18.04.2024

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Medizingeschichte

Arthur Lutze – Wunderheiler und Arzt

Ein Wellness-Pionier mit Patienten aus aller Welt – und einem Versandhandel

Martin Stolzenau
17.03.2020

Arthur Lutze wuchs in Stettin auf, begann seine berufliche Laufbahn als Postbeamter in Nordhausen und begeisterte sich dann für Samuel Hahnemanns Homöopathie. Mit Folgen. Er entwickelte sich im Sog seines Vorbildes in Köthen zum Wunderheiler, zum Vorbild-Vegetarier, der seiner Zeit weit voraus war, und zum Wellness-Pionier. Mehr noch: Lutze trotzte der Kritik der konventionellen Medizin sowie seiner homöopathischen Kollegen, errichtete in der Residenzstadt der Askanier die damals größte homöopathische Klinik der Welt und behandelte Patienten aus allen fünf Erdteilen. Dazu betrieb er nebenbei zusätzlich den weltweiten Versand eigener Medikamente. Damit und mit der Gratisbehandlung von vielen mittellosen Patienten erlangte der Hahnemann-Nachfolger auch über seinen Tod vor 150 Jahren hinaus Weltgeltung. Sein pompöser Klinikbau im Stil der Neorenaissance, der erhalten blieb und kürzlich saniert wurde, war bis 1914 als Heilstätte in Betrieb.

Arthur Lutze wurde am 1. Juni 1813 in Berlin geboren. Sein Vater fungierte als hannoverscher Konsul Unter den Linden. Doch seine Kindheit und Jugend verbrachte der spätere Wunderheiler in Pommern. Er wuchs auf dem Familiengut Arthursberg bei Stettin auf, das nach ihm benannt wurde, besuchte das Stettiner Gymnasium und erhielt dabei eine vielgestaltige Bildung. Dazu prägte ihn die Küstenlandschaft Pommerns. Schon in seiner pommerschen Jugendzeit widmete sich Lutze recht ungewöhnlich einer gesunden Lebensweise. Nach dem gymnasialen Schulabschluss sorgte der frühe Tod seiner Eltern für eine Zäsur. Der junge Mann kam in materielle Schwierigkeiten, verzichtete auf ein Studium und trat in den Postdienst ein, der ihn nach Nordhausen in Nordthüringen brachte.

Fast 13 Jahre wirkte Lutze nacheinander in Nordhausen und Langensalza als Postschreiber und dann als Postsekretär. Doktor Philipp Rath, ein einheimischer Arzt, verwies ihn auf die Anfänge der Homöopathie und auf Samuel Hahnemann. Der Postbeamte las dessen Schriften, fühlte sich in seinen eigenen Anschauungen vielfach bestätigt und begann als Autodidakt intensive Studien zur Homöopathie. Mehr noch. Er behandelte nebenberuflich Freunde sowie Bekannte auf der Grundlage der Homöopathie. Die dabei erreichten Erfolge trugen ihm den Ruf eines Wunderheilers ein und brachten ihn zunächst in Nordhausen und dann in Langensalza auf Kollisionskurs mit den Behörden.

Ablehnung durch die Schulmedizin

Die Postvorgesetzten lehnten seine Nebentätigkeit ab. Die Schulmedizin bezeichnete ihn als Kurpfuscher und protestierte vor allem gegen die kostenlose Behandlung armer Patienten. Das brachte Lutze in Bedrängnis. Er quittierte deshalb 1843 in Langensalza den Postdienst, verfasste sein bekanntes „Manifest“, ein Bekenntnis zur Homöopathie, und wechselte zunächst als Heilpraktiker nach Potsdam, wo er an einem Zivilwaisenhaus als Lehrer wirkte. Dabei blieb es nicht. Er behandelte in schneller Folge Tausende von Kranken, sammelte praktische Heilerfahrungen in großem Umfang und ergänzte die Vorgaben seines Vorbildes Hahnemann durch seine eigenen Erkenntnisse erheblich. Doch auch hier protestierte die zugelassene Ärzteschaft. Mit Erfolg. Die Behörden verboten ihm mit Hinweis auf seine „fehlende medizinische Approbation“ 1845 jede weitere Heiltätigkeit. Da kam Hilfe aus Köthen. Der Herzog von Anhalt-Köthen, der zuvor schon Samuel Hahnemann gefördert hatte, bot nun auch Lutze ein bleibendes Asyl und die Möglichkeit zur Heiltätigkeit. Das war die Rettung und bildete den Anfang für eine steile Karriere als Heilpraktiker.

Wie schon zu Hahnemanns Zeiten gedieh Köthen dank Lutze erneut zum Wallfahrtsort für Kranke, die von der Schulmedizin nicht geheilt wurden und deshalb keine Alternative sahen. Um sich vor weiteren Angriffen der Schulmedizin zu schützen, promovierte er 1848 nach eingehenden Studien der akademischen Medizin bis hin zur erfolgreichen Operation des Grauen Stars zudem an der Universität in Jena als „Doktor der Medizin und Chirurgie“.

„Prophet“ für eine neue Heilkunde

Fortan behandelte Lutze als Dr. med. und hatte noch größeren Zulauf. Mit seinem großen „Rauschebart“ wirkte er wie ein „Prophet“ für eine neue Heilkunde. Sein Angebotsspektrum reichte von geradezu modern wirkenden diätischen Heilpraktiken über seine populäre Broschüre „Lebensregeln der neuen, naturgemäßen Heilkunde“, die binnen kurzem 64 Auflagen erlebte, und dem „Gesundheits-Kaffee“, der bis ins 20. Jahrhundert Verbreitung fand, bis zur eigenen Produktion von Medikamenten. Seine Medikamente und Broschüren verschickte er weltweit. Daraus entstand ein Versandhaus moderner Prägung.

Als Krönung gilt der Bau seiner Klinik im Stil der Neorenaissance, die 1855 eingeweiht wurde. Die Klinik, die er über den Verkauf der spektakulären „Lutze-Taler“ finanzierte, die bis heute als begehrte Sammler-Objekte gelten, hatte mehrere große Krankensäle, über 70 Zimmer für vermögende Privatpatienten, verfügte über Heilbäder und glänzte zusätzlich mit Park, Bibliothek sowie eigener Kunstgalerie. Hier behandelte Lutze in der Folge im großen Stil eine reiche Klientel. Arme Patienten blieben aber auch weiterhin kostenfrei. Lutze und seine Klinik-Mitarbeiter behandelten allein 1864 ca. 26 690 Kranke. Im selben Jahr wurden zusätzlich 162 000 Anfragen und Bestellungen aus der ganzen Welt erledigt. Die stetig wachsenden Einnahmen verwendete er für neue Heil-Projekte, den Ausbau einer eigenen Ausbildungsanstalt für Heilpraktiker und für andere wohltätige Zwecke. Über diesen Erfolg starb der Aufsteiger, der auch zahlreiche Fachbücher veröffentlicht hatte, am 11. April 1870 in Köthen, das ihm bis heute ein ehrendes Andenken bewahrt.

Dieses reicht von einer Dauerausstellung zum Thema Homöopathie mit Lutze über das Denkmal im Köthener Schlosspark bis zur jüngsten Restaurierung der einstigen Lutze-Klinik und ihre Umnutzung in ein modernes Seniorenstift. Das gemeinsame Denkmal für die Heilpraktiker Hahnemann und Lutze im Köthener Schlosspark gegenüber dem früheren Klinikbau wurde 1897 von Heinrich Pohlmann geschaffen, einem maßgeblichen Vertreter der Berliner Bildhauerschule.

Info Im Jahr 2010 wurde die ehemalige Lutze­klinik an die Kanzler von Pfau'sche Stiftung veräußert, die das Gebäude als „Lutze­stift“ für ihre Zwecke umgebaut hat.
www.koethen-anhalt.de


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