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„Das Denken war Ratzingers Spezialität“

Während man in der Bundesrepublik vielfach mit dem verstorbenen Papst hadert, herrscht in Oberschlesien tiefe Trauer

Chris W. Wagner
04.01.2023

Während die deutschen öffentlich-rechtlichen Medien das Pontifikat Benedikts XVI. durch die Bank als problematisch darstellen und es auf den Missbrauchsskandal reduzieren, wird der Papst in polnischen Nachrufen als einer der wichtigsten Nachfolger Petri bezeichnet. „Als man in Deutschland merkte, dass Benedikt als Konservativer kein Kirchenreformator sein wird, hatte man seine Lehre abgelehnt“, so das Fazit im polnischen Radio24. Anders in Oberschlesien – dort hat die „Bild“-Überschrift „Wir sind Papst“ bis heute unter den heimatverbliebenen Deutschen Relevanz.

Noch als Bischof von München und später als Kardinal besuchte Joseph Ratzinger Schlesien. 1977 war er in Niederschlesien unterwegs, drei Jahre später besuchte er neben Trebnitz [Trzebnica]und Breslau auch das oberschlesische Oppeln und Kattowitz. 1982 war er noch einmal in Kattowitz und schenkte der Christus-König-Kathedrale ein Mosaik, das dort in der Kapelle des heiligen Sakramentes zu sehen ist. 2000 wurde ihm der Ehrendoktortitel der Theologischen Fakultät Breslau verliehen. Bei dieser Gelegenheit besuchte er auch das niederschlesische Heinrichau [Henryków] und Oels [Oleśnica].

Allein in Oppeln war Ratzinger sechs Mal. Im 18 Kilometer entfernten Chorulla [Chorula] hat er 1983 auf Einladung des damaligen Bischofs Alfons Nossol den Grundstein der dortigen Kirche eingesegnet. „Später hat er mich immer danach gefragt, wie es um seine kleine Kathedrale in Chorulla bestellt sei“, erinnert sich Erzbischof Emeritus Nossol an damals. Es geschah im selben Jahr, in dem Arnold Drechsler zum Priester geweiht wurde. Der Chef der Diözesan-Caritas sei, wie er sagt, voller Dankbarkeit für den Einfluss Benedikts auf seine theologische Weltanschauung: „Seine Diagnosen und Prognosen, sein Gedankenschatz – daraus schöpfe ich bis heute“, sagt Drechsler. Der 64-Jährige hatte im Priesterseminar Ratzingers Lehren zwar noch nicht gekannt, das kam später. „Ein kleines Buch ‚Mitarbeiter der Wahrheit' hat mein Interesse geweckt“, erinnert er sich. Auch als Caritas-Direktor fühlt Drechsler Ratzingers Einfluss, denn „seine erste päpstliche Enzyklika nannte er ‚Deus Caritas est'. Es war im Dezember 2005“. Für ihn gehören Benedikts Bestseller „Einführung in das Christentum“ und die drei Bände „Suma Theologika“ zu den Werken, auf die er immer wieder zurückgreift. Persönlich begegnet ist Drechsler Benedikt XVI. bei einer Audienz 2007. Um auf sich aufmerksam zu machen, rief der damals junge Geistliche nach eigenem Bekunden „vielleicht hundertfach“: „,Heiliger Vater!' – und dann kam er auf mich zu und legte seine großen, schweren, trocknen Hände in meine. Ich spürte, wie er doch physisch da ist, der Nachfolger Petri.“

Am Ende seines Pontifikats 2013 erfüllte Erzbischof Nossol Drechslers Wunsch und brachte ihm eine Widmung von Benedikt aus dem Vatikan mit. Es war der dritte Band von „Jesus von Nazareth“, den Benedikt für Drechsler signierte. Damit hat er etwas Persönliches von ihm, doch „das Wesentliche sind seine Gedanken, die er für uns in seinen Werken zusammengefasst hat“, so Drechsler. „Wenn Gott einen Professor zum Papst berief, dann wollte ER wohl Nachdenklichkeit und das Ringen zwischen Vernunft und Glaube in den Vordergrund stellen“, glaubt der in Sakrau [Zakrzów] in einer deutschen Familie geborene Geistliche. Die Ratio gehöre zur deutschen Kultur, betont Drechsler: „und das Denken war Ratzingers Spezialität“.


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Kommentare

sitra achra am 10.01.23, 15:09 Uhr

Cogito, ergo sum papam? Wie niedlich!
Gott soll einen Denker berufen haben, damit es endlich Hirn auf diesen vermaledaiten Planeten regnet? Ich glaube nicht, denn der alte Herr mit dem weißen Bart ist in Rente und überläßt diese Welt seinem Gehilfen mit dem Pferdefuß.

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