Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Eine kleine Geschichte des fossilen Harzes
Bernstein wird manchmal auch das „Gold Ostpreußens“ genannt. Nirgendwo auf der Welt fand und findet man mehr von dem dekorativen Material von zumeist braun-gelblicher Farbe als in der einstigen preußischen Provinz. Und dort wiederum konzentrieren sich die Vorkommen zu rund 90 Prozent auf den Raum um Palmnicken [Jantarny] an der Westküste des Samlandes. Früher hieß der Bernstein auch „Börnstein“ oder „Bernestein“ – von mittelniederdeutsch „bernen“, also „brennen“, womit eine ganz wesentliche Eigenschaft des Bernsteins Erwähnung fand.
Die Geschichte des Steins, der eigentlich gar keiner ist, sondern verhärtetes fossiles Harz, begann wahrscheinlich vor rund 50 Millionen Jahren während des Unteren Eozäns. Damals stand in Skandinavien ein riesiger Wald, dessen genaue Lage und Größe nicht rekonstruiert werden kann, weil die Inlandsgletscher während der Eiszeit sämtliche Spuren zunichte gemacht haben.
Ebenso ist unklar, von welcher Baumart das Harz stammte, aus dem sich der Baltische Bernstein bildete. Waren es urtümliche Goldlärchen, Zedern oder Schirmtannen? Oder Verwandte der ausgestorbenen Koniferenart Cupressospermum saxonicum? Und warum produzierten die Bäume eigentlich derart viel Harz, dass mehrere Hunderttausend Tonnen Bernstein entstanden? Waren die steigenden Temperaturen im Eozän dafür verantwortlich?
Auf jeden Fall gelangte der Bernstein später in die sogenannte Blaue Erde. Als Blaue Erde wird jene tonig-sandige Sedimentschicht bezeichnet, die im Samland stellenweise eine Mächtigkeit von über zehn Metern erreicht. Diese bildete sich vermutlich im ruhigen Wasser des mehr als hundert Kilometer breiten Mündungsdeltas des urzeitlichen Flusses Eridanos. Der durchströmte im Eozän das gesamte, damals noch über Wasser liegende Gebiet der heutigen Ostsee einschließlich des Finnischen und Bottnischen Meerbusens und floss dann im Raum der Danziger Bucht in ein Randmeer des Atlantiks. Und da er auch durch den Bernsteinwald mäanderte, nahm der Eridanos den „Edelstein“ mit auf die Reise nach Südwesten.
So viel wert wie ein Sklave
Als der Mensch nach dem Ende der Eiszeit vor 16.000 Jahren die südliche Ostseeküste zu besiedeln begann, war er bald von dem fossilen Harz fasziniert und fertigte daraus erste einfache Schmuckstücke. In der Jungsteinzeit wiederum, die im Baltikum von etwa 4200 bis 2200 v. Chr. dauerte, wurde Bernstein schließlich sogar zu einer höchst begehrten Handelsware, was sich auch während der nachfolgenden Bronzezeit nicht änderte. Davon zeugen Funde Baltischen Bernsteins im östlichen Mittelmeerraum, darunter in Qatna, einem Stadtkönigreich im heutigen Syrien, das um 1500 v. Chr. die Karawanenwege zwischen Ägypten und Mesopotamien kontrollierte.
Während der nachfolgenden Epochen erfreute sich der Bernstein noch größerer Beliebtheit: Die Pharaonen, Phönizier, Griechen und Römer hielten ihn für „Tränen der Sonne“ oder auch „Harn der Götter“ beziehungsweise „Versteinerten Honig“ und gaben für das dekorative Harz Luxusgüter aller Art her. In der römischen Kaiserzeit besaß ein kleines Bernsteinfigürchen den Wert eines Sklaven.
Die Ware gelangte auf speziellen Handelsrouten, den sogenannten Bernsteinstraßen, von Nord nach Süd. Die wichtigste dieser Straßen führte von der Danziger Bucht die Weichsel aufwärts und durch die Mährische Pforte, bevor sie östlich des heutigen Wien die Donau überquerte und sich schließlich unter Umgehung der Alpen bis zur römischen Siedlung Aquileia am Golf von Triest schlängelte.
Das Bernsteinregal
Im Mittelalter nutzte man den Bernstein hauptsächlich für die Herstellung von Rosenkranz-Gebetsketten. Aufgrund des hohen Wertes des Materials führten die Feudalherren in Ostpreußen das Bernsteinregal ein, das heißt, sie erklärten die Gewinnung und den Verkauf des fossilen Harzes zu ihrem ureigenen Hoheitsrecht, dessen Verletzung sogar mit der Todesstrafe geahndet werden konnte. Erst als mit dem Bernstein nicht mehr sonderlich viel zu verdienen war, verpachtete König Friedrich I. das Bernsteinregal an die Bernsteindreherzünfte von Danzig und Königsberg. Und 1837 überließ Friedrich Wilhelm III. schließlich die gesamte Nutzung des Bernsteins im Samland für eine Ausgleichszahlung von 30.000 Mark den dortigen Gemeinden.
Gleichzeitig sorgte der preußische Staat aber weiterhin dafür, dass der wertvolle Rohstoff nicht in unbefugte Hände geriet. So erließ er beispielsweise Strandbetretungsverbote für Ortsfremde, welche bis 1885 galten. Noch im Jahre 1924 wurde vom Preußischen Staatsministerium ein Gesetz erlassen, durch das sämtliche Formen der Bernsteingewinnung strikt reglementiert und Verstöße gegen die geltenden Bestimmungen mit Geld- oder Freiheitsstrafen bedroht wurden. Badegäste, denen Zufallsfunde am Strand gelangen, mussten diese in Sammelstellen abgeben, selbst wenn es sich hier nur um vergleichsweise kleine Stücke handelte. Dabei hatte der industrielle Abbau von Bernstein im Tagebau längst einfache Techniken wie das Auflesen angespülten Bernsteins sowie auch das Bernsteinschöpfen vermittels Netzkeschern und das Bernsteintauchen verdrängt.