überhaupt nicht erforderlich ist, weil das vermeintlich „mutige“ Handeln beim genaueren Hinsehen mit keinerlei Risiken einhergeht. Wie beim Kampf gegen „Nazis“, von denen die allermeisten längst im Orkus der Geschichte verschwunden sind. Derzeit zeigt sich das „Heldentum“ der Gratismutigen ganz besonders im Schikanieren von Bürgern Russlands. Natürlich nur, sofern diese ein leichtes Opfer darstellen. Dabei fehlt den Betreffenden jedwedes Gespür für die alberne Erbärmlichkeit ihres Handelns.

Aber was will man von Mitgliedern einer Gesellschaft erwarten, welche immer mehr ins Infantile abrutscht? Herbert Grönemeyers herausgeknödelte Utopie von 1986 „Kinder an die Macht!“ ist mittlerweile oft genug schon Realität geworden. Wer dies nicht glauben will, der sollte einmal genauer darauf achten, wie manche Politiker agieren und argumentieren. Oder das „Unterhaltungsprogramm“ im deutschen Staats- oder Privatfernsehen um Viertel nach Acht anschauen. Oder mitverfolgen, wie die Ethikratsvorsitzende Alena Buyx in ihrem charakteristischen Kleinmädchen-Duktus für die Corona-Impfung, genannt „Der Piks“, wirbt.

Die kindische German Angst und die ebenso infantil daherkommende German Assertiveness samt dem dann noch draufgesattelten Gratismut gehen also Hand in Hand und heben sich keineswegs gegeneinander auf. Dadurch gerät Deutschland wieder einmal in eine Sonderrolle, obwohl doch jahrein jahraus getönt wurde, man habe, was das großspurige Beharren auf Überlegenheit und Einzigartigkeit betreffe, aus der Geschichte gelernt.

Aber wenn ein Karl Lauterbach sich aufspielt, als sei er im Gegensatz zur Mehrzahl der ausländischen Experten im Besitze des Steins der Weisen zur Bannung der Corona-Gefahr, dann tut er im Grunde genau das Gleiche wie Kaiser Wilhelm II. im August 1907. Damals zitierte der Monarch den Dichter Emanuel Geibel auf späterhin vehement geschmähte Weise mit der Sentenz: „Und es mag am deutschen Wesen einmal noch die Welt genesen.“


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Kommentare

sitra achra am 31.03.22, 18:03 Uhr

@Gregor Scharf
Die handelnden Subjekte waren wohl eher die Kader der SED als die im Hintergrund verharrenden "Suffjets".
Und was die an gesellschaftlichem Zerstörungspotential aufgewiesen haben, ist an Millionen psychisch und seelisch geschädigter ehemaliger Sklaven des Sozialismus abzulesen mit ihren gescheiterten, erbarmungslos existenzvernichteten Biographien. Diese Fakten wollen wir doch bitte nicht beiseite wischen und unter den Teppich kehren, obwohl ich verstehen kann, dass manche Ossis aus Selbstschutz vor der Wirklichkeit davonlaufen.

Gregor Scharf am 29.03.22, 14:35 Uhr

Die Verallgemeinerung kann ich so nicht stehen lassen, setze mir diesen Hut auch nicht auf. So wie mir ergeht es Millionen anderen Mitbürgern, ausgegrenzt, ins Abseits gestellt, verwaltet, bevormundet und nicht regiert sondern manipuliert, sabotiert und in der persönlichen Freiheit eingeschränkt und ausgeraubt. Ja und was die Ängstlichen anbelangt, kann man nur applaudieren und sich darüber freuen, wie sehr die Reeducation der Alliierten doch Wirkung gezeigt hat. Nur bei uns, den widerspenstigen Sachsen, den russifizierten Mitteldeutschen will das nicht so recht klappen. So was aber auch . . . Was haben die Sowjets bei uns nur richtig bzw. besser gemacht?

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