14.12.2024

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Haile Selassie

Das Ende eines kaiserlichen Hoffnungsträgers für Afrika

Vor einem halben Jahrhundert wurde der letzte Negus Negesti von Äthiopien gestürzt

Wolfgang Kaufmann
07.09.2024

Am 12. September 1974 erfuhr die äthiopische Geschichte eine abrupte Wendung. Putschende Offiziere unter der Führung des Majors Mengistu Haile Mariam erzwangen die Abdankung von Kaiser Haile Selassie I. Danach verwandelte der Provisorische Militärverwaltungsrat (PMVR, Derg) die eng mit dem Westen verbundene konstitutionelle Monarchie in eine eng mit dem Osten verbundene marxistisch-leninistische Diktatur. Der gestürzte Herrscher, der als 225. Nachfolger des biblischen Königs Salomo sowie Abkömmling des mythischen äthiopischen Reichsgründers Menelik I. aus dem 1. Jahrtausend v. Chr. galt und die Titel Negusa Negest (König der Könige, Großkönig, Kaiser), Löwe des Stammes von Juda, Verteidiger des Glaubens, Auserwählter Gottes und Großer Führer trug, verbrachte die letzten Monate seines Lebens im Hausarrest, bis er in der Nacht von 27. zum 28. August 1975 auf Befehl des PMVR ermordet und kurzerhand unter den Dielen einer Palasttoilette verscharrt wurde. Damit endete ein 83-jähriger Lebensweg voller Dramatik.

Der spätere Monarch kam am 23. Juli 1892 als Tafari Makonnen auf die Welt. Sein Vater entstammte der kaiserlichen Familie, war aber lediglich Provinzgouverneur. Er verstarb 1906. Danach erhielt Tafari Makonnen eine Erziehung am Hofe von Kaiser Menelik II. und avancierte schließlich im September 1916 infolge etlicher glücklicher Umstände zum Kronprinzen und Regenten des Landes. Dem folgte die Verleihung des hohen Adelstitels Ras.

In seinem neuen Amt bemühte er sich um die Modernisierung Äthiopiens, das 1923 dem Völkerbund beitrat und damals noch meist Abessinien genannt wurde. Fünf Jahre später kam es zu einem Putschversuch konservativer Kräfte, den Ras Tafari Makonnen aber niederringen konnte. Nach dem Tode der Kaiserin Zauditu, die Menelik II. 1916 nachgefolgt war, schlug dann die Stunde des damals 38-Jährigen. Unter dem neuen Namen Haile Selassi (Macht der Dreifaltigkeit) bestieg er am 2. November 1930 in Nachfolge seiner verstorbenen Cousine den Kaiserthron in Addis Abeba.

Bemühen um Modernisierung
Zu den frühen Amtshandlungen des neuen Herrschers gehörte die Verabschiedung der ersten äthiopischen Verfassung. Diese sah zwar ein Parlament mit zwei Kammern vor, beschränkte die Handlungsfähigkeit des Monarchen in der Praxis aber nur ganz unwesentlich. So hieß es ausdrücklich, dass „die Person des Kaisers heilig, seine Würde unantastbar und seine Macht unbestreitbar“ sei.

Die weitere Entwicklung des Kaiserreiches wurde am 3. Oktober 1935 gewaltsam unterbrochen, als Truppen Italiens ohne Kriegserklärung aus dessen Kolonien Eritrea und Italienisch-Somaliland ins benachbarte Äthiopien einfielen und damit den bis dahin blutigsten militärischen Konflikt auf afrikanischem Boden auslösten. Durch das brutale Vorgehen der Invasoren, die in großem Stil Giftgas einsetzten und dann ein Terrorregime unter den Vizekönigen Marschall Rodolfo Graziani und Herzog Amedeo von Savoyen-Aosta etablierten, starben möglicherweise bis zu 760.000 Äthiopier. Die Besatzer erklärten ihren Feldzug nach dem Fall von Addis Abeba im Mai 1936 für beendet und vereinigten das bisherige Kaiserreich mit ihren Kolonien Eritrea und Italienisch-Somaliland zu Italienisch-Ostafrika (Africa Orientale Italiana, AOI, A.O.I.).

Haile Selassie zog zu Kriegsbeginn mit der Armee nach Norden und leistete dort zunächst recht effektiv Gegenwehr. Dabei lernte der Monarch auch, die Luftabwehr-Maschinengewehre zu bedienen, die sein Hauptquartier im Felde schützten. Am 31. März 1936 erlitt er jedoch eine schwere Niederlage in der Schlacht von Maychew. Daraufhin beschloss der Staatsrat des Kaiserreiches, dass der Kaiser ins Exil gehen und Italien vor dem Völkerbund in Genf anklagen solle. Seine dort vorgebrachten Forderungen nach Sanktionen gegen den Aggressor verhallten allerdings weitgehend ergebnislos. Letztlich verurteilten nur China, Neuseeland, die Sowjetunion, Spanien, Mexiko und die USA die Annexion Äthiopiens.

Schlagartig änderte sich die Situation, als Italien im Juni 1940 an der Seite Deutschlands in den Zweiten Weltkrieg eintrat. Nun erhielt Haile Selassie die volle Unterstützung Großbritanniens, weil Mussolini Italienisch-Ostafrika als Sprungbrett für Operationen gegen den Sudan, Kenia und Britisch-Somaliland nutzte. Die Rückeroberung von Äthiopien, an der Haile Selassi ab Januar 1941 persönlich teilnahm, endete im Mai des Jahres mit dem Einzug des Kaisers in Addis Abeba.

Sonderstellung in Afrika
1945 gehörte Äthiopien zu den 51 Staaten, welche die Vereinten Nationen (UN) begründeten. Der als treuer Verbündeter des Westens geltende Kaiser nahm nun die Rolle einer Integrationsfigur und Grauen Eminenz auf dem afrikanischen Kontinent ein und beeinflusste dessen Dekolonialisierung maßgeblich. So initiierte er die Gründung der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU). Und dann wurde er gar noch zum Hoffnungsträger der nach Ras Tafari Makonnen, also nach ihm, benannten Rastafaris, einer in Jamaika in den 1930er Jahren entstandenen und weltweit verbreiteten Bewegung. Die sah in dem zu den äthiopisch-orthodoxen Christen zählenden Kaiser den in der Offenbarung des Johannes angekündigten Erlöser.

Um Haile Selassies Bedeutung auch als Hoffnungsträger zu verstehen, hilft vielleicht ein gewagter Vergleich der Stellung seines Kaiserreichs in Afrika vor dessen Dekolonialisierung mit dem des Königreiches Sardinien in Italien vor dessen Einigung. Sardinien war ab 1848 ein Verfassungsstaat mit einer italienischen Dynastie in einem Italien voller Staaten mit fremdländischen Dynastien. Äthiopien war ab 1931 ein Verfassungsstaat mit einer afrikanischen Dynastie in einem Afrika voller europäischer Kolonien. Während aus dem letzten König von Sardinien schließlich der erste König von Italien wurde, wurde aus dem letzten Kaiser von Äthiopien allerdings nie der erste Kaiser von Afrika – auch wenn die äthiopischen Farben bis heute nicht ohne Grund als die panafrikanischen gelten.

Ungeachtet der internationalen Bedeutung im Allgemeinen und der in Afrika im Besonderen begann der Stern des Kaisers im eigenen Land ab der Mitte der 1950er Jahre zu sinken. Schuld daran waren vor allem wiederholte schwere Hungersnöte und die Unabhängigkeitsbewegung in Eritrea, das ab 1952 erst mit Äthiopien eine Föderation bildete, um dann schließlich von diesem annektiert zu werden. Ebenso die nach wie vor gigantische Machtfülle des Monarchen, an der auch die Verfassungsreform von 1955 nichts änderte. Der alternde Haile Selassie regierte weiter extrem autokratisch und vernachlässigte zusehends die Modernisierung seines überwiegend noch feudalen Reiches. Delegitimiert wurde seine Herrschaft auch durch die vielen Menschenrechtsverletzungen bei der Verfolgung seiner politischen Gegner. Infolge all dessen kam es zu wiederholten Revolten von Bauern und Studenten sowie drei Putschversuchen des Militärs, von denen der letzte dann vor einem halben Jahrhundert zum Erfolg führte.


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