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Im Zuge der Kriegswirren verschwand ihr Leichnam spurlos aus dem Prussia-Museum im Königsberger Schloss
In Mooren herrscht aufgrund der vorhandenen Torfmoose ein stark saures Milieu. Das führt zu verschiedenen Effekten, wenn menschliche Leichname dort versinken. In erster Linie greift die Säure alle Knochen des toten Körpers an. Außerdem werden Haut und Haare konserviert. Und zu guter Letzt bleiben auch die Weichteile des Körpers nahezu vollständig erhalten, weil die Zersetzungsbakterien durch den herrschenden Sauerstoffmangel und die vorhandene Huminsäure nicht existieren können. Gerbsäure gerbt hingegen die Haut und machst sie ledrig. Muskeln und Körperfette werden darüber hinaus aus dem Leichnam herausgelöst.
Die Beine blieben verschwunden
Da die Moore in Europa erst nach dem Ende der letzten Eiszeit vor rund 11.600 Jahren entstanden, stammen die ältesten Moorleichen unseres Kontinents aus der Steinzeit. Mittlerweile kennt die Wissenschaft etwa eintausend Tote aus dem Moor, wobei die meisten in Irland, Großbritannien, Dänemark und den Niederlanden sowie in der norddeutschen Tiefebene gefunden wurden. Im Gegensatz dazu sind Moorleichen, die auf ostpreußischem Gebiet gefunden wurden, die Ausnahme. Hier kamen nur etwa zwei Dutzend beim Torfstechen zum Vorschein – darunter in den Orten Nimmersatt, Allenberg und Dröbnitz. In dem Zusammenhang ist der Fall des sogenannten Mädchens von Dröbnitz besonders gut dokumentiert, obwohl die Fundumstände eigentlich eher ungünstig waren.
Am 15. Juli 1939 nahmen einige Angehörige des Reichsarbeitsdienstes Grabungen im Moor bei Dröbnitz vor. Plötzlich stieß Erich Redman in etwa anderthalb bis zwei Metern Tiefe auf ein Stück Schafsfell. Beim Versuch, dieses ruckartig aus dem Torfboden zu ziehen, riss er ungewollt die Beine der darin eingewickelten Leiche ab. Umgehend ging eine Meldung an das Landesamt für Vorgeschichte in Königsberg, dessen Mitarbeiter am 20. Juli in Dröbnitz, einer kleinen Gemeinde im Landkreis Osterode, eintrafen und die von ihrem ursprünglichen Fundort verlagerten menschlichen Überreste bargen.
Die Beine blieben jedoch dubioserweise bis auf einen Oberschenkelknochenrest verschwunden. Zudem schied auch eine geologische Datierung anhand der Torfschichten aus, weil Redman nicht mehr sagen konnte, wo genau die Leiche gelegen hatte. Allerdings ergab kurz darauf die Analyse der an dem Fell haftenden Pollen, dass die weibliche Tote aus der Zeit um 500 v. Chr. stammte. Damals dominierte in großen Teilen Europas die eisenzeitliche Hallstadtkultur, welche durch eine deutliche Hierarchisierung der Gesellschaft und prunkvoll ausgestattete Großgräber für die Angehörigen der Elite gekennzeichnet war.
Todesursache bleibt ungeklärt
Das Mädchen von Dröbnitz, das im Alter von etwa zwölf bis 14 Jahren gestorben sein musste, gehörte wohl eher nicht zur Oberschicht. Sein Umhang aus vier zusammengenähten Schafsfellen zeugt ebenso von einem niederen sozialen Rang wie der Umstand, dass es nur eine einzige bescheidene Grabbeigabe erhielt, nämlich einen grob gearbeiteten Holzkamm. Darüber hinaus entdeckten die Königsberger Pathologen Krause und Zeiger, welche die Leiche obduzierten, elf Harris-Linien an den noch vorhandenen Knochen des Mädchens. Diese entstehen oftmals infolge von Vitamin- oder Nahrungsmangel.
Dazu passt das Ergebnis der Analyse des Magen- und Darminhaltes durch den Prähistoriker Walter von Stokar. Die letzte Mahlzeit der Toten war gemäß Untersuchung ein Brei, der aus Blättern, Blüten, Gräsern, Erbsen und ein paar Getreidekörnern bestand. Des Weiteren fand der Zoologe und Leiter der Vogelwarte Rositten, Lothar Szidat, bei seinen Nachuntersuchungen etliche Hinweise auf einen schweren Parasitenbefall. Allerdings konnten die Wissenschaftler am Ende nicht exakt herausfinden, woran das Mädchen letztlich wirklich gestorben war.
Viele Moorleichen sind Überreste von Menschen, welche gewaltsam getötet wurden – entweder im Rahmen einer rituellen Opferung oder als Bestrafung für bestimmte schwere Verbrechen. Im Falle des Mädchens von Dröbnitz ist aber eher von einem natürlichen Tod auszugehen. Fehlende Verletzungen sowie der Umstand, dass der Leichnam sorgfältig in den Pelzumhang eingerollt und auf dem Rücken liegend mit einer individuellen Grabbeigabe bestattet wurde, passen zu keiner anderen Theorie.
DNA-Analyse konnte nicht erfolgen
Gleichzeitig fallen zwei Dinge auf. Um 500 v. Chr. wurden Verstorbene normalerweise verbrannt und die Urnen mit ihrer Asche auf einem Gräberfeld deponiert. Somit liegt hier eine Abweichung vom üblichen Ritus vor, für die es nur wenige plausible Erklärungen gibt. Möglicherweise gehörte das Mädchen von Dröbnitz zur Gruppe der sozial Ausgestoßenen, die kein Begräbnis gemäß dem üblichen Brauch erhielten. Ebenso könnte der Tod des Teenagers aber auch in einer Notsituation erfolgt sein, welche die Hinterbliebenen objektiv daran hinderte, eine reguläre Bestattung durchzuführen.
Wissenschaftliche Untersuchungen der Überreste des Moor-Mädchens von Dröbnitz mit neueren Methoden wie beispielsweise der DNA-Analyse oder der Computertomographie hätten sicher noch viele weitere wichtige und wertvolle Erkenntnisse erbracht. Diese konnten jedoch nicht erfolgen, weil die konservierte Moorleiche, die zum Bestand der Schausammlung des Prussia-Museums im Königsberger Schloss gehörte, im Zuge der vorsorglichen Auslagerung der historischen Objekte am Ende des Zweiten Weltkrieges spurlos verschwand.