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Stahl und Dampf auf Papier: Ernest Stephen Lumsdens „Forth Bridge“ (1909)
Foto: Hessisches Landesmuseum DarmstadtStahl und Dampf auf Papier: Ernest Stephen Lumsdens „Forth Bridge“ (1909)

Graphikkunst

Das Einnebeln des Idylls

Natur, Mensch, Industrie in England um 1900 – Ausstellung zur Industrialisierung in der Kunst in Darmstadt

Claus-M. Wolfschlag
09.08.2024

Die Industrialisierung war ein ebenso tiefgreifender kultureller Einschnitt wie der Übergang vom Nomadentum zur Landwirtschaft vor etwa 12.000 Jahren. Zahlreiche Künstler haben deshalb die landschaftlichen Veränderungen seit Mitte des 19. Jahrhunderts verarbeitet.

Das Landesmuseum Darmstadt präsentiert derzeit exemplarisch Graphiken, welche den damaligen Wandel festgehalten haben. Dank einer Schenkung aus dem Jahr 2020 verfügt das Landesmuseum nun über mehr als 100 Werke von bedeutenden englischen Malerradierern. In der Ausstellung „Graphic Revival“ werden daraus 75 Werke von 28 Künstlern vorgestellt. Teils stammen diese ursprünglich aus einer Sammlung des preußischen Regierungsrates Heinrich Stinnes.

Die im 16. Jahrhundert entwickelte und im 17. Jahrhundert zur Blüte geführte Ätz-Drucktechnik der Radierung war im 19. Jahrhundert fast in Vergessenheit geraten. Es lag in der Berufung James McNeill Whistlers und seines Schwagers Francis Seymour Hadens, sie wiederzuentdecken und diesen Rückgriff für das beginnende industrielle Zeitalter künstlerisch nutzbar zu machen.

Die von ihnen angestoßene Drucktechnik-Bewegung war einerseits vom Geist der Romantik und des Symbolismus durchdrungen, während sie andererseits zunehmend Industrielandschaften dokumentierte. Die Dampfmaschine und die Schwerindustrie veränderten Mittelengland nämlich sukzessive in das „Black Country“, das damals größte Industriegebiet der Welt.

Die Schau beginnt mit einigen klassischen, stilistisch von Rembrandt inspirierten Idyllen. Zahlreiche Landszenen von Haden zeigen die Wiederentdeckung der klassischen Drucktechnik anhand von lieblichen Natur-Szenerien und bei Verwendung von Hell-Dunkel-Kontrasten. In seiner „Challow Farm“ von 1877 zeigt er einen im Vordergrund grasenden Esel, hinter dem sich ein von Wiesen, Büschen und Bäumen geprägtes Tal erstreckt. Die Landszene mit Packesel findet sich auch in Charles-Francois Daubignys „L'Ane au Pré“ von 1862. Das Rembrandtsche Windmühlen-Motiv griff Hester Frood um 1914 mit „The two windmills“ auf.

Doch schon bald schieben sich Industrieanlagen ins Bild. In Edwin Edwards „Englische Industrie-Landschaft“ von 1866 dominieren hinter der historischen Ansicht Bristols mit dessen Kirchtürmen längst unzählige rauchende Schornsteine. Präsentiert Sion Longley Wenban mit seiner „Brücke im Dachauer Moos“ vordergründig noch ein romantisches Flussidyll, so wird dieses bereits durch die endlosen Waggons eines am Horizont fahrenden Güterzuges kontrastiert. Vermeintliche Wolken entpuppen sich zunehmend als aufsteigender Rauch der Dampfmaschinen. In „The Mill at the Harbour“ (1913) von Dorothy Edith Griffiths Woolaard zwirbelt sich der Rauch aus dem Schornstein eines Dampfbootes spiralförmig und fast ornamental in den Hafenhimmel.

Und so endet die Schau mit Frank William Brangwyns dramatischen Inszenierungen des Tagwerks von Lohnarbeitern und mit Joseph Pennells Ansichten einer durch Strommasten, Eisenbrücken und gigantische Werksanlagen nun komplett industrialisierten Landschaft.

Claus-M. Wolfschlag
„Graphic Revival. Natur, Mensch, Industrie in England um 1900“, bis 29. September im Landesmuseum Darmstadt, Friedensplatz 1, geöffnet Dienstag, Donnerstag und Freitag von 11 bis 18 Uhr, Mittwoch bis 20 Uhr, am Wochenende bis 17 Uhr, Eintritt: 6 Euro. www.hlmd.de


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