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Internationaler Militärgerichtshof

Churchill und Stalin wollten kurzen Prozess machen – ohne einen Prozess

Erst nach langer Diskussion kam die Führung der Nationalsozialisten vor 75 Jahren auf die Anklagebank

Klaus J. Groth
19.11.2020

Vor 75 Jahren setzten die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges die Hauptverantwortlichen des NS-Regimes, soweit sie derer habhaft werden konnten, auf die Anklagebank. Seither gehören die Nürnberger Prozesse, die am 20. November 1945 begannen, zu den festen Wegmarken deutscher Geschichte. „Nürnberg aber musste erst geschaffen werden“, schrieb der stellvertretende US-amerikanische Chefankläger Robert Kempner in seinen Lebenserinnerungen. Es war keineswegs selbstverständlich, dass der NS-Führung der Prozess gemacht werden würde. Es gab andere Vorschläge.

Mit zunehmenden Kriegserfolgen diskutierten die Alliierten Pläne, nach denen nicht nur die Führungsriege des Gegners zu bestrafen sei, sondern große Teile der Bevölkerung ebenfalls. Zehn Millionen Deutsche sollten zu Zwangsarbeit in die Sowjetunion und nach Frankreich deportiert werden.

Zwangsarbeit für zehn Millionen

Der Morgenthau-Plan, der zum Ende des Krieges bereits wieder verworfen war, gehörte ebenfalls zu den Vorüberlegungen. Neben der Bestrafung von Kriegsverbrechen sah der radikalökologische Plan ein grünes Land ohne Autos und schädlichen Kunstdünger vor, eine Zukunftsperspektive, die gegenwärtig neue Freunde findet. Der US-amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt und der britische Premier Winston Churchill, die dem Plan anfänglich zugestimmt hatten, distanzierten sich davon bereits vor dem Ende des Krieges.

Von der in dem Plan angedrohten Bestrafung der Träger des NS-Regimes distanzierten sie sich nicht. Noch im März 1945 vertrat Churchill den Standpunkt, es solle keine Prozesse geben. Stattdessen sollten die schlimmsten Nationalsozialisten durch Hinrichtungskommandos erschossen werden, das sei auch früher bei Kriegsverbrechern so üblich gewesen. Der Verbündete in Moskau, Josef Stalin, gab das Quantum vor: 50.000 Hauptkriegsverbrecher seien innerhalb weniger Wochen hinzurichten, ohne lange Debatte. Es genüge, wenn sie eine Funktion hatten und auf einer Liste der Kriegsverbrecher stünden. Churchill und Stalin wollten kurzen Prozess machen, indem sie einen Prozess verweigerten.

50.000 sofortige Hinrichtungen

In den Vereinigten Staaten beurteilte man die Lage anders. Der frühere Generalstaatsanwalt und damalige Richter am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten, Robert H. Jackson, wurde beauftragt, einen Gerichtshof der Alliierten vorzubereiten. Jackson schwebte ein New Deal für Deutschland vor, die Karten sollten neu gemischt werden, vor allem in der Volkserziehung und bei den Staatsbeamten. Als Verfechter dieser Linie argumentierte Kempner, es habe keinen Effekt, wenn nach einem Krieg mit 50 Millionen Toten noch einmal 50.000 Menschen verschwänden. Die von Churchill vorgeschlagenen Hinrichtungspelotons entsprächen den mörderischen Methoden der Gestapo. Es war reichlich Überzeugungsarbeit zu leisten, ehe sich Sowjets und Briten im August 1945 zur Einsetzung eines Militärgerichtshofes bereit erklärten.

Das Londoner Viermächteabkommen vom 8. August 1945 bildete die Grundlage für die Nürnberger Prozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher. Der Internationale Militärgerichtshof sollte Personen aburteilen, die einzeln oder als Mitglieder einer Organisation Verbrechen begangen hätten. Dazu zählten: Verbrechen gegen den Frieden (Planen, Vorbereitung, Einleitung oder Durchführung eines Angriffskrieges oder eines Krieges unter Verletzung internationaler Verträge); Kriegsverbrechen (Verletzung der Kriegsgesetze oder -gebräuche, Mord, Misshandlungen, Deportation zur Sklavenarbeit, Misshandlungen von Kriegsgefangenen, Plünderung öffentlichen oder privaten Eigentums, mutwillige Zerstörung von Städten, Märkten oder Dörfern oder jede durch militärische Notwendigkeit nicht gerechtfertigte Verwüstung); Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Mord, Ausrottung, Deportation oder andere unmenschliche Handlungen, Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen).

Das Material für die Anklagen hatte die War Crimes Commission (Kriegsverbrechenskommission) mit Sitz in London seit 1943 zusammengetragen. Daran beteiligt waren die Alliierten mit Ausnahme der Sowjetunion. Engländer, Polen, Tschechen und Ungarn hatten die Punkte zusammengestellt. Problematischer war es, die Taten Personen zuzuordnen. Adolf Hitler, Heinrich Himmler und Hermann Göring standen als erste auf der Liste. Tatsächlich angeklagt wurden in Nürnberg Göring, Rudolf Heß, Joachim von Ribbentrop, Robert Ley, Wilhelm Keitel, Ernst Kaltenbrunner, Alfred Rosenberg, Hans Frank, Wilhelm Frick, Julius Streicher, Walter Funk, Hjalmar Schacht, Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, Karl Dönitz, Erich Raeder, Baldur von Schirach, Fritz Sauckel, Alfred Jodl, Franz von Papen, Arthur Seyß-Inquart, Albert Speer, Constantin von Neurath, Hans Fritzsche und in Abwesenheit Martin Bormann.

Unter den Anklägern in Nürnberg fand ein regelrechter Wettbewerb statt, wer gegen wen klagen durfte. Dass dem Chefankläger der USA, Jackson, Göring überlassen werden musste, galt als ausgemacht. Jacksons Stellvertreter Kemp­ner wählte den weniger bekannten Innenminister Frick, denn „der hat mich ausgebürgert ... er hat die nutzlosen Esser getötet“.

Der Gerichtspsychologe Gustave M. Gilbert betreute während des Nürnberger Prozesses die Gefangenen. Er forderte sie auf, die persönliche Anklageschrift zu kommentieren. Eine Auswahl: Göring: „Der Sieger wird immer der Richter und der Besiegte stets der Angeklagte sein“; von Ribbentrop: „Die Anklage ist gegen die falschen Personen gerichtet“; Rosenberg: „Die antisemitische Bewegung war nur eine Schutzmaßnahme“; Frank: „Ich betrachte diesen Prozess als ein gottgewolltes Weltgericht, das bestimmt ist, die schreckliche Leidenszeit unter Adolf Hitler zu untersuchen und zu beenden“; Keitel: „Für einen Soldaten sind Befehle Befehle!“; Streicher: „Dieser Prozess ist ein Triumph des Weltjudentums“; von Schirach: „Das ganze Unglück kam von der Rassenpolitik“; Speer: „Eine Mitverantwortlichkeit für solch grauenvolle Verbrechen gibt es sogar in einem autoritären Staat.“

Der Prozess wurde bis zum 1. Oktober 1946 geführt. Zwölf der 24 Angeklagten wurden zum Tode verurteilt, sieben erhielten Freiheitsstrafen, drei wurden freigesprochen, und zwei Verfahren wurden eingestellt.


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Kommentare

Eurich Lobenstein am 09.12.20, 16:21 Uhr

die 20 als Hauptkriegsverbrecher verurteilten Personen sind zum einen nicht die Hauptkriegsverbrecher gewesen und zum anderen gab es noch genug Folgeprozesse (Ärzteprozess, Wilhelmstraßenprozess etc) und genug Lynchjustizverfahren mit Aufhängen von Höß, Frank, in Osteuropa und anderen in Landsberg (z.B. Dr. Claus Schilling). Man muß einmal alle gehängten, erschossenen und für lebenslang verurteilten zusammenzählen, weil sonst der irrige Eindruck entsteht, die Sieger hätten sich auf die 20 bekanntesten "Nazis" beschränkt.
Churchill bestreitet in seinen Erinnerungen, für Stalins Vorschlag optiert zu haben. Tatsächlich wäre Stalins Vorschlag besser befolgt worden: 50.000 Erschießungen wären eine letzte Kriegshandlung gewesen, die förmlichen Todesurteile und teils grausamen Hinrichtungen durch den Strang sollen schon Handlungen für einen Frieden darstellen.

Michael Holz am 22.11.20, 19:57 Uhr

Meine Vorkommentatoren haben eigentlich bereits Alles gesagt, was gesagt werden musste. Es war Siegerjustiz und zum Zeitpunkt der "strafbaren" Handlungen der Angeklagten gab es KEIN geltendes Völkerrecht, dass gerade diese Handlungen unter Strafe stellte. Die Sieger haben erst das Recht gesetzt und es widerspricht dem Rückwirkungsverbot.
Es hat in Nürnberg keine Unschuldigen getroffen aber auf der Anklagebank hätten auch Churchill, Stalin und Bomber-Harris gehört, aber die waren ja auf der Seite der Sieger.
Auch wenn einige Menschen glauben, es müsste ein Nürnberg 2.0 geben, sage ich: Das wird nicht geschehen, eher friert die Hölle ein!

hanss meiher am 21.11.20, 18:32 Uhr

75 Jahre Nürnberger Prozesse: Das größte Kriegsverbrechen gegen eine völkerrechtliche Regierung im 20Jahrhundert.

Wolfgang Beck am 21.11.20, 17:36 Uhr

Zitat aus Helmut Schorr: Adam Stegerwald. Gewerkschaftler und Politiker der ersten deutschen Republik. Recklinghausen 1966, S. 284: "In einem späteren Schreiben an die Militärregierung stellte er zum bevorstehenden Nürnberger Prozeß fest, die zweite Anklagebank sei unbesetzt. Hier seien die Alliierten zu plazieren. Sie hätte der vorausgegangen deutschen Regierung keine Chance gegeben. Alle ihre Bestrebungen seien zerschlagen worden, so das Hoover-Moratorium und die deutsch-österreichisch Zollunion. Nach der Machtübernahme habe Hitler für die Bekämpfung der deutschen Arbeitslosigkeit einsetzen können, die Brüning wegen der Einsprüche der Bank für internationalen Zahlungsverkehr nie zur Verfügung gestanden hätten. Trotz der deutschen Batholomäusnacht vom 30. Juni 1934 habe England kurze Zeit später mit Hitler einen Flottenvertrag abgeschlossen. Er führte dann eine Reihe von Vertragsbrüchen Hitlers an, welche die Alliierten hingenommen hätten, ohne etwas konkretes zu unternehmen, und warnte davor, das deutsche zu sehr zu erniedrigen."

sitra achra am 21.11.20, 13:01 Uhr

Die beiden großen Flächenstaaten waren die Haupttreiber der sogenannten beiden "Weltkriege". Sie hatten den Sack geschlagen und den Esel gemeint.
Wenn der Esel Deutschland, das schlagende Herz Europas vernichtet war, war auch Europa, der törichte Esel am Ende, wie heute zu bewundern ist.
Leider haben sie ihren Narrativ vom ehrenhaften Kampf gegen "Faschismus" und "Nazis" in die Hirne der Menschen gebrannt.
Doch ihre dreiste Geschichtsklitterung und ihre dauerhaften Lügen samt Selbstbeweihräucherung werden einer objektiven Analyse nicht standhalten.

Gregor Scharf am 20.11.20, 09:14 Uhr

Nürnberg - Ein Siegertribunal mit dem bitteren Beigeschmack der Rache und dem Vertuschen der eigenen Kriegsverbrechen. Gar nicht erwähnt die Greuel nachdem die Wehrmacht die Waffen streckte.
Erst wenn ein Nürnberg II stattfindet und kein ranghoher Staatsmann die eigenen Kriegsverbrechen als Heldentaten verherrlicht, erst dann, wenn auch dem Letzten klar wird, dass der Krieg an sich das eigentliche Verbrechen ist, angezettelt bisher noch zu keinem Zeitpunkt vom einfachen Mann auf der Strasse, wenn die Profiteure des weltweiten Schlachtens auf der Anklagebank sitzen, geht von einem solchen Prozess ein gerechtes Signal in die Welt.
Fazit: Nach Nürnberg hat sich die Zahl der Kriege vervielfacht. Gewaltexzesse toben um den Planeten der Affen. Klassenkämpfe, Rassenkämpfe und Feindbilder prägen die politischen Auseinandersetzungen. Was das mit Nürnberg zu tun hat? Falsche Signale setzen falsche Kräfte frei. Nürnberg ist dafür nur ein Beispiel in der Geschichte. Wofür sind die Millionen Opfer auf allen Seiten gestorben, wenn es munter weiter geht wie zuvor?

Jan Kerzel am 19.11.20, 16:50 Uhr

Es war Siegerjustiz, aber sehr maßvoll. Viele Schuldige, dreckige Figuren, konnten in der 2. und 3. Reihe die Biege machen und ungehindert in der BRD ihre Berufskarriere fortsetzen. Im 3. Reich hatte eine Ansammlung von Psychopathen die Herrschaft übernommen. Eine konsequentere Bereinigung wäre durchaus statthaft gewesen. Für die Millionen sinnlos ermordeter Menschen konnte es keine angemessene Gerechtigkeit , Rache oder Satisfaktion geben.

Siegfried Hermann am 19.11.20, 11:54 Uhr

Ich sach nur Siegerjustiz!
... bei diesen übelsten Kriegsverbrechern wie Churchill, Harris, Stalin, Beria und Roosevelt und Eisenhower nicht zu vergessen, die per Befehl 2 Mio. gefangene deutsche Soldaten auf den Rheinwiesen haben qualvoll krepieren lassen. Von den ungezählten ermordeten echten (!) Flüchtlingen aus dem Osten ganz zu schweigen.
Der einzige "Sieger" dieser Geschichte, der mit Anstand und Weitsicht und echten Friedenswillen bereit war den Krieg anständig zu beenden und die Deutsche Bevölkerung zu schonen, statt zu abzu-schlachten bzw verhungern zu lassen (Kaufmann/Morgenthau) , war Charles De Gaulle.

Mahlzeit!

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