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Auf der Suche zwischen Pappschachteln und „Essenzen“

Die Deutsche Minderheit in Oppeln erhält Archiv und Arbeitsräume – Zeitgeschichtliche Dokumente werden systematisiert

Chris W. Wagner
27.02.2023

Die Entstehung, Zulassung und Gründung der Deutschen Minderheit in der Republik Polen seit der Soldarnosc-Zeit ist mittlerweile Forschungsgegenstand der Geschichte. Den Verein Forschungszentrum der Deutschen Minderheit gibt es seit 2016, doch erst 2021 erhielt diese einst in bilateral deutsch-polnischer Übereinkunft gegründete Institution Archiv- und Arbeitsräume im Gebäude der Caritas-Eichendorff-Bibliothek in Oppeln [Opole].

30 Jahre nach Unterzeichnung des Vertrags über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen können endlich die etwa 60.000 Seiten gesammelter Dokumente archiviert und in Publikationen bearbeitet werden. „Wir befassen uns mit der deutschen Geschichte, auch der Vereine, die hier vor über 30 Jahren gegründet wurden. Wir sprechen mit einfachen Menschen, Deutschen, die uns ihre Lebensgeschichten anvertrauen“, erklärt Ewa Czeczor, Leiterin der Forschungsabteilung.

Sie führt die Autorin durchs Haus. In ihrem engen Büro fällt ein Plakat auf. Es hängt gegenüber ihrem Schreibtisch. Darauf steht: „Akte X – Die unheimlichen Fälle“. In dem Plakat der US-Mystery-Serie hat sie die Hauptdarstellerin durch ihr eigenes Konterfei ersetzt. „Es muntert mich jedes Mal auf, wenn wir besondere Fälle bearbeiten“, lacht sie. Nach einem kurzen „Hallo“ beim Chef des Forschungszentrums, Michael Matheja, steigen beide ins Archiv des Forschungszentrums ab. Es sieht genau so aus, wie man sich Archive vorstellt, nur eben altersbedingt noch nicht verstaubt. Ein enger Korridor zwischen Stahlschränken mit Drehkurbeln führt zu einem großen weißen Tisch, auf denen Fotos, handgeschriebene Chroniken und Pappschachteln mit Dokumenten liegen. Czeczor streift sich weiße Baumwollhandschuhe über, wenn sie die Unterlagen unter die Lupe nimmt. Ihre Aufgabe ist es, diese zu systematisieren.

Sie kommt aus einem kleinen Ort am Fuße des St. Annabergs [Góra św. Anny]und gehört zur deutschen Volksgruppe. Seit vielen Jahren engagiert sich die perfekt Deutschsprachige für die Deutschen in ihrem Heimatort. Die Mutter zweier Kinder half beim Aufbau der deutsch-polnischen Grundschule, die von einem Verein aus den Reihen der Deutschen Minderheit im 14 Kilometer entfernten Cosel-Rogau [Koźle-Rogi] getragen wird. Dennoch kutschierte sie Sohn und Tochter täglich ins 25 Kilometer entfernte Raschau [Raszowa] zur deutschen Montessori-Grundschule des Vereins Pro Liberis Silesiae, weil ihre Kinder sich dort besser entwickeln konnten.

Das Archiv des Forschungszentrums leitet sie erst seit einem Jahr. Davor führte sie Gespräche mit Zeitzeugen für das Zentrum. Etwa 400 Interviews wurden seit 2016 geführt und verschriftlicht. „Dadurch, dass es sich nun herumgesprochen hat, dass wir eine Institution der Deutschen Minderheit sind, genießen wir das Vertrauen der Menschen an der Basis. Dokumente von sich auflösenden Organisationen werden an uns übergeben“, sagt sie. Aber es liegt auch an Czeczors Wesen, dass die Menschen sich öffnen und ihre Geschichten erzählen und Dokumente aus der Hand geben. Sie kann mit Menschen umgehen, zeigt wahres Interesse, stellt die richtigen Fragen und sie hat oft ähnliche Erfahrungen. „Ich bin halt eine von uns“, sagt sie.

Neben Deutsch spricht sie auch den auf dem oberschlesischen Land vorherrschenden slawischen Dialekt, das sogenannte Wasserpolnisch. „Dies ist oft ein Türöffner“, sagt sie. Es sei fast schade, dass sie jetzt im Archiv arbeitet und nicht mehr so oft mit Zeitzeugen sprechen kann. Aber es sei gar nicht langweilig, versichert sie. Neulich erhielt sie den Nachlass eines der Gründerväter der deutschen Organisation in Gleiwitz [Gliwice], Dr. Friedrich Schikora (1929–2021). „Darin steckt die ganze Essenz, sein Leben ist die Geschichte der Deutschen in Polen heute. Ich muss sie nur ordnen“, so Czeczor. „Wir haben mit dem Sammeln von Zeitschriften und Bulletins der deutschen Minderheit begonnen. Nun sind für das Institut Privatdokumente aus den 80er-Jahren, also von vor der Gründung der deutschen Verbände, von besonderer Bedeutung“, so die Archivleiterin. Diese werden nun digitalisiert.

Derzeit wird im Institut (www.fzentrum.pl) am biographischen Wörterbuch der Deutschen Minderheit gearbeitet.


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