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Infografiken mit begrenztem Aussagewert: Die täglichen Corona-Schautafeln sehen dramatisch aus, sagen jedoch wenig über die tatsächliche Lage im Lande aus
Foto: Screenshot RKIInfografiken mit begrenztem Aussagewert: Die täglichen Corona-Schautafeln sehen dramatisch aus, sagen jedoch wenig über die tatsächliche Lage im Lande aus

Böse Zahlen, gute Zahlen

Während der Verweis auf mathematische Fakten bis vor Kurzem noch als kalt und menschlich schäbig galt, wird gegenwärtig mit abstrakten und unreflektierten Daten ständig Politik gemacht

Cora Stephan
07.02.2021

Nackte Zahlen und kalte Fakten: Wer glaubt, damit argumentieren zu dürfen, ist menschlich schäbig. Das mussten sich jedenfalls Thilo Sarrazin und seine Leser entgegenhalten lassen, als 2010 sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ erschien. Zur Erinnerung: Angela Merkel verwarf das Werk umgehend, ohne es gelesen zu haben, als „nicht hilfreich“. In Talkshows, in denen das Buch Thema war, obwohl es ebenfalls keiner der Beteiligten gelesen haben dürfte, bezichtigte man den Autor, „gefühlskalt“ und „zahlengläubig“ zu sein (Renate Künast). „Gewalt“ sei das, assistierte Michel Friedman den weiblichen Vertretern menschlicher Wärme, das Buch reduziere „Menschen zu Zahlen“, man müsse „ein Leben“ gegen die Statistik setzen. Überhaupt: Statistiken und Analysen – alles Teufelszeug! Aygül Özkan, damalige Sozialministerin aus Niedersachsen, bekannte kühn, das brauche sie alles nicht, sie kenne ihre Menschen ja. Eine Journalistin krönte die Debatte mit der hübschen Charakterisierung, das, was Thilo Sarrazin mit unbestechlicher Präzision ausbreite, sei „Zahlen-Kot“.

Die Debatte, schien mir damals, war der Höhepunkt des seit Ende der 70er Jahre grassierenden Betroffenheitskults, des Subjektivismus, auch „Sprechen in der ersten Person“ genannt. Manch Macho, darunter der spätere grüne Außenminister Joschka Fischer, bekannte sich („endlich!“, applaudierten viele Frauen) zu seinen Gefühlen und sagte dem geistigen Zuschnitt jener weißen Männer adieu, die noch meinten, an so etwas wie „Objektivität“ festhalten zu dürfen.

Abkehr von der Aufklärung
Heute sind wir zwar viele Schritte weiter, doch der Höhepunkt liegt, so ist zu befürchten, noch vor uns. Die Kämpfer gegen den „systemischen Rassismus“ des von toxischen Weißen geprägten Westens empfehlen, alles abzuräumen, was wir der europäischen Aufklärung zu verdanken haben. „Westliche“ Bildungsinhalte gelten als rassistisch, sexistisch, transphob oder islamophob, ja, es sei ein Fall von „epistemischer Gewalt“, wenn sie Men-schen mit einem nicht-westlichen Abstammungsmerkmal an Bildungseinrichtungen aufgezwungen würden. Und genau zu diesen Bildungsinhalten gehört ganz zweifellos jene „Scheinobjektivität“ von Zahlen und Statistiken – überhaupt: rechnen zu können! Insofern ist Thilo Sarrazin der Prototyp des toxischen weißen Mannes. Doch damit soll endlich Schluss sein! Weibliche, ach was: menschliche Wärme gebietet, nicht immer nachzurechnen, wenn es um das Gute, wenn es um „die Menschen“ (die Gattung, die Frauen, die Natur, das Klima) geht.

Unmenschlich war demnach die Frage einer Abgeordneten (auch noch der AfD) in Thüringen angesichts eines nicht ganz billigen Programms zur „Akzeptanz und Gleichstellung aller Lebensweisen“, wie viele Fälle von Diskriminierung einer wie großen Bevölkerungsgruppe dieses Programm denn nötig machten. Die Zeiten seien gottlob vorbei, in denen Homosexuelle sich hätten registrieren lassen müssen, scholl ihr prompt entgegen. Wie groß die von Diskriminierung betroffene Gruppe der „Diversen“ sei, wurde erst gar nicht gefragt, bevor man Behördenformulare und Bildungspläne „diversitysensibel“ änderte oder gar dritte Toiletten schon für Grundschulkinder forderte. Mittlerweile könnte man ahnen, dass nicht 160.000 unter 83 Millionen „betroffen“ sind, sondern womöglich noch nicht einmal 1.600, von denen viele gar keinen Wert auf „Diversitysensibilität“ legen.

In einer noch nicht allzu weit zurückliegenden Vergangenheit glaubte man, jedes Land und jede Regierung brauche Zahlen und Daten, um zu wissen, was man hat und was man braucht. Gerade „soziale Wärme“ braucht Bilanzen, sie will schließlich finanziert werden. Doch was gab es für einen Aufstand, als zu diesem Behufe die Bundesregierung 1987 eine Volkszählung veranstaltete! Das Ergebnis aber war ganz und gar nicht unerheblich. Man zählte eine Million Erwerbstätige mehr und eine Million Wohnungen weniger.

Doch das Gegenrechnen von Einnahmen und Ausgaben ist in Zeiten, in denen das Geld wie Kamelle aus dem Fenster geworfen wird, um das Volk bei Laune zu halten, ganz und gar unzeitgemäß geworden. Geld ist irgendwie vorhanden, und seit die „Zinsknechtschaft“ abgeschafft ist, kostet Schuldenmachen nichts mehr. Gut so – menschliche Wärme rechnet eben nicht! Da darf man ruhig mal klatschen!

Wenn Zahlen Angst schüren
Doch diesem bemerkenswerten Desinteresse an Zahlen tritt mittlerweile ihre neue Wertschätzung an die Seite. Beim Geld wird nicht nachgerechnet, doch unsere täglichen Corona-Zahlen gib uns heute und immerdar. Die Zahlen steigen, explodieren, erreichen einen neuen Höchststand, jeden Tag gibt es neue Meldungen, wir lernen Karten und Grafiken lesen, als ob es nie eine Kritik an der männlichen Vorliebe für kalte nackte Ziffern gegeben hätte. Es wird regelrecht mit Zahlenkot geschmissen, so dass sich jeder einfühlsame Mensch hinter seiner Mundnasenschutzmaske wegduckt.

Wer in der Schule nicht gelernt hat, diese Zahlen und Statistiken zu interpretieren, ist der Angst vor ihnen überlassen. Dabei können Zahlen gar nicht explodieren. Schon diese Aussage ist absurd. Vor allem aber: Was genau wird gezählt? Es ist ja kein geringer Un-terschied, ob sich die an sich unschuldigen Ziffern etwa auf die Zahl derjenigen beziehen, bei denen ein PCR-Test positiv anschlägt – selbst die WHO weist mittlerweile darauf hin, dass der Test für sich genommen unzuverlässig ist, auf ihm basieren jedoch alle politischen „Maßnahmen“ – oder ob die Zahl derjenigen gemeint sind, die von einem Covid-19-Virus infiziert wurden. Oder auf die Zahl derjenigen, die infiziert und infektiös sind. Oder auf die Zahl derjenigen, die an diesem Virus erkrankt sind. Oder auf die Zahl derjenigen, die behandlungsbedürftig sind, im Krankenhaus oder auf einer Intensivstation liegen. Oder auf diejenigen, die an oder mit Covid-19 gestorben sind. Selbst die Zahl der an einem Tag womöglich an oder mit diesem Virus Gestorbenen sagt nichts aus, wenn man sie nicht in Relation zum Durchschnitt der üblicherweise täglich Sterbenden setzt. Und so weiter und sofort.

Kein Raum für besonnene Analysen
In den Medien wird auf solche Feinheiten selten Rücksicht genommen, noch immer gilt als „Relativierer“, wer der Panik eine ruhige Analyse entgegenhält, dabei sind das mittler-weile nicht wenige – darunter Ärzte, Virologen, Statistiker, Immunologen. Dabei sind die allermeisten Todesopfer Menschen in hohem Lebensalter mit Vorerkrankungen, die in Alters- oder Pflegeheimen sterben. 89 Prozent aller bisher registrierten Corona-Toten waren über 70 Jahre alt, 70 Prozent zählten zu den über 80-Jährigen. Auch die Patienten in den deutschen Intensivstationen zählen zu mehr als zwei Dritteln zu dieser Gruppe.

Sie aber wurden weder in diesem noch in dem vorangegangenen Winter wirksam ge-schützt, das ist der wahre Skandal. Stets fehlte es an Schutzkleidung oder an Tests für die Mobilen, das Pflegepersonal.

Ihnen aber hilft es überhaupt nicht, dass das ganze Land nun schon seit beinahe einem Jahr im Lockdown und in Panik gehalten wird. Haben wir es wirklich mit einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ zu tun, die es rechtfertigen könnte, Grundrechte einfach außer Kraft zu setzen – und zwar noch nicht einmal nach Debatte und Beschluss im Bundestag, sondern qua Anordnung in einer Kungelrunde von Kanzlerin und Ministerpräsidenten, die keinerlei verfassungsrechtlichen Status besitzt?

Merke: Zahlen sind gut, wenn sie Angst auslösen. Kalt und unmenschlich aber ist, sie aufzuschlüsseln. Die Reaktionen darauf ähneln sich: Der eine oder andere widerspricht, weil er jemanden kennt, der jemanden kennt, der schon in jungen Jahren an Covid-19 ge-storben ist. Auch nur ein Toter ist zu viel, assistiert der Nächste. Man muss doch etwas tun, sollen wir sie vielleicht sterben lassen? Und spätestens jetzt führt jemand die „Bilder von Bergamo“ an.

Das ist der Punkt, an dem man sich dringend einen toxischen weißen Mann egal welchen Alters wünscht, der in aller Ruhe und sachlich erläutert, warum es gerade in Krisensituationen nötig ist, das subjektive Empfinden durch eine möglichst objektive Analyse dessen, was Sache ist, zu ersetzen. Doch in vielen öffentlichen Debatten geht es schon längst nicht mehr um Erkenntnisgewinn, sondern um die richtige Moral.

Bilder sind Momentaufnahmen, doch sie dringen über die Netzhaut direkt ins Gefühl. Angela Merkel wusste, wovon sie sprach, als sie 2015 die deutschen Grenzen gegen den Migrantenstrom nicht zu schließen wagte – sie fürchtete die Bilder. Was das über die Qualität ihres politischen Handelns aussagt, mag man sich kaum ausmalen.

„Einzelfälle“ und „Generalverdacht“
Doch so funktioniert die Medienöffentlichkeit: mit Bildern. Und mit dem Aufblasen eines Einzelfalls zu einem allgemeingültigen Befund. Man nennt das „Storytelling“ – der „Spiegel“ war stets Meister in dieser Disziplin. Man nehme ein berührendes Schicksal, beschreibe es entsprechend gefühlvoll und ordne es ins große Ganze ein, sodass der Leser sich betroffen fühlt: Seht her! Das geht uns alle an! (Warum hier ein Einzelfall fürs Ganze sprechen soll, während man jedes Mal, wenn ein Zugewanderter eine Straftat begeht, vor einem „Generalverdacht“ warnt, ist ein irritierender Widerspruch. Aber das merkt manch einer mit „Haltung“ schon gar nicht mehr.)

Ein in seiner Eindringlichkeit beinahe obszöner Bericht über das Leben und Sterben eines intubierten Menschen auf der Intensivstation appelliert an all unsere menschlicheren Regungen. Die Botschaft auch hier wieder: Schlimm! Jetzt ist unser aller Solidarität gefragt! In der derzeitigen Panikpandemie funktioniert das hervorragend. Aus „Solidarität“ müssen alle eine Maske tragen, Abstand halten, dürfen sich nicht mit mehreren „Haushaltsfremden“ treffen, und keine Versammlungen abhalten. Außer den geöffneten Lebensmittelgeschäften gibt es kaum noch einen Ort, an dem Menschen einander begegnen oder sich gar aufrührerisch zusammenrotten könnten. Schlimmstenfalls bleiben sie mit ihren Ängsten vor den „explodierenden“ Zahlen (und vorm Fernsehbildschirm) allein. Viele „Ich mach was mit Medien“-Menschen, insbesondere die weiblichen der jüngeren Generation, geben sich gar nicht erst die Mühe, sachlich aufzuklären – womöglich, weil sie das gar nicht mehr können.

Das ist der Moment, in dem man sich toxische Männlichkeit wünscht (über die ja auch Frauen verfügen), um der Panik Zahlen und Fakten entgegenzusetzen. Denn schon längst sind jene unterwegs, die frei nach dem Motto, man solle keine Krise ungenutzt vorbeigehen lassen, laut darüber nachdenken, wie man, was bei Covid-19 so prima funktioniert hat, auch für andere Zwecke einsetzen kann.

Dr. Cora Stephan ist Schriftstellerin und Publizistin. Sie schreibt für zahlreiche Tages- und Wochenzeitungen sowie Online-Medien. 2011 erschien „Angela Merkel. Ein Irrtum“ (Knaus), 2016 und 2020 die zeithistorischen Romane „Ab heute heiße ich Margo“ und „Margos Töchter“ (beide Kiepenheuer & Witsch). In Kürze erscheint „Lob des Normalen: Willkommen in der Wirklichkeit oder vom Glück des Bewährten“ (FinanzBuch Verlag).
www.cora-stephan.de


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Kommentare

Martin Hausser am 07.02.21, 17:13 Uhr

Der Verfasserin ist eine weitgehend vollständige und stringente Darstellung der Problematik gelungen. Insbesondere die ambivalente, ideologisch motivierte Haltung die die Vertreter des antiweißen Regimes Zahlen und Statistiken gegenüber an den Tag legen, ist anhand der Corona-Statistiken einerseits und des Umgangs derselben Leute mit dem Autor Thilo Sarrazin und dessen mathematisch-naturwissenschaftlicher Methodik andererseits, überzeugend gelöst worden. Um zukünftige Darstellungen noch wirkungsvoller zu machen und der Gefahr zu entgehen, den Vorwänden und Behauptungen unserer Schikaneure aufzusitzen und diese zu reproduzieren, sowie die sich hinter diesen Vorwänden und Behauptungen befindliche Absicht klarer hervortreten zu lassen, sei der Verfasserin folgendes ans Herz gelegt: Sie sollte von der Verwendung von Vokabular, dass dem Antiweißen Narrativ entstammt, absehen. Selbst in dem Fall, in dem dies als Mittel des Sarkasmus und der polemischen Überzeichnung getan wird, erweist sie uns und der Sache damit einen Bärendienst. Menschen, die der weißen Menschheit und der westlichen Zivilisation feindselig eingestellt sind, Menschen, weiterhin, die bei jeder Gelegenheit versuchen, Europäer bzw. Menschen europäischer Abstammung zu schikanieren, zu enteignen, zu entrechten, zu dämonisieren und zu entmenschlichen (und insbesondere diejenigen unter uns, die ihr Land, ihr Volk und ihre Kultur lieben), diese Menschen nennt man ANTIWEIßE. Sie sollten nicht als „Marxisten“, Liberale“, „Feministinnen“, „Anti-Rassisten“ oder welchen Namen sie sich immer gerade geben, um unter diesem Schikane und Leid gegen weißen Menschen auszuüben, bezeichnet werden. Ebenfalls sollten sie nicht als antiweiße „Rassisten“ bezeichnet werden, da dies das Kernkonzept, auf dem soviel anderes innerhalb ihrer Ideologie fußt, reproduziert und den Verwender im Antiweißen Narrativ gefangen hält, in dem er den Attacken der Schikaneure argumentativ kaum wird begegnen können. Dies ist umso ärgerlicher, weil ihr Kernkonzept im Sterben begriffen ist und ihnen damit unfreiwillig geholfen wird, selbiges am Leben zu halten. Nein, diese Leute sind antiweiß, ohne das ein weiteres Wort angefügt werden müsste.
Wenn die Verfasserin dies beherzigt, wird sie nicht nur zu noch aussagekräftigeren Analysen in der Lage sein, sondern sie wird in der Lage sein, gegen diese Teufel zurückzuschlagen.

In diesem Sinne!

Hausser


Zur weiteren Vertiefung sei ihr und jedem anderen die Lektüre des Werks „Go Free“ von Jason Köhne wärmstens ans Herz gelegt. Dort wird die gesamte Thematik noch sehr viel ausführlicher behandelt.

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