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Maritime Wirtschaft

Bedrohliche Schieflage bei Meyer Werft

Trotz voller Auftragsbücher steht der Spezialist für Kreuzfahrtschiffe vor dem Aus, weil die Energie- und Arbeitskosten explodieren

Dagmar Jestrzemski
14.08.2024

Die Meyer Werft in Papenburg steckt trotz guter Auftragslage in der schwersten Krise ihrer mehr als 200-jährigen Unternehmensgeschichte. Ohne erneute staatliche Hilfe droht die Insolvenz. Im November muss die Spezialwerft für Kreuzfahrtschiffe und Fähren einen Kredit von 550 Millionen Euro zurückzahlen. Insgesamt besteht ein Finanzierungsbedarf in Höhe von 2,8 Milliarden Euro, um die Vorfinanzierung der nächsten Projekte bis 2027 abzusichern. Das Eigenkapital der Werft soll um 450 Millionen Euro aufgestockt werden. Alternativ wird die Möglichkeit eines staatlichen Einstiegs in die Werft-Gruppe geprüft. Bis Mitte September muss ein Sanierungsplan vorliegen.

Zur Werft-Gruppe mit ihren Hauptstandorten Papenburg und Turku in Finnland gehört auch die Rostocker Neptun Werft, wo die Maschinenraummodule für die Kreuzfahrtschiffe hergestellt werden. Bundeskanzler Olaf Scholz und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (beide SPD) betonten in öffentlichen Stellungnahmen die Bedeutung der Meyer Werft als Deutschlands wichtigstem zivilen Schiffbauunternehmen. Beide erklärten ihre Bereitschaft für eine erneute staatliche Unterstützung. Ende Juli sagte Scholz, es sei noch nichts „entscheidungs- und spruchreif“. „Aber das ist ein Thema, das für mich eine Top-Priorität hat.“

Kostenexplosion in vielen Bereichen
Ungeachtet der schwierigen Lage unterzeichnete der Seniorchef der familieneigenen Werft, Bernard Meyer, im Juli in Tokio einen Vertrag für ein viertes Disney-Schiff. In Papenburg wurde Anfang August wieder ein Kreuzfahrtschiff ausgedockt. Die „Disney Treasure“ ist 341 Meter lang und bietet Platz für 4000 Passagiere. Viele Schaulustige beobachteten das Manöver. Und diese Woche erhielt die Werft sogar noch einen weiteren Auftrag zum Bau von gleich vier Kreuzfahrtschiffen. Damit wäre das Unternehmen immerhin bis 2031 ausgelastet.

Dennoch: Die Traditionswerft beschäftigt 3300 Mitarbeiter, mehr als doppelt so viele arbeiten zudem bei Zulieferfirmen entlang der Ems-Achse sowie im Rest Niedersachsens, und die Stimmung in der Region bleibt extrem angespannt. Als Ursache für die gewaltige Finanzierungslücke trotz voller Auftragsbücher nennt die Werftleitung explodierende Kosten bei Material, Energie und Arbeit. Die Preise für Schiffe, die in diesen Jahren gebaut werden, wurden vor der Corona-Pandemie ausgehandelt. Eine Anpassungsklausel ist in den Verträgen nicht enthalten. Bei Nachverhandlungen wurde mit den Kreuzfahrtreedereien eine Beteiligung an der Rettung der Werft vereinbart. Grundsätzlich zahlen Reedereien bei der Vergabe eines Auftrags zunächst nur 20 Prozent des Auftragswertes. Den Großteil des vereinbarten Preises müssen die Werften vorfinanzieren. Erst bei Auslieferung des Schiffes fließen die restlichen 80 Prozent.

Dafür hat die Werft aber aktuell keinen finanziellen Spielraum. Auf Druck der finanzierenden Banken wurde ein Sanierungsexperte in die Geschäftsleitung berufen. 440 Stellen sollten gestrichen werden. Dagegen stemmten sich Betriebsrat und die IG Metall. Nun sollen 340 Stellen abgebaut werden. Der Firmensitz soll aus Luxemburg wieder nach Deutschland verlegt werd, was deutsches Recht und damit veränderte Mitbestimmungsrechte bedeuten würde. Am 5. August veranstalteten die Geschäftsführung der Meyer Werft mit dem Betriebsrat und Vertretern der IG Metall eine zweite Gesprächsrunde mit Regional-, Landes- und Bundespolitikern, um über Ausrichtung und Restrukturierung des Unternehmens zu sprechen. Grundlage des Gesprächs war der Entwurf des Sanierungsgutachtens von Deloitte, das eine positive Zukunftsprognose für die Werft in Aussicht stellt.

Aufgrund der politischen Forderung nach einer „klimaneutralen Schifffahrt“ stehen der gesamten Branche weitere Kostensteigerungen bevor. Vor der Europawahl hatten die für Wettbewerbsfähigkeit zuständigen EU-Minister gefordert, dass die neue EU-Kommission eine Strategie zur Unterstützung der europäischen maritimen Industrie entwickeln solle. Die Strategie solle sich mit „allen Dimensionen der Wettbewerbsfähigkeit der Branche beschäftigen, die unverzichtbar zur Durchsetzung der strategischen Interessen der EU und für den digitalen und grünen Wandel“ seien.

Krisenfest durch Wettbewerb
In dieselbe Richtung zielte bei dem Gipfeltreffen in Papenburg die Empfehlung der FDP in den Kreisen Emsland und Leer. Um die Meyer Werft im Rahmen des europäischen Schiffbaus krisenfester zu machen, müsse auch die ordnungspolitische Frage nach einer Marktverfassung für einen fairen Wettbewerb gestellt werden. „Hierbei sind über Land und Bund hinaus die Gremien der europäischen Union gefordert. Es bedarf also einer konzertierten Aktion in mehreren Schritten und auf mehreren Ebenen.“


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