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Im Thüringer Wald wird gläserner Baumschmuck noch von Hand hergestellt. Eine weihnachtliche Reise durchs Land der Glasbläser
Es sind geübte Handgriffe, wie sie schon die Väter und Urgroßväter kannten. Erst wird die Flamme entzündet, dann der Glasrohling, ähnlich einem Stiel, über das Feuer gehalten und an den Mund gesetzt. Dann wird bei beständigem Drehen in den hohlen Stiel geblasen, bis eine Kugel entsteht. Ist der Glasbläser ein wahrer Könner, ploppt auch ein Schwan auf, vielleicht sogar ein weißer Hirsch. Willkommen im Thüringer Wald, dem Wunderland der Glasbläserkunst.
Die Region zwischen Lauscha und Sonneberg liegt im Schiefergebirge, wo es Anfang Dezember schon schneien kann und selbst der April noch frostig ist. Zu kalt für den Anbau von Apfel- oder auch Walnussbäumen, und über Jahrhunderte auch viel zu arm, um zu Weihnachten Schokolade oder Marzipan unter den Baum zu legen. Bis einer der Glasbläser auf die Idee kam, eine Kugel aus Glas zu blasen und rot zu bemalen. Schon hingen gläserne Äpfelchen, Nüsse und Zapfen im Baum, endlich kam Glanz und Wärme in die Stuben. Wer heute durch die engen Straßen von Lauscha geht, vorbei an den grauen, schiefergedeckten Häusern, der sieht immer noch manch offene Flamme hinter den Wohnzimmerfenstern zucken und sieht die Glasbläser bei ihrem Handwerk. Daneben sitzen ihre Frauen, welche die fertigen Kugeln bemalen.
Ein Halt am Weihnachtsbahnhof Sitzendorf in Unterweißbach: Ein riesiger Weihnachtsmann thront breitbeinig auf dem Giebel und lacht den Besuchern schon von Weitem entgegen. Drinnen leuchtet ein ganzjährig geöffnetes Weihnachtswunderland. Dessen Geschäftsführer Steffen Flessa hat schnell noch seine Weste mit den gestickten Rentieren übergeworfen und führt durch sein Reich. Es geht vorbei an Kisten voller gläserner Engel und Weihnachtsmänner, Herzen und Kugeln.
An einer Ecke findet sich ungewöhnlich martialischer Schmuck: Ein Zeppelin aus Glas, ein Panzer sowie ein Kreuz. Im Ersten Weltkrieg, erläutert er, wurden die Bäume gern mit solch patriotischen Anhängseln geschmückt. Kleine grüne Gurken drängeln sich in einem anderen Korb. Gläserne Gurken am Weihnachtsbaum? Sie erzählt von einer Geschichte, die hier erfunden wurde: Wer zuerst die Gurke zwischen den Zweigen entdeckt, erhält ein Extra-Geschenk.
Ein Geschenk für Königin Victoria
Die Kunst der Glasbläserei prägt bis heute das Land Thüringen. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Weihnachtsschmuck entwickelt, heute gibt es ihn in vielfacher kreativer Ausformung. In ihrem Malstübchen in Lauscha pinselt Katrin Albrecht freihändig Muster auf Kugeln und Teelichthalter. Corona und der lange Lockdown hätten ihrem kleinen Unternehmen fast den Lebensnerv entzogen, nun sitzt sie wieder an der Werkbank und hat sogar etwas Neues erfunden: Wandleuchten aus Glas, individuell mit nostalgischen Schlittenfahrten bemalt.
Wenige Meter daneben liegt die Werkstatt von Magdolna Hähnlein, die sich auf viktorianischen Schmuck spezialisiert hat. Glanzbilder werden auf die Rohlinge geklebt, manche ihrer gläsernen Miniaturen hängen an spinnenzart gewundenen Drähten, die hier aus Silber sind und nicht aus Plastik wie im Baumarkt. Es wird erzählt, dass Albert, der deutsche Ehemann der britischen Königin Victoria, seiner Gattin Christbaumschmuck aus Thüringen schenkte – die soll dahingeschmolzen sein wie eine Marzipankugel am Feuer.
Von den kleinen Manufakturen geht es weiter zur Elias-Glashütte, wo derzeit im Akkord Adventskränze aus grünem Glas gegossen werden. Mitten in der Werkshalle steht ein Ofen wie ein Höllenschlund, der sich alle paar Sekunden fauchend öffnet. Die Arbeiter schieben lange Schuber hinein, um das flüssige Glas zu entnehmen und in die Form zu gießen. An Hänsel und Gretel und das grausame Ende der Hexe denkt der Besucher unwillkürlich und tritt vor dem 1300 Grad heißen Glutofen einen großen Schritt zurück.
Ganz ohne Feuer, nur mit Papiermaché und nach traditionellen Vorbildern arbeitet Evelyn Forkel in ihrer Firma Marolin in Steinach. Ihre Werkstatt ist berühmt für handbemalte Krippenfiguren mit erstaunlich lebendigem Ausdruck. 1972 wurde der Betrieb enteignet, nach der „Wende“ kaufte die Familie ihn zurück. Das Dokument über die zwangsweise Abtretung an den sozialistischen Staat kramt Forkel in ihrem Hausmuseum hervor.
Weihnachtsgurken für die USA
Vergangen, vorbei, die Produktion läuft. Weiße Kugeln mit traditionellem Prägemuster werden gerade braun bestäubt, dann mit einem weichen Tuch abgerieben, schon wirkt der in den Rillen verbliebene Staub wie echte Patina. Herden von Kamelen stapfen durch die Regale, gefolgt von Elefantentrupps, daneben die biblischen Maria und Josef.
Im Verkaufsraum werden Päckchen und Pakete in eine geräumige Tasche verstaut. Eine alte Dame blickt glückselig auf die Schätze, die ihr Sohn jetzt zum Auto trägt. Zweimal im Jahr kommt die passionierte Sammlerin zum Großeinkauf.
Längst hat sich die Kunde von der Thüringer Weihnachtskunst auch bis nach Übersee herumgesprochen. In einem unscheinbaren Haus sitzt Dietbert Bätz hinter seiner Flamme, im Malatelier nebenan seine Frau Yvonne. Beide haben sich von den traditionellen Vorbildern entfernt, blasen freie Formen, alle sehr bunt, speziell für den Export in die USA. „Die Amerikaner sind weihnachtsverrückt, meine Kunden haben manchmal fünf Weihnachtsbäume, die sie schmücken“, erzählt Bätz. Bei einem länger zurückliegenden Besuch in den USA wurde er auf die seltsame Sitte der Deutschen mit der Weihnachtsgurke angesprochen, von der er bis dato noch gar nichts gehört hatte. Aber was der Kunde wünscht, wird gemacht. Und ist die Idee nicht charmant?
Genauso liebenswert wie die gläsernen Vögelchen, die im Haus von Glasbläser Helmut Bartholmes in Neuhaus in künstlichen Zweigen hängen. Alle naturgetreu aus Glas geblasen: Dompfaff und Sperber, Spatz und Eisvogel, Buchfink, Zaunkönig, Fasan. 420 winzige Pfauen schafft er am Tag, rund 50 in der Stunde. Die mit der echten Schwanzfeder wünschen die Kunden, und niemand wird ihnen auf die Nase binden, dass die wirklich echten einen Schwanz aus Glas haben. Der Kunde zahlt, der Kunde ist König.
Alles soll doch weiterleben, die hellen Flammen hinter den Fenstern, das Blinken der Kugeln, das Fauchen des Glutofens und auch die Erinnerung an die Frauen der Glasbläser aus Lauscha, die früher mit ihren hohen Stiegenkörben rund 15 Kilometer durch den düsteren Wald stapften, um die Ware beim Großhändler in Sonneberg abzuliefern. Wer mag, kann den Pfad heute noch nachgehen, startend in Sonneberg. Ohne sperrigen Korb auf den Schultern, aber vielleicht mit einer Auswahl an gläsernen Schätzen im Rucksack.