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Russland

Coronavirus offenbart den wahren Zustand des Landes

Russische Energiekonzerne müssen ihre Erwartungen für 2020 nach unten korrigieren – Bevölkerung erwartet mehr „Klarheit“ von der Regierung

Manuela Rosenthal-Kappi
22.02.2020

Für Russland beginnt das neue Jahr wenig erfreulich: Das Corona-Virus und der Rückgang der Exporte nach China entblößen – für die Verantwortlichen völlig unerwartet – den wahren Zustand der russischen Wirtschaft. Putins Verfassungsänderung und die neue Regierung stoßen zudem auf wenig Begeisterung im Volk. Sie haben in Moskau, St. Petersburg, Archangelsk und Ulan-Ude Tausende Menschen auf die Straße getrieben. Sie fordern Klarheit, ein Referendum und eine Erklärung, wozu Putin ein neues Kabinett einberufen hat. Nur 38 Prozent erwarten eine Verbesserung der Lage. Das Volk ist Putin-müde, seine Gegner werden immer mehr. Es ist allgemein die Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Lage, welche die Russen umtreibt. Sie befürchten, dass die Einkommensaussichten schlechter werden. Die Inflationsrate, die 2019 mit 4,5 Prozent deutlich höher lag als 2018, führt zu Preisanstiegen, die das real verfügbare Einkommen der privaten Haushalte schmälern.

Einer neuen Regierung traut die Mehrheit nicht viel zu. In Umfragen liegt der Beliebtheitswert des neuen Premier Michail Mischustin gerade einmal bei drei Prozent. Wollte Mischustin der Bevölkerung erfreuliche Wirtschaftsnachrichten überbringen, müsse er lügen, so die Kritik. Auch Putins Beliebtheitswerte sinken. Laut einer Levada-Umfrage vom Januar vertrauen nur noch
35 Prozent der Russen ihrem Präsidenten, 2017 waren es noch fast 59 Prozent.

Seit dem Corona-Ausbruch in China hat der Energieriese Gazprom Absatzprobleme. Die Förderung ging um sechs Prozent zurück, der Export verringerte sich um etwa ein Viertel. Die harten Quarantänemaßnahmen Chinas haben zu einem geringeren Verbrauch im Reich der Mitte geführt: Flüge wurden gestrichen, der Straßenverkehr in Millionenstädten kam zum Erliegen, Fabriken wurden geschlossen. Das trifft Russland empfindlich. Der chinesische Ölimporteur CNOOC hat unter Berufung auf höhere Gewalt die Annahme von Öl- und Gaslieferungen verweigert, und die Kupferschmiede Guangxi Nanguo nahm georderte Rohstofflieferungen ebenfalls nicht an. Aufgrund der rückläufigen Nachfrage sanken zuletzt die Preise für Öl und Erdgas.

Hatte der Kreml als Antwort auf die Sanktionen des Westens mit einer Verstärkung des Exports seiner wichtigsten Wirtschaftsgüter nach China reagiert, so droht nun neue Unbill aus dem Westen durch die Flüssiggas (LNG)-Konkurrenz aus verschiedenen Ländern wie den USA, Katar, Australien, Malaysia oder Nigeria. Vor allem die USA könnten die durch das Corona-Virus entstandene Lage nutzen, ihr Fracking-Gas über günstige Preise verstärkt auf den europäischen Markt zu bringen.

Interfax berichtete, dass die LNG-Konkurrenten bereits 2019 ihre Verkäufe in Europa um 88 Prozent steigern konnten. Gazprom hat die Prognose der Exportgaspreise für 2020 bereits nach unten korrigiert. Statt 200 Dollar pro Tausend Kubikmeter werden nur noch 175 bis 185 Dollar erwartet. Kurzfristige LNG-Lieferungen, die zurzeit angeboten werden, kosten dagegen 100 Dollar pro Tausend Kubikmeter.

Der ungewöhnlich warme Winter und ein weltweites Überangebot an Öl und Gas drücken auf den Preis. Auch die Ukrainekrise wirkt sich negativ aus. Weil lange unklar war, ob und zu welchen Konditionen der Transitvertrag mit der Ukraine verlängert würde, haben die europäischen Abnehmer ihre Lager schon im vergangenen Jahr gefüllt. Das heißt, die angelegten Reserven werden jetzt aufgebraucht. In der Folge dürfte dies für Gazprom zu geringeren Einnahmen führen, weil die Nachfrage im Sommer, wenn für gewöhnlich die Lager wieder aufgefüllt werden, niedriger ausfallen wird.

Die schwächelnde Weltwirtschaft und die Lage in China stellen für die russische Wirtschaft ein Bedrohungspotenzial dar. Wieder zeigen sich die Nachteile einer allzu großen Rohstoffabhängigkeit. Sollte China als Abnehmer länger ausfallen sowie die USA und die EU ihre Sanktionen verstärken, ist mit einem Rückgang des Wachstums in Russland zu rechnen.

Diversifizierung reicht noch nicht

Die durch die Sanktionen beschleunigte Diversifizierung der Wirtschaft zeigt zwar gute Erfolge, diese reichen aber bei Weitem nicht aus. Die Landwirtschaft ist der am meisten prosperierende Wirtschaftszweig. Laut Rosstat, der staatlichen Statistikbehörde, erhöhte sich die Erzeugung aller Fleischarten gegenüber 2018 um 1,9 Prozent, einen Zuwachs gibt es auch bei der Milchproduktion. Russland hat sich zum weltweit größten Weizenexporteur entwickelt, aber gegenüber 2018 wurden vergangenes Jahr 27,6 Prozent weniger ausgeführt. Die Exporteinnahmen sind im Vergleichszeitraum insgesamt um 24,1 Prozent gesunken. Die Lage wirkt sich besonders auf die Regionen aus. Die Zahl der verschuldeten Gebiete hat sich von 15 auf 35 mehr als verdoppelt. Laut Finanzministerium beträgt das gesamte Defizit dieser 35 Regionen umgerechnet rund 3,4 Milliarden Euro. Als Sofortmaßnahme hat die russische Zentralbank den Leitzins gesenkt, da Kredite zu teuer seien. Sie prognostiziert ein Wirtschaftswachstum von 1,5 bis zwei Prozent für 2020 und hat eine weitere Zinssenkung im März geplant.

Putin kündigte im Januar zusätzliche Sozialleistungen an, die Geld kosten. Die Umsetzung der geplanten nationalen Großprojekte, die vor allem den Regionen nützen sollen, wird zu einem Anstieg des Staatsverbrauchs bei sinkenden Einnahmen führen.


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