07.09.2024

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Südamerika

Brasilien feiert deutsche Einwanderer

Nach der Erlangung der Unabhängigkeit holte Kaiserin Leopoldine gezielt Landsleute aus ihrer alten in ihre neue Heimat

Bodo Bost
20.07.2024

Vor 200 Jahren, am 24. Juli 1824, landete das erste deutsche Einwandererschiff im Süden Brasiliens. Die deutschen Einwanderer, die jahrzehntelang in Brasilien ohne staatliche Hilfen auskommen mussten, klammerten sich viele Jahrzehnte an die alte Heimat und halfen, wie 1945, wenn es dort schlecht ging. Die neue Heimat feiert den Beginn der deutschen Einwanderung, die mit der Gründung der Kolonie São Leopoldo bei Porto Alegre in Rio Grande do Sul begann, mit einem Festjahr. Dass die deutsche Einwanderung nach Brasilien kurz nach der Erlangung der Unabhängigkeit des Landes von Portugal im Jahre 1822 begann, ist kein Zufall.

In Portugal hatten rund eineinhalb Jahrzehnte zuvor, im Jahre 1807, napoleonische Truppen das Land besetzt. Der portugiesische König, Johann VI. aus dem Hause Braganza, und seine Familie flohen nach Brasilien und ließen sich in Rio de Janeiro nieder, was auch die neue Hauptstadt des portugiesischen Weltreiches wurde. Nach der Liberalen Revolution in Portugal von 1821/22 forderten die Revolutionäre den König auf, nach Portugal zurückzukehren. Nolens volens folgte der Monarch der Aufforderung. Seinen ältesten Sohn Peter ließ er als Regenten in Brasilien zurück.

Am 24. Juli 1824 kamen die Ersten
Peter war seit 1817 mit dem fünften Kind und der vierten Tochter des österreichischen Kaisers Franz I., Erzherzogin Leopoldine, verheiratet. Diese erklärte 1822 an der Stelle ihres kranken Mannes Brasilien für unabhängig. Der neue unabhängige Staat wurde ein Kaiserreich mit Peter und Leopoldine als Kaiserpaar. Um die Unabhängigkeit auf feste Grundlagen zu stellen, brauchte das junge Kaiserreich, das damals eine mehrheitlich afrobrasilianische Bevölkerung hatte, europäische Einwanderer. Diese suchte Leopoldine vor allem in ihrer alten Heimat Deutschland. In Rio Grande do Sul, Santa Catarina und Paraná wurden die drei Kolonien São Leopoldo, São Pedro de Alcântara und Rio Negro gegründet. Diese drei Siedlungen sollten die Muttersiedlungen aller deutschen Einwanderer in Südbrasilien werden.

Hauptorganisator der Auswanderung im Auftrag Brasiliens war zunächst der deutsche Arzt Georg Anton von Schaeffer aus Münnerstadt in Unterfranken, der bereits 1821 eine Kolonie in Bahia, im Nordosten Brasiliens, gegründet hatte. Zusammen mit Leopoldine suchte er deutsche Siedler, um im Regenwald Landwirtschaft zu betreiben, und Reservisten für die Armee im Kampf gegen Uruguay und Argentinien, die beide Ansprüche auf den Süden Brasiliens erhoben. Jede Familie erhielt 77 Hektar Land, dazu Vieh, Saatgut und landwirtschaftliche Geräte. 39 Menschen im Alter von wenigen Monaten bis 49 Jahren verkauften damals in Norddeutschland ihr Hab und Gut, sofern sie welches hatten, und stachen in See über die Häfen von Hamburg und Bremen. Nach einer 120-tägigen Überfahrt und einer weiteren beschwerlichen Reise auf dem Landweg erreichten sie im Juli 1824 den heutigen Bundesstaat Rio Grande do Sul. Die Siedler mussten das Land roden, Häuser errichten und Getreide anpflanzen. Kirchen und Schulen bauten sie Jahre danach. Später kamen die meisten Auswanderer aus dem Südwesten Deutschlands

Die deutschen Bauern in Brasilien waren Selbstversorger und verkauften bald Überschüsse. Vor ihnen gab es in Brasilien nur Großgrundbesitz mit Monokulturen für den Export und Sklaverei, die erst 1888 abgeschafft wurde. Diese deutschen Kleinbauern, die sich bald auch in Kooperativen à la Raiffeisen zusammenschlossen, waren die Pioniere der bäuerlichen Familienbetriebe, die heute sieben Zehntel aller Lebensmittel in Brasilien erzeugen. Insgesamt kamen im Laufe von mehr als einem Jahrhundert etwa eine Viertelmillion Deutsche, welche die Landwirtschaft prägten.

Konfessionell war die Verteilung ähnlich wie im Herkunftsland. Die eine Hälfte war protestantisch, die andere katholisch. 1846 wurde die erste lutherische Kirche Brasiliens in São Leopoldo gebaut, kurz darauf die ersten beiden katholischen Pfarreien für die Deutschen errichtet. Bis 1945 gingen Protestanten und Katholiken getrennte Wege. Erst als Deutschland am Ende des Zweiten Weltkrieges am Boden lag und die Brasiliendeutschen als erste ein Dutzend Schiffsladungen Hilfsmaterial in die alte Heimat schickten, war die alte Feindschaft vergessen.

Jeder Zehnte hat deutsche Wurzeln
Lange lernten viele Deutsche nur rudimentär Portugiesisch. Das änderte sich erst, als Brasilien 1942 auf Druck der USA den Achsenmächten den Krieg erklärte und der Gebrauch der deutschen Sprache als Straftat verfolgt wurde. Trotzdem ist Deutsch bis heute die am zweithäufigsten gesprochene Sprache in Brasilien. Etwa zwei bis drei Millionen Brasilianer sprechen heute noch einen deutschen Dialekt; jeder zehnte Brasilianer hat deutsche Wurzeln. In zwölf brasilianischen Gemeinden ist Deutsch als Hunsrückisch oder Pommerisch zweite Amtssprache. Im Süden Brasiliens sind deutsche Traditionen noch sehr lebendig, Würstchen, Sauerkraut, Bier und Oktoberfest sowie Fachwerkhäuser kennt jeder Brasilianer. Das weltweit zweitgrößte Oktoberfest findet in der Großstadt Blumenau in Brasilien statt.

Auf der anderen Seite verschwinden jedoch sichtbare deutsche Einflüsse. Mit mehr als tausend deutschen Unternehmen ist São Paulo zwar die größte deutsche Industriestadt außerhalb Deutschlands, aber die letzte deutsche Zeitung wurde dort eingestellt und die meisten der einst mehr als eineinhalbtausend deutschen Schulen in Brasilien gibt es nicht mehr.

Manche Brasiliendeutsche treibt es sogar wieder zurück in die alte Heimat. Zwischen 2002 und 2017 ist die Zahl der in Brasilien ausgestellten deutschen Pässe stark gestiegen. Großes Interesse an den Nachkommen der deutschen Auswanderer hat die Bundesregierung jedoch nicht.

Luxemburg macht es anders. In den letzten zehn Jahren hat das kleine Großherzogtum 30.000 Brasilianern Luxemburger Abstammung die Staatsangehörigkeit gewährt. Die brasilianischen Luxemburger, die einst zusammen mit den Hunsrückern ausgewandert sind, stellen heute ein Zehntel aller Luxemburger.


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