Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Kirchen und Türme der alten pommerschen Grenzfeste Gartz erzählen ihre spannende Geschichte
Gartz liegt 30 Kilometer südlich von Stettin, leider ist sie etwas aus dem Blickpunkt geraten. Einst stolze pommersche Stadt der Hanse, hat sie nach 1945 die Folgen der territorialen Zerrissenheit Pommerns schmerzlich zu spüren bekommen. Die DDR teilte Vorpommern gleich drei Mal: Ein Teil kam zum Bezirk Rostock, einer zum Bezirk Neubrandenburg und der südlichste Zipfel mit Gartz zum Bezirk Frankfurt/Oder. Und heute?
Während Teile Mecklenburgs bei Ribnitz dem Großkreis Vorpommern-Rügen zugeschlagen wurden, Teile der Uckermark an Vorpommern-Greifswald gingen, ist Gartz nun Teil Brandenburgs. Das Durcheinander Pommerns ist also perfekt organisiert! Doch zurück zu Gartz: Die Stadt an der Oder richtet heute wieder den Blick zum einstigen Kraftzentrum Stettin. Das ist seit der EU-Osterweiterung 2004 folgerichtig.
Symbolträchtig sind dafür zwei Schilder an der alten Heilig-Geist-Kapelle. Ein weißes mit der Aufschrift „Friedensstraße“ ist durchgestrichen worden und darüber ein weiteres mit der Aufschrift „Stettiner Straße“ gesetzt worden. Zweifellos, hier ist etwas passiert – aber Aufschwung geht so noch nicht. Und Abwanderung hat den Altersdurchschnitt nach oben katapultiert. Damit steht Gartz in Pommern allerdings nicht allein.
Vor 900 Jahren muss Gartz eine wichtige Bedeutung gehabt haben. Immerhin hat Pommerns Apostel, der Bischof Otto von Bamberg, 1124 extra eine Bekehrungsreise von Stettin nach Gartz unternommen. Und aus einer alten Urkunde von 1236 ist ein Kastellan namentlich erwähnt. Kurz darauf gründete der pommersche Herzog Barnim I. zudem die deutsche Stadt „Gardiz“. Sie muss sich prächtig entwickelt haben und war umkämpft.
Doch warum? Gartz beherrschte den Handel auf der Oder, es erhob Zölle auf gehandelte Waren, welche auf dem Wasser oder Land transportiert wurden. Auch wenn von der alten Macht und Herrlichkeit kaum etwas geblieben zu sein scheint, so kann es doch auf einige Bauten mit Unverwechselbarkeit stolz sein, die sich aus jener Zeit erhalten haben: Die Stephanskirche, die erwähnte Heilig-Geist-Kapelle oder die Tor- und Mauertürme.
Markant und ungewöhnlich für die gotische Architektur ist beispielsweise das Stettiner Tor. Getragen von einem mächtigen Unterbau wird es von einer Blendfassade mit vielen Mauerbögen bekrönt. Umschreitet man von hier, wo sich das Ackerbürgermuseum befindet, Gartz in Richtung Westen, entdeckt man schon nach ein paar hundert Metern einen weiteren schönen Backsteinbau: Den Storchenturm.
Auch er ist Teil der mit alten schweren Backsteinen zur Verteidigung erbauten Stadtmauer der alten pommerschen Grenzfeste Gartz. Sein Unterbau ist quadratisch angelegt worden, verjüngt sich jedoch zu einem achteckigen Turm mit Zinnenkranz und massiver Spitze. Warum er Storchenturm heißt? Nun, wenn man Überlieferungen glauben mag, so soll hier einst ein Storchenpaar auf der Spitze genistet haben.
Otto von Bamberg war hier
Wer damals auf der Oder in Richtung Stettin fuhr, konnte noch einen weiteren markanten Turm ausmachen – die „Blaue Hut“. Einen viereckigen mit Blenden verzierten Unterbau bekrönte ein hoch aufschießender achteckiger Turm, der mit einem Kalkabputz gebändert wurde und acht spitze Giebel sowie ein spitzes Dach besaß. Seit seiner Zerstörung 1945, die nur noch ein Fragment übrig ließ, wartet er auf seinen Wiederaufbau.
Historisch hatte die „Blaue Hut“ eine wichtige Funktion, denn: Ein Wächter überblickte von hier nicht nur die Oder, sondern auch einen Damm, der einst durch die Wiesen verlief, und letztlich zu einer Holzbrücke führte, die das westliche mit dem östlichen Oderufer verband. Wenn sich dieser wichtigen Zuwegung jemand näherte, gab der Wächter ein Signal, denn früher erhielt nicht jeder Zutritt zur Stadt, egal was er im Schilde führte.
Manchmal hätten die Gartzer aber vielleicht doch genauer hinschauen sollen, wer da Einlass begehrte: 1468 zum Beispiel. Während des Stettiner Erbfolgestreits hatten Gartzer Bürger dem Kurfürsten von Brandenburg gleich freiwillig die Tore geöffnet und die alte pommersche Grenzfeste ausgeliefert. Das brachte ihnen dann auch den Spott anderer pommerscher Städte ein, die die Gartzer „Eulen“ und „Verräter“ scholten.
Doch ein Bartholomäus Brusehawer, der sich nun für den von den Brandenburgern auferlegten Zwang, Hafer zu liefern, rächen wollte und Einlass zur Stadt begehrte, um seine Schuld zu tilgen – hatte statt Hafer bewaffnete Mitstreiter dabei. Sie schlugen die Besatzung der Tore und stürzten sie in die Oder. Unterstützt vom pommerschen Herzog Wartislaw X. und den Städten Stettin und Stargard war Gartz wieder befreit worden.
Vielleicht sollte man Gnade walten und die alten Geschichten ruhen lassen. Längst ist es Zeit, nach vorn zu schauen – trotz der Verwaltungszuordnung zu Brandenburg, der bis 2004 erfolgten Abschneidung von der Metropole Stettin und der bis heute schmerzenden Zerstörung von Baudenkmälern wie die „Blaue Hut“ und der Stephanskirche im letzten Weltkrieg. Die Kirche war Ende April 1945 bis auf die Umfassungsmauern völlig ausgebrannt.
Zwar wurde der Chor 1952 wieder eingedeckt, und im Rahmen des DDR-Kirchenbauprogramms „Kirchen für neue Städte“ (1982–1987) erfolgte die Sicherung und der Wiederaufbau von Turm und Querhaus – aber die Wiederherstellung des Langhauses steht noch aus und ist notwendig, um den Gartzern ihren alten Stolz wiederzugeben. Gleiches gilt für die „Blaue Hut“. Unterstützung müssen Land und Bund geben.
Direktverbindung schaffen
Die Gartzer selbst sind dabei, ihre Position in einer sich veränderten Welt einzunehmen. Dazu gehören manchmal auch kleine Schritte, wie das Ansiedeln eines Storchenpaares. Aber natürlich benötigt Gartz auch wieder eine direkte Verbindung auf dem Wasser mit Greifenhagen und Stettin, sowie dem benachbarten Schwedt, dazu eine auf der Schiene in Richtung Tantow, die sogenannte Salvey-Bahn. Kurz: Hilfe zur Selbsthilfe!
Und deshalb möchte man die Landes- und Bundespolitiker auffordern, die historische Stadt Gartz aufzuwerten. Als Grenzfeste war die Stadt einst ein wichtiger Teil Pommerns und gehört landeskundlich zu Vorpommern. Und an die Leser gerichtet lautet die Botschaft: „Auf nach Gartz!“