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Zum 100. Todestag

Carl Ludwig Schleich – Multitalent

Vielseitig als bedeutender Mediziner, Schriftsteller, Philosoph, Komponist und Sänger

Martin Stolzenau
01.03.2022

Carl Ludwig Schleich stammte aus Stettin, hatte seine Hauptwirkungsstätte in Berlin und erreichte als Mediziner, Schriftsteller, Komponist und Philosoph deutsche Bekanntheit. Er revolutionierte mit seiner Einführung der Lokalanästhesie die Operationspraxis, verfasste lebensphilosophische Reflexionen, erlangte mit vier Millionen verkauften Buchexemplaren den Bestsellerstatus und genoss in ganz Deutschland den Ruf eines „Dichter-Philosophen“. Seine Autobiographie beflügelte zudem erheblich die bürgerliche Erinnerungsliteratur. Damit erreichte er auch über seinen Tod vor 100 Jahren hinaus eine beträchtliche Nachwirkung.

Schleich wurde am 19. Juli 1859 in Stettin geboren. Er war das dritte von sechs Kindern und der erste Sohn seiner Eltern. Sein Vater war ein erfolgreicher Augenarzt und führte den Titel eines Geheimen Medizinalrates. Seine Mutter entstammte einer Bauern- und Fischerfamilie von der Insel Wollin, die durch Kalkabbau zu Wohlstand gelangt war und dann ein Gut bewirtschaftete.

Schleichs Eltern waren kunstinteressiert, pflegten die Hausmusik und förderten die Talente ihres Jungen, der das Katharinen-Gymnasium in Stralsund bis zum Abitur besuchte. Hier erlebte er den Konrektor Leupold Freese, dem er als Autor später ein literarisches Denkmal setzte. Ab 1880 studierte er nicht Kunst, Musik, Philosophie oder Literaturwissenschaft, wie es ihm vorschwebte, sondern auf Wunsch des Vaters und des Onkels mütterlicherseits, der als Medizinprofessor wirkte, Medizin in Zürich. Dort lernte er bei einer Kneipentour und dem Gesang der Douglas-Ballade von Carl Loewe den Dichter Gottfried Keller kennen, der ihm zum Entsetzen des Vaters die Medizin ausredete und die Literatur sowie Musik ans Herz legte.

Nachdem ein schmerzlicher Unfall und elterliche Einflussnahme ihn zurück auf den Medizinerweg gebracht hatten, absolvierte er in Greifswald und damit im weiteren Umfeld von Stettin das Physikum, um anschließend in Berlin in der Obhut von berühmten Medizingrößen der Berliner Schule wie Bernhard von Langenbeck, Rudolf Virchow sowie Ernst von Bergmann sein Studium abzuschließen.

Nicht immer Medizin im Fokus

1886 kehrte der junge Arzt nach Greifswald zurück, wo er unter Heinrich Helferich promovierte und eine Assistentenstelle übernahm. Er strebte dabei zu neuen Ufern. Ganz besonders interessierten ihn Methoden der Schmerzlinderung beim Patienten. Schleich heiratete 1889 Hedwig Oelschlaeger, seine Jugendliebe, und gründete im selben Jahr in Berlin eine chirurgische Privatklinik. Parallel widmete er sich neuen Betäubungsverfahren bei chirurgischen Eingriffen. So kam es binnen Kurzem zur Entwicklung der lokalen Infiltrationsanästhesie, die er 1892 auf dem Chirurgenkongress in Berlin 800 Fachkollegen recht selbstbewusst vorstellte. Die etablierten Medizinergrößen reagierten mit Entrüstung.

Schleich wurde wegen „Anmaßung eines Mediziners ohne Rang“ mit Schimpf aus dem Langenbeck-Saal gejagt und anschließend mit Ignoranz bestraft, was seine akademische Karriere auf Eis legte. Er antwortete mit fachwissenschaftlichen Veröffentlichungen wie dem Buch „Schmerzlose Operationen“. Das machte seine neue Methode einer breiten Öffentlichkeit bekannt und bewog viele andere Mediziner schrittweise zur Anwendung. Doch die Medizin-Päpste waren nur langsam zu Zugeständnissen bereit. Schleich selbst wurde schließlich zum Professor ernannt, mit dem Geheimratstitel geehrt und 1900 mit der Leitung der Chirurgie im neuen Krankenhaus Groß-Lichterfelde beauftragt.

Künstlerisch unglaublich vielseitig

Parallel entwickelte sich der Medizin-Revolutionär mit seinen künstlerischen Talenten in den Berliner Salons zum Star. Er glänzte als Sänger sowie trefflicher Violoncellist, verkehrte mit anderen Größen wie Walther Rathenau, Hermann Sudermann, Leo Blech, Gerhart Hauptmann, Edvard Munch, Ernst Rowohlt, der Malerfamilie Begas sowie August Strindberg und war Stammgast in der Weinstube „Zum schwarzen Ferkel“, einem Szenetreff der Berliner Bohème. Dazu kamen zahlreiche literarische sowie philosophische Veröffentlichungen in Zeitschriften wie der „Gartenlaube“ bis hin zu seinem Tagebuch „Besonnte Vergangenheit“.

Nach dem Rücktritt vom Lichterfelde-Amt im heutigen Berlin-Steglitz zog sich der Aufsteiger aus Pommern auch aus seiner Privatklinik zurück. Schleich bezeichnete sich für einige Jahre selbst als „bummelnden Bourgeois“, der nun auch Kompositionen, Lieder, Novellen, Dramen und musiktheoretische Studien verfasste. Sein Fantasieroman „Es läuten die Glocken“ gedieh zum Bestseller. Noch größeren Erfolg hatte seine Autobiographie. Zwischendurch registrierte er mit Genugtuung die späte Korrektur einiger bedeutender Chirurgen wie die seines vormaligen Lehrers Ernst von Bergmann, der in aller Öffentlichkeit sein vorheriges Fehlurteil mit den Worten eingestand: „Schleichs Anästhesie ist nach der Narkose die erste deutsche chirurgische Großtat überhaupt. Seine Unterdrückung ist ein Schandfleck für die deutsche Chirurgie. Wir waren einfach blind.“ Eine späte Genugtuung für Schleich.

Bücher noch heute erhältlich

Schleich starb am 7. März 1922 während eines Kuraufenthaltes in Bad Saarow, 23 Jahre vor seiner Frau. Seine letzte Ruhe fand er auf dem Stahnsdorfer Waldfriedhof. Das Grabdenkmal schuf Werner Begas aus der befreundeten Künstlerfamilie.

Die Zeitschrift „Unser Pommerland“ würdigte den Landsmann danach mit Beiträgen. Dazu fand er im Werk „Die großen Deutschen“ und in den „Lebensbildern aus Pommern“ in Wort und Bild Berücksichtigung. Inzwischen gibt es einen von der Deutschen Gesellschaft für Anästhesie gestifteten Carl-Ludwig-Schleich-Preis, auf der Carl-Ludwig-Schleich-Promenade in 14193 Berlin eine Gedenkstele und im Stralsunder Stadtteil Knieper eine Carl-Ludwig-Schleich-Straße.

• Info Von der im Jahre 1938 eingeweihten repräsentativen Denkmalanlage auf dem Komantschenberg auf Wollin, seiner „Landheimat“, ist lediglich der Gedenkstein erhalten geblieben. Siehe PAZ Nr. 23 vom 11. Juni 2021


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