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Raumfahrt

BDI erneuert Forderung nach einem deutschen Kosmodrom

Studie des Bundes der Deutschen Industrie hält Raketenstarts von der Nordsee für möglich. Bundeswirtschaftsministerium erwägt finanzielle Förderung

Wolfgang Kaufmann
10.11.2020

Aufgrund der rapiden Miniaturisierung der Technik müssen Erdsatelliten heute bei vielen kommerziellen Anwendungen kaum noch schwerer als zehn Kilogramm sein. Manche Unternehmen planen, mehrere tausend derartiger künstlichen Himmelskörper ins All zu schießen – so wie der Amazon-Konzern, der das Internet in sämtliche Ecken der Welt bringen will. Dadurch expandiert der Markt für Kleinstsatelliten. Und das wiederum eröffnet auch Chancen für die Hersteller von sogenannten Microlaunchern, kostengünstig produzierten kleineren Raketen mit einer relativ geringen Nutzlastkapazität.

In der Bundesrepublik wird die Entwicklung derartiger Trägersysteme vor allem von drei Unternehmen vorangetrieben: der zum Bremer OHB-Konzern gehörenden Rocket Factory Augsburg AG (RFA), der Isar Aerospace Technologies GmbH mit Sitz in Ottobrunn bei München und der HyImpulse Technologies GmbH, deren Zentrale in Neuenstadt am Kocher liegt und die eine Ausgründung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist. Diese drei Firmen belegten auch die Spitzenplätze in der Vorrunde des Microlauncher-Wettbewerbs des DLR. Dessen endgültiger Gewinner soll 2021 feststehen und elf Millionen Euro Fördermittel erhalten.

Schweizer dienen als Vorbild

Da die mit Flüssigsauerstoff, Kerosin, leichten Kohlenwasserstoffen oder Pa-raffin betriebenen Billig-Trägerraketen RFA One, Spectrum und Small Launcher-1 demnächst einsatzbereit sein werden, stellt sich nun die Frage nach passenden Startplätzen. In Reaktion hierauf erarbeitete der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) eine Machbarkeitsstudie, die er nun dem Bundeswirtschaftsministerium vorstellte. Darin erneuerte der BDI die Forderung nach einem deutschen Kosmodrom, die er bereits im Oktober 2019 auf seinem ersten eigenen Weltraumkongress im Haus der Deutschen Wirtschaft in Berlin vorgebracht hatte. Das nunmehr eingereichte Papier orientiert sich vor allem am Vorbild des Schweizer Raumfahrtunternehmens Sea Launch. Letzteres führte von 1999 bis 2014 kommerzielle Raketenstarts von der eigens für diesen Zweck umgebauten Bohrinsel „Ocean Odyssey“ im Zentralpazifik unweit des Atolls Kiritimati durch.

Im Falle der deutschen Offshore-Startplattform soll das Ganze folgendermaßen ablaufen: Zunächst würde ein Spezialschiff mit der Abschussrampe sowie der etwa 20 bis 30 Meter langen Microlauncher-Rakete an Bord von seinem Ausgangsstützpunkt in Bremerhaven auf den rund 460 Kilometer entfernten äußersten nordwestlichen Zipfel der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) in der Nordsee – genannt „Entenschnabel“ – zusteuern. Dort müsste die Crew das Trägersystem aufrichten beziehungsweise betanken und anschließend auf das nahebei wartende Kommandoschiff überwechseln, um dann per Fernsteuerung den Startbefehl zu geben. Pro vollständigem Startzyklus veranschlagt der BDI rund 15 Tage und Kosten in Höhe von etwa 600.000 Euro. Dafür könnten die deutschen Raketen Nutzlasten von bis zu einer Tonne Gewicht in niedrige Erdumlaufbahnen transportieren.

Die Vorteile eines derartigen mobilen Offshore-Startplatzes und des Einsatzes von Microlaunchern liegen auf der Hand. Es gäbe weniger Sicherheitsprobleme aufgrund der großen Entfernung zu bewohnten Gebieten. Und die Kleinstsatelliten bräuchten nicht mehr als Beifracht auf großen Trägerraketen mitzufliegen, was oft dazu führt, dass ihre Umlaufbahnen weniger optimal ausfallen. Dem stehen andererseits diverse Nachteile gegenüber. So müssten die Belange des Schiffs- und Luftverkehrs, der Umweltschutz sowie die Interessen weiterer kommerzieller Nutzer der Ausschließlichen Wirtschaftszone Deutschlands und der übrigen Anrainerstaaten der Nordsee berücksichtigt werden. Beispielsweise könnte Deutschland nicht ständig stark frequentierte Seegebiete wegen der Starts sperren. Deshalb meint der ehemalige deutsche Astronaut Thomas Reiter, dass derartige Offshore-Rampen eher etwas für den Raum um die Azoren seien.

Raketenstarts vom „Entenschnabel“

Dennoch erwägt das Bundeswirtschaftsministerium, die Startplattform in der vom BDI vorgeschlagenen Form über sechs Jahre verteilt mit bis zu 30 Millionen Euro zu bezuschussen. Zur Begründung wird angeführt, dass hier mit einem vergleichsweise überschaubaren Aufwand zukunftsträchtige Hochtechnologien gefördert würden, um Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern. Süddeutsche Zulieferer der Autoindustrie wären in der Lage, ihr beim Bau von Verbrennungsmotoren erworbenes Know-how zu nutzen, um in die Fertigung von Microlauncher-Triebwerken einzusteigen.

Da das Wirtschaftsministerium aber noch keinen Zeitplan für die Prüfung der BDI-Studie verkündet hat, gehen die drei Raketenhersteller davon aus, dass ihre Konstruktionen nicht von einem deutschen Offshore-Startplatz zum Jungfernflug abheben. So soll der Prototyp der RFA One Ende 2022 von der Insel Andøya in Nordnorwegen ins All geschossen werden. Die Annahme des BDI, nach der die Plattform in der Nordsee bereits Ende 2021 zur Verfügung stehen könnte, hält man in Augsburg für zu optimistisch.


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Kommentare

Michael Holz am 12.11.20, 19:06 Uhr

Wenn ich lese, "... so wie der Amazon-Konzern, der das Internet in sämtliche Ecken der Welt bringen will" und "Bundeswirtschaftsministerium erwägt finanzielle Förderung" stellen sich mir die Haare auf. Wenn Konzerne wie Amazon mit Steuermittel gepampert werden sollen aber Rentner weiter in den Müllkästen wühlen dürfen, dann wird der Spruch Merkels wahr, dass wir im besten Deutschland aller Zeiten leben dürfen. Nu ja, ich habe mich abgesetzt aber dieses Deutschland wirkt auch hier, ich sehe es: alte griesgrämige Menschen, gebeugt und mit dem nutzlosem "Fetzen" vor dem Mund. Ein Bild des Grauens.

Cordt Machens am 12.11.20, 11:37 Uhr

Raketenstarts ins All aus Norddeutschland? So ein Schwachsinn! Hätten die Herrschaften besser im Physikunterricht aufgepasst, so wären sie bald darauf gekommen das von so einer nördlichen Breite es erheblich mehr Treibstoff benötigt, als ein Startplatz am Äquator, eine Rakete ins All zu transportieren.
Deshalb haben die Amerikaner und die Franzosen ihre Raketenstartplätze so weit südlich wie möglich angelegt.
Wollen wir noch ein BER?

Chris Benthe am 10.11.20, 10:38 Uhr

Nachdenken ist ja nicht verboten. Indes, denkt man auch darüber nach, wie man den gefährlichen Weltraumschrott im Erdorbit wieder loswird ? Miniaturisierung ist noch (lebens-)gefährlicher, wenn man kein Entsorgungskonzept hat.

Siegfried Hermann am 10.11.20, 10:30 Uhr

Was soll die Suche???
Wir haben doch einen Raketenabschussplatz und der schafft sogar wesentliche größere Raketen ins All. Muss nur nach 70 Jahren n bißchen tapeziert werden. Peenemünde. ;-)
Mal im Ernst. Früher, bis in die 70er Jahre, wurde gründlichst penibel Machbarkeitsstudien erst mal gemacht.... heute wird das Steuergeld verbrannt, ohne Sinn und Verstand. Und ein Elon Musk ist in dieser Disziplin der Brandbeschleuniger-Meister.
Und wenn, sollte man erst das Hirn einschalten, bevor man das Geld verballert. Das geht gar nicht, das jede, meinetwegen nordeuropäische Nation, 10.000 sende Minisatelliten ins All schiessen. Soviel Platz ist da gar nicht. Also wird jeder sein "Hochheitsgebiet" mit Klauen, Hauen und Stechen verteidigen wollen.
Und was passiert, wenn der Schrott wieder zu europäischen dichtest besiedelten Erden kommt??? Hat garantiert auch keiner nachgedacht, geschweige Lösungen parat. Und diese Mär vom "verbrennen in der Atmosphäre" glaubt auch keine Sau mehr, seit die Russen einige abenteuerliche "Kometen" mit zum Glück ohne große Menschenverluste erlebt haben.
Ich habe da eher ein ganz anderen Verdacht auf deutsche Abschussrampen. Da werden die Windrad-Pontons mit aberMillionen Steuergelder in die Nordsee gestellt, einen 2. Verwertungsauftrag bekommen und dann natürlich doppelt abkassiert.
Und dieser Quatsch mit internet überall gibt doch schon lange. Erst recht in Friesland braucht keine Sau dafür so ein MRD. teueres Verballerspiel.
Wie immer bei diesen Traumtänzer-Projekten:
Cui bono?

Die Technik gut und schön.
Aber. Die sinnvolle ökonomische Nutzung auf Kosten der Bevölkerung geht gar nicht.

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