11.12.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Verschönerte Lagerwände: Die Rieckhallen bei einer Kunstinstallation von Katrina Grosse im Jahr 2020
Foto: imago images/JokoVerschönerte Lagerwände: Die Rieckhallen bei einer Kunstinstallation von Katrina Grosse im Jahr 2020

Kultur

Berliner Sternstunde

Hauptstadt sichert sich Hamburger Bahnhof samt Rieckhallen als Ausstellungsorte zeitgenössischer Kunst

Harald Tews
25.11.2022

Im Kampf um Wohn- oder Museumskultur hat in einem zentralen Teil Berlins letztere den Sieg davongetragen. Die Rieckhallen am Hamburger Bahnhof bleiben erhalten und können daher auch in Zukunft als Ausstellungsort von Gegenwarts-Kunst genutzt werden. Ursprünglich hatte der bisherige Eigentümer, der österreichische Immobilienkonzern CA Immo, geplant, die gut 250 Meter langen Hallen abzureißen, um auf dem früheren Güterbahnhof direkt neben dem Hamburger Bahnhof Wohngebäude entstehen zu lassen.

Der Bund und das Land Berlin haben jetzt tief in die Tasche gegriffen, um das Ensemble „Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart“ einschließlich der Rieckhallen als Kunststandort zu retten. Das Gesamtvolumen für Gebäude und Grundstücke liegt bei fast 170 Millionen Euro. Der Bund kauft von CA Immo für 66 Millionen den Hamburger Bahnhof und die Stadt Berlin für 78 Millionen Euro die Rieckhallen. Im Austausch für das Grundstück erhält CA Immo zusätzlich von der Stadt ein Areal am Humboldthafen im Wert von 25 Millionen Euro. Es ist ein Filetstück: Vis-à-vis über die Spree hinweg befinden sich Kanzleramt und Reichstag. Höchstens achtstöckige Gebäude dürfen dort errichtet werden. Sie dürften das Gesicht Berlins architektonisch nachhaltig verändern.

Jetzt kauft sich der Staat mit Steuermitteln teuer zurück, was man vorher schon besaß. Denn die Grundstücke waren im Besitz des Bundeseisenbahnvermögens, ehe man sie in den 1990er Jahren an CA Immo verkaufte. Zuletzt war der Bund nur Mieter des 1846 für den Zugverkehr nach Hamburg eingeweihten, 30 Jahre später stillgelegten und seit 1906 mit Unterbrechung als Museum genutzten Hamburger Bahnhofs. Als im September 2021 der Leihvertrag auslief, blieb unklar, was aus dem Bahnhofsgebäude und den von dort per Brücke verbundenen Rieckhallen werden sollte. CA Immo plante, auf dem knapp 60 Hektar großen Filetgrundstück in direkter Nachbarschaft zum Berliner Hauptbahnhof einen Teil ihres Bauprojekts Eurocity zu verwirklichen.

Dafür drohte der Abriss der Rieckhallen, in deren schmucklosen Lagerräumen die „Collection“ zeitgenössischer Kunst des Kunstmäzens Friedrich Christian Flick die Ausstellungsbasis bildete. Doch als Flick 2020 von den Abrissplänen erfuhr, zog er den größten Teil seiner Sammlung von Berlin ab.

Jetzt hat sich Berlin zwar dauerhaft die Rieckhallen gesichert, jedoch hat man kaum etwas, was man auf einer Fläche von 6000 Quadratmetern auch dauerhaft zeigen kann, ohne sich eigene Konkurrenz zu schaffen. Denn am Kulturforum entsteht bereits mit viel Geld ein weiteres Museum für moderne Kunst: das Museum des 20. Jahrhunderts. Um die Zugehörigkeit zu diesem Projekt zu betonen, wird der Hamburger Bahnhof zukünftig die Zusatzbezeichnung „Nationalgalerie der Gegenwart“ tragen.

Moderne Kunst des 20. Jahrhunderts wird man also weniger hier als demnächst am Kulturforum besichtigen können. Dafür werden – wie bisher – zeitgenössische Künstler auftreten, nur dass für sie zusätzlich zum Hamburger Bahnhof in den Rieckhallen mehr Platz vorhanden sein wird. Die spannende Frage dürfte sein, ob Berlin in einer vor lauter Museen fast schon berstenden Stadt – Museumsinsel, Kulturforum, Humboldt-Forum, um nur das Wichtigste zu nennen – so viel moderne Kunst ver- und ertragen kann.

Die Kulturverantwortlichen zeigen sich natürlich begeistert. Als „Sternstunde der Kulturpolitik“ bezeichnete Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und damit auch Chef über den Hamburger Bahnhof, den erfolgreichen Kauf. Auch die grüne Kulturstaatsministerin Claudia Roth darf sich nach Fehlleistungen wie bei der Documenta oder der aufgeschobenen Reform der Filmförderung endlich in einem Erfolg sonnen – der freilich von ihrer Vorgängerin Monika Grütters eingefädelt wurde.


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentare

sitra achra am 25.11.22, 12:12 Uhr

Der Haken an dem Deal ist, dass auf dem abgetretenen Filetstück keine Sozialwohnungen gebaut werden mit Blick auf den pompösen
überteuerten Kanzleramtsneubau. Das wäre doch ein herrlicher, erhebender Anblick für die dort wohnenden Sozialhilfeempfänger gewesen. Chance vertan.

Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS