02.10.2024

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Politik

Das gefährliche Spiel mit den Regeln der Demokratie

In Thüringen verstoßen ausgerechnet Repräsentanten der demokratischen Mitte gegen elementare Grundsätze der bestehenden politischen Ordnung

René Nehring
02.10.2024

Democracy Dies in Darkness“ – Demokratie stirbt in der Dunkelheit. So lautet seit 2017 das Motto der „Washington Post“, das sowohl den Kopf der Druckausgabe als auch das Banner der Webseite der altehrwürdigen Zeitung ziert. Es wurde somit in einer Zeit gewählt, in der die Eliten der traditionellen US-amerikanischen Mitte mit der Herausforderung des Populismus in Person des damaligen Präsidenten Donald Trump rangen.

Auch in Deutschland führen die Kräfte der traditionellen Mitte seit Jahren einen Kampf gegen die Herausforderung populistischer Bestrebungen – auf der rechten Seite die AfD, auf der linken Seite seit Kurzem das BSW. Und auch in Deutschland wird dieser Kampf gern mit grundsätzlichem Pathos ausgetragen, wird etwa das eigene Streiten um die Gunst der Wähler zum Kampf für die Demokratie stilisiert – und den neuen Wettbewerbern damit abgesprochen, demokratisch gesinnt zu sein.

Derlei Anschwärzen und Absprechen grundlegendster charakterlicher Eignungen ist zwar nicht schön und schon gar nicht fein, gleichwohl gehört es seit dessen ältesten Tagen zu den Spielregeln des Parlamentarismus dazu. Wer daran zweifelt, möge nachlesen, wie Otto v. Bismarck, Konrad Adenauer, Kurt Schumacher, Helmut Schmidt, Franz Josef Strauß, Herbert Wehner, Helmut Kohl und viele andere mit ihren jeweiligen Konkurrenten umgegangen sind. Und da die neuen Wettbewerber auch nicht gerade zimperlich im Umgang mit ihren etablierten Konkurrenten sind – man denke etwa daran, dass gerade erst im Thüringer Landtagswahlkampf die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht Olaf Scholz als „Vasallenkanzler“ der USA bezeichnete und AfD-Landeschef Björn Höcke die CDU als „transatlantische Vasallenpartei“ diffamierte –, erleidet das System Demokratie an dieser Stelle keinen ernsthaften Schaden. Es gilt eben für alle Beteiligten, dass wer austeilen kann auch einstecken können muss.

Ganz anders sieht es dagegen aus, wenn politische Akteure (naturgemäß in der Regel aus dem Kreis der jeweils herrschenden Eliten) anderen Akteuren (ebenso naturgemäß in der Regel aus den Reihen der Opposition) deren elementare Rechte vorenthalten – und damit gegen die Spielregeln des Systems Demokratie verstoßen. Seit Gründung der AfD versuchen die etablierten Parteien der Bundesrepublik, der ungeliebten Konkurrenz unter anderem durch das weitestmögliche Vorenthalten von öffentlich-rechtlicher Sendezeit, durch das Vorenthalten staatlicher Gelder (etwa für die parteinahe Desiderius-Erasmus-Stiftung) oder auch durch das Vorenthalten von ihr zustehenden Posten kleinzuhalten.

Die Bedeutung der Spielregeln
Das jüngste Drama in dieser Hinsicht ereignete sich vor wenigen Tagen in Thüringen. Da aus der Wahl vom 1. September die AfD als stärkste Fraktion im neuen Erfurter Landtag hervorgegangen war, stand dieser nach allem parlamentarischen Brauch unseres Landes erstmalig auch der Posten eines Landtagspräsidenten zu. Doch noch bevor sich die übrigen Fraktionen auf die Bildung einer neuen Landesregierung einigen konnten, verständigten sie sich darauf, dass der AfD der ihr zustehende Posten zu verwehren sei.

Das praktische Problem dabei war, dass der AfD der Posten nicht nur nach allgemeinem Brauch zustand, sondern dass sie nach der bis zuletzt gültigen Geschäftsordnung des Landtages auch das Vorschlagsrecht für die Wahl des Präsidenten des Hohen Hauses hatte, womit die anderen Parteien keineswegs einfach eigene Kandidaten aufstellen konnten. So kam es in der vergangenen Woche zum Showdown, aus dem kurzfristig die etablierten Parteien – unter anderem nach einem Eilverfahren vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof – zwar als Sieger hervorgingen, indem sie die Geschäftsordnung änderten und anschließend den CDU-Abgeordneten Thadäus König zum neuen Landtagspräsidenten wählten, auf lange Sicht jedoch der Demokratie durch den Eingriff in die bis dato geltenden Regeln schweren Schaden zufügten.

Zu den großen Schätzen der bundesdeutschen Geschichte gehört das nach dem Staats- und Verwaltungsrechtler sowie Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde benannte Böckenförde-Diktum, wonach „der freiheitliche, säkularisierte Staat (...) von Voraussetzungen (lebt), die er selbst nicht garantieren kann“. Eine der wesentlichen Voraussetzungen des Funktionierens eines demokratischen (also nicht auf Gewalt, sondern Volkswahl errichteten) Staates ist die Akzeptanz der Spielregeln durch alle beteiligten Akteure – und das Vertrauen-Können aller Akteure darauf, dass auch ihre Wettbewerber diese Regeln akzeptieren. Und dass allein das Wahlvolk darüber entscheidet, welchem Wettbewerber welche Macht zukommt. Auf welcher Grundlage also wollen diejenigen, die gerade in Thüringen behauptet haben, im Namen der Demokratie der AfD den ihr zustehenden Posten zu verwehren, künftig jene AfD auf die Einhaltung geltender Regeln verpflichten?

Richtig ist, dass die AfD selbst immer wieder Anlässe zu berechtigter Kritik gibt. So muss sich die Partei in Thüringen die Frage gefallen lassen, warum sie für den Posten des Landtagspräsidenten ausgerechnet eine Abgeordnete vorschlug, die 2018 wegen betrügerischer Abrechnungen gegenüber eben jenem Hohen Hause, dessen Vorsitz sie nun einnehmen wollte, verurteilt wurde. Doch kann ein derlei unreifes Verhalten einer Partei, die ansonsten über keine Gestaltungsmacht verfügt, die Akzeptanz eines politischen Systems wohl kaum in einem Maße beschädigen wie es die Spielregelverstöße derjenigen können, die diese Gestaltungsmacht besitzen.

Insofern droht der Demokratie keineswegs nur im Dunklen eine existentielle Gefahr, wie es die Warnung der „Washington Post“ besagt, sondern auch in aller sichtbaren Öffentlichkeit. Und zwar dann, wenn ausgerechnet diejenigen, die sich zu den entschiedensten Verteidigern der Demokratie erklären, selbst gegen deren elementaren Grundsätze verstoßen.


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