29.04.2024

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Zeitgeschichte

Blick auf ein Jahr der Goldenen Zwanziger

Für die meisten Menschen war die Zeit nach der Hyperinflation ab 1924 nicht so rosig, wie das Jahrzehnt im Allgemeinen gesehen wird

Dagmar Jestrzemski
06.04.2024

Das Jahr 1924 war ein Jahr des Aufbruchs nach der überstandenen Hyperinflation. Trotz sinkender Arbeitslosigkeit waren aber die Aussichten für die meisten Menschen nicht so rosig, wie der später kreierte Begriff „Goldene 20er Jahre“ für das halbe Jahrzehnt bis zur Weltwirtschaftskrise 1929 nahezulegen scheint. Der Mittelstand hatte seine Ersparnisse verloren, während Unternehmer und andere Profiteure ihre Schulden tilgen und Investitionen tätigen konnten.

Eine Auswahl dessen, was damals in Österreich und, mit gelegentlichen Blicken über die Grenze, im Deutschen Reich und weltweit geschah, hat der Wiener Autor und Publizist Gerhard Jelinek als eine kaleidoskopartige, schillernde Jahreschronik zusammengestellt. Sein Buch mit dem Titel „1924. Schneller, frecher, wilder. Der Beginn der fabelhaften Zwanziger“ greift in 60 kurzen Kapiteln ganz unterschiedliche Themen und Ereignisse auf, die aber nicht alle gleichermaßen Interesse wecken.

Aus den Bereichen Kunst, Kultur, Politik, Sport und „Sonstiges“ richtete sich der Fokus auch auf die Flapper Girls, eine Modeerscheinung aus Amerika. Letztere trugen kurze Flatter-Röcke (daher der Name), rauchten Zigaretten und tanzten auf Partys ausgelassen zu fetzigen Jazzrhythmen. Hier trifft die Bezeichnung „Goldene Zwanziger“ mit unserer kollektiven Erinnerung zusammen. Roald Amundsen scheiterte auf dem Weg zum Nordpol mit einem Flugzeug, der erste Stummfilm über die Biene Maja wurde gedreht und der Muttertag in Österreich eingeführt. In der Juli-Hitze fanden in Paris die achten Olympischen Spiele statt, über die erstmals „live“ im Radio berichtet wurde. Sie brachten zwei Sportler-Legenden hervor: den finnischen Läufer Nurmi und den amerikanischen Schwimmer Johnny Weissmüller, der später als Tarzan in Hollywood Karriere machte.

Ein unrühmliches Kapitel aus dem Leben von Ludwig Wittgenstein, der als einer der bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts gilt, überrascht am meisten. Am 5. August 2024 bewarb sich Wittgenstein als Lehrer einer zweiklassigen Dorfschule in Niederösterreich. Seinerzeit durften Lehrer die Schulkinder schlagen, wenngleich sozusagen „mit Maßen“. Dass der Autor des „Tractatus logico-philosophicus“ von dem ihm zustehenden Recht unbotmäßig Gebrauch machte, was ihm eine Klage wegen Körperverletzung eintrug, erscheint völlig unvereinbar mit der Vorstellung von einem tiefgründigen Denker.

Gerhard Jelinek: „1924. Schneller, frecher, wilder. Der Beginn der fabelhaften Zwanziger“, Amalthea Signum Verlag, Wien 2023, gebunden, 256 Seiten, 28 Euro


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