07.11.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Bronzene Serviererin: „Teelke mit der Tasse Tee“ verkörpert in Leer die typische ostfriesische Teekultur
Foto: Ostfriesland.travelBronzene Serviererin: „Teelke mit der Tasse Tee“ verkörpert in Leer die typische ostfriesische Teekultur

Heißgetränke

Auf eine Tasse Friesen-Tee

Nu ist Teetied – Die Ostfriesen mögen’s heiß, vor allem wenn es draußen kälter wird. Im Schnitt trinken sie mehr Tee als die Briten

Manfred Lädtke
20.10.2024

Gut, niemand würde nur für ein Glas Wein an die Mosel fahren. Auch nicht wegen einer Tasse Tee nach Ostfriesland. Aber wenn man schon mal da ist ...

Tee, Kaffee? Ein Bier oder ein Wein? Für Heidrun Dirks stellt sich die Frage „Tee oder wat?“ erst gar nicht. Die Forderung der französischen Revolution ,lieber Tee' (liberté) hat uns sofort überzeugt“, kalauert die Ostfriesin. Es ist 16 Uhr und damit „Teetied“, wie die Teezeit hier auf Ostfriesisch heißt. In einer Teestube im Hafen des Binnenstädtchens Leer gießt sich die blonde Frau aus einer Porzellankanne das Nationalgetränk der Küstenbewohner in eine filigrane Tasse auf den süßen „Kluntje“ (Kandiszucker).

Wenn Dirks vom Land in die Stadt kommt, ist der Besuch in einer Teestube obligatorisch. Jetzt mit der Minikelle und kreisenden Bewegungen etwas Sahne auf den Teespiegel geben. Immer gegen den Uhrzeigersinn – das soll für einen Moment die Zeit anhalten. Aber nicht umrühren! Nun warten, bis die Sahne nach unten sinkt. Wie von Zauberhand steigen plötzlich „Wulkje“ (Wölkchen) schwungvoll auf und bringen den kupfer-braunen Friesentee in Wallung.

Dass die Vereinten Nationen sogar einen Internationalen Tag des Tees ausgerufen haben, ist für die 61-Jährige kein Grund zum Anstoßen. „Hoch die Tassen“ beherzigen Ostfriesen als gelebte Kulturpraxis seit Jahrhunderten. Teezeit sei dort 365 Tage im Jahr. Die bis zu vier Mal tägliche Trinkpause ist ein Brauch, der Genuss und Geselligkeit mit festen Ritualen folgt und wegen seiner identitätsstiftenden Funktion von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe anerkannt ist.

Dirks nimmt die Kanne vom Stövchen und lässt den kantigen Kandis zum zweiten Mal in der Tasse knistern. Als Beigabe empfiehlt die Kellnerin einen Butterkuchen oder ein sahniges Stück Ostfriesentorte. „Tscha“, meint Heidrun und streicht sich mit den Fingern durch das blonde Haar: „Bi uns to Hus han we immer Krintstuut mit Budder!“ (Bei uns zu Hause haben wir immer Rosinenbrot mit Butter). Die Bedienung lächelt verständnisvoll: Jo, geiht ook!“ (Ja, geht auch!) Dann verschwindet sie hinter einer mit verführerischen Süßigkeiten bestückten rustikalen Kuchentheke.

Die Kuchenwahl ist Geschmackssache, die Wahl der Teesorte für jeden Ostfriesen aber fast schon eine Weltanschauung. Die „echte ostfriesische Mischung“ wird in Ostfriesland nämlich allein von vier alteingesessenen Firmen hergestellt. Tee ist also nicht gleich Tee. Nur wenn er in Ostfriesland gemischt ist, darf der Tee namensrechtlich geschützt „echte ostfriesische Mischung“ heißen.

Unterschiedliche spezielle Kompositionen aus feinstem Assam Tee, Darjeeling-, Ceylon- und Javasorten vereinen sich zu einem herb-aromatischen kräftigen Geschmack. So wie sich Fußballfans nicht immer grün sind, soll es gelegentlich auch in Familien Unstimmigkeiten wegen der bevorzugten Teesorte geben. „Nee, dat is keen Seemannsgarn“, bestätigt die Teekennerin. Mit der Teekultur werde manchmal sogar die favorisierte Geschmacksvariante von Generation zu Generation weitergegeben.

Tee oder wat?
Wieder knistert das Heißgetränk in der mit blass-rotem Blumendekor verzierten dünnwandigen Tasse. Als Teesieb und Kluntjezange zum Einsatz kommen, lässt die Friesin den silbernen Löffel wieder links liegen. Der liege nämlich nicht zum Umrühren auf der Untertasse, sondern sei vielmehr eine Art „Stoppschild“. Jenseits von Teestuben sei es zum Beispiel bei privaten Einladungen üblich, den Löffel erst einmal zu ignorieren. Später stellt man ihn in die Tasse und signalisiert damit: Danke genug, bitte keinen Tee mehr! Dieser Wink sollte aber frühestens erst nach der dritten Tasse zum Einsatz kommen. „Dree is Oostfresenrecht“ (Drei ist Ostfriesenrecht) lautet eine Order. Das heißt, mindestens zwei Tassen werden nachgeschenkt. Alles andere wäre un­höflich.

Okay. Aber warum nicht umrühren? Einerseits, um die Geschmackfolge wahrzunehmen. Zunächst die cremige Sahne, dann der herbe Tee und schließlich der süße Bodensatz, klärt Heidrun auf. Aber eigentlich käme die Zurückhaltung aus einer Zeit, als Kandis teuer war und für mehrere Tassen reichen musste.

Die Friesin nestelt ihr Handy aus der Handtasche. Auf einem Foto ist ein frühgotisches Backsteingebäude zu sehen. Ein Rathaus? „Dat wär mal so, nu aber nich mehr“ antwortet sie: Das heutige Teemuseum in Norden vermittele die ganze Welt des Tees – von Übersee bis an Frieslands Küste. Bereits im Stehen nimmt sie den letzten Schluck aus der Tasse. „Mien Bus fohrt gliek“. Ihr Bus fährt gleich. Abends werde sie dann für die Familie kochen. „Es gibt Tee“, sagt sie schmunzelnd.

Auf dem Weg zum Bahnhof begegnet Flaneuren in der Fußgängerzone „Teelke mit der Tasse Tee“. Die Skulptur als Symbol für die typische ostfriesische Teekultur ist das am meisten geknipste Fotomodell in Leer.

Nach rund 50 Minuten Fahrzeit öffnet sich in dem fast 770 Jahre alten Norden der größte Markplatz der Küstenregion. Nahe der mächtigen Ludgerikirche mit dem freistehenden Glockenturm steht am Kreisverkehr das Ostfriesische Teemuseum. In der originalgetreuen Küchenstube wartet eine Besuchergruppe auf eine Teezerenomie.

Teestunden seien für echte Ostfriesen wie „Wellness“, erfahren die Museumsgäste von Gerta Endelmann und dass im Durchschnitt jeder Ostfriese pro Jahr knapp 300 Liter Tee trinkt. Da können selbst die Engländer (210 Liter) den weltmeisterlichen Friesen nicht das kalkarme Wasser reichen.

Als auch der letzte Teilnehmer Handy und Kamera beiseitelegt und zur Tasse greift, macht die Zeremonienmeisterin Appetit auf einen Museumrundgang auf den Spuren der Kulturpflanze. Wem zu einem ergiebigen Teeseminar die Zeit fehlt, der kommt im Teezimmer bei Tilde Harms auf den Geschmack. Bei einem Tässchen klönt (spricht) sie mit Besuchern über das „heel besünnere“ (ganz besondere) Küstengold. „Tee oder wat?“ ist auch hier keine Frage.

Friesische Teestuben gibt es zum Beispiel in Norden (Westgaster Mühle), Greetsiel (Zwillingsmühle), Leer (Teestube am Hafen) und Marienhafe (Störtebeker's Teestube). Ostfriesisches Teemuseum Norden: www.teemuseum.de; Bünting Teemuseum Leer: www.buenting-teemuseum.de; www.ostfriesland.travel


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS