28.03.2024

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Bethel Henry Strousberg

Aufstieg und Fall

Wie der „Eisenbahnkönig“ sich mit Hilfe von Aktien bereicherte und sich 1868 völlig verspekulierte

Wolfgang Kaufmann
31.05.2021

Bethel Henry Strousberg, der am 20. November 1823 in Neidenburg (Masuren) als Baruch Hirsch Strausberg auf die Welt kam, zählte zu jenen Unternehmerpersönlichkeiten des Deutschen Kaiserreiches, welche in der Gründerzeit einen kometenhaften Aufstieg absolvierten und dann nach dem Gründerkrach von 1873 auf ebenso fulminante Weise scheiterten.

Der Sohn eines vermögenden jüdischen Landhändlers ging 1839 nach London, um das dortige Banken- und Versicherungswesen zu studieren. 1847 musste er allerdings wegen der Veruntreuung von Bausparkassengeldern für drei Monate ins Gefängnis. Weil dies nachfolgend zum Karrierehindernis wurde, entschied sich Strousberg 1855 zur Rückkehr nach Preußen, wo er zunächst als Generalvertreter der britischen Versicherungsgesellschaft Waterloo fungierte. Aufgrund seiner guten Kontakte zu Kapitalanlegern in England sowie auch zum preußischen Staatsminister für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten, Graf Heinrich Friedrich von Itzenplitz, konnte Strousberg 1862 die Konzession zum Bau der Eisenbahnstrecke zwischen Insterburg und Tilsit ergattern.

Ein innovatives Geschäftsmodell

Anschließend entwickelte er ein ebenso innovatives wie spekulatives Geschäftsmodell zur Finanzierung dieses Vorhabens, das sogenannte „System Strousberg“: Ein Generalbeauftragter, dessen Rolle er selbst einnahm, trug sämtliche Kosten im Zusammenhang mit dem Bau des Schienenstranges und erhielt dafür je nach Fortgang des Projektes Aktien der entsprechenden Bahngesellschaft. Der Trick an der Sache war, dass das Aktienkapital des Unternehmens deutlich höher als die tatsächlichen Baukosten angesetzt wurden, womit der Generalbeauftragte de facto eine Vergütung erhielt, die seine Aufwendungen erheblich überstieg.

Nach diesem Schema errichtete Strousberg allein in Preußen diverse Bahnstrecken von insgesamt etwa 1700 Kilometern Länge, auf denen bald schon 50 Millionen Passagiere und 45 Millionen Tonnen Fracht transportiert wurden. Dazu zählte beispielsweise die Ostpreußische Südbahn, welche vom Seehafen Pillau über Königsberg bis nach Prostken an der deutsch-russischen Grenze führte.

Der „Eisenbahnkönig“ Strousberg erlangte dadurch schier märchenhaften Reichtum und erwarb nach und nach über 50 Rittergüter mit 75.000 Hektar Land und diverse Schlösser. Außerdem schuf er einen Großkonzern, welcher Erz- und Kohlegruben, Stahl- und Walzwerke sowie Maschinen- und Lokomotivfabriken umfasste und dessen rund 100.000 Beschäftigte in den Genuss umfangreicher sozialpolitischer Maßnahmen kamen. Das veranlasste den Gesellschafts- und Wirtschaftstheoretiker Friedrich Engels zu dem ebenso spöttischen wie respektvollen Ausruf: „Der Kerl wird nächstens deutscher Kaiser.“

So weit kam es dann zwar nicht, aber immerhin reüssierte der Unternehmer auch in der Politik und zog 1867 für die Konservative Partei in den Reichstag des Norddeutschen Bundes ein.

Die Krönung von Strousbergs Laufbahn sollte der Bau von vier großen Eisenbahnlinien in Rumänien ab 1868 werden, doch diesmal verspekulierte er sich und erlitt erhebliche finanzielle Verluste. Das hatte 1872 eine Kreditsperre zur Folge, welche nicht einmal auf die persönlichen Interventionen von Kaiser Wilhelm I. und Reichskanzler Otto von Bismarck hin gelockert wurde. Vielmehr sorgten die Bankiers Gerson von Bleichröder und Adolph von Hansemann von der Berliner Disconto Gesellschaft dafür, dass Strousberg einen Großteil seines Besitzes veräußern oder verpfänden musste, um die immer zahlreicher werdenden Gläubiger zu befriedigen. Gleichzeitig prangerte der liberale Reichstagsabgeordnete Eduard Lasker die unredlichen Finanzierungspraktiken von Gründern wie Strousberg vor dem Parlament an, was zum Rücktritt des Ministers von Itzenplitz führte und auch mit zum Börsenkrach von 1873 beitrug.

Konkursverfahren in Berlin

1875 wurde durch das Berliner Stadtgericht ein Konkursverfahren gegen Strousberg eröffnet, bei dem es um 30 Millionen Mark ging. Weitere offene Forderungen bestanden in Österreich, Rumänien und Russland. Deshalb verhaftete die Polizei des Zarenreiches den Unternehmer schließlich im Zug von Moskau nach Sankt Petersburg, wonach die Einweisung ins Schuldgefängnis folgte. In diesem saß Strousberg 1875/76 ein, bevor man ihn auf Betreiben Bismarcks freiließ und im September 1877 nach Deutschland abschob. Wenig später war er völlig bankrott: Angeblich lagen die Gesamtschulden des einstigen Wirtschaftsmagnaten im In- und Ausland 1878 bei 100 Millionen Reichsmark.

Mit Hilfe einiger wohlmeinender englischer Verwandter gründete und leitete der Pleitier dann das Blättchen „Das kleine Journal“. Damit sicherte er sich aber nur eine bescheidene Existenz – an seine früheren wirtschaftlichen Erfolge anzuknüpfen, blieb ihm auf ganzer Linie verwehrt. Bethel Henry Strousberg starb am 31. Mai 1884 vollkommen verarmt in der Berliner Mansardenwohnung seiner früheren Köchin an einem Herzinfarkt. Die letzte Ruhestätte des „Eisenbahnkönigs“ befindet sich im heute noch existenten Familienmausoleum auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg.


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Kommentare

Chris Benthe am 05.06.21, 15:23 Uhr

Spannende Geschichten, wie man sie nur in der PA lesen kann. Bravo !

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