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Bei der Unterzeichnung der Absichtserklärung zur engeren Zusammenarbeit am 15. Februar 1991 auf der Oberen Burg von Visegrád: Der tschechoslowakische Präsident Václav Havel, der gastgebende ungarische Ministerpräsident József Antall und der polnische Präs
Foto: Péter AntallBei der Unterzeichnung der Absichtserklärung zur engeren Zusammenarbeit am 15. Februar 1991 auf der Oberen Burg von Visegrád: Der tschechoslowakische Präsident Václav Havel, der gastgebende ungarische Ministerpräsident József Antall und der polnische Präs

Visegrád-Guppe

Das konservativ-nationale Korrektiv der Europäischen Union

Vor 30 Jahren vereinbarten die drei ostmitteleuropäischen sowie NATO- und EU-Aspiranten Polen, Ungarn und Tschechoslowakei eine verstärkte Zusammenarbeit

Wolfgang Kaufmann
15.02.2021

Visegrád, zu deutsch Plintenburg, liegt 40 Kilometer nördlich von Budapest nahe der ungarisch-slowakischen Gren­ze und kann auf eine lange bewegte Geschichte zurückblicken. Unter anderem kamen in der dortigen Burg, dem Sitz der ungarischen Könige, im Oktober 1335 die Könige Johann von Böhmen, Karl I. von Ungarn und Kasimir III. von Polen zu einem regionalen Gipfeltreffen zusammen und vereinbarten eine enge Zusammenarbeit in den Bereichen Politik und Handel. Daher war es von großer symbolischer Bedeutung, dass gerade Visegrád als Tagungsort eines weiteren Gipfeltreffens ausgewählt wurde, als die Tschechoslowakei, Polen und Ungarn nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Ende des Kalten Krieges Abstimmungsbedarf hinsichtlich ihrer künftigen politischen Positionen sahen.

Zu den Beratungen in der Oberen Burg von Visegrád trafen sich vor 30 Jahren, am 15. Februar 1991, die nunmehr frei demokratisch legitimierten Präsidenten beziehungsweise Ministerpräsidenten der drei ostmitteleuropäischen Staaten: Lech Wałęsa, József Antall und Václav Havel. Ihre anschließend verabschiedete Abschlusserklärung ist das Gründungsdokument der Visegrád-Gruppe, die seit Anfang 1993 auch „V4“ genannt wird, weil die Tschechei und die Slowakei nach dem Zerfall der Tschechoslowakei zu eigenständigen Mitgliedern avancierten. Wałęsa, Antall und Havel bekräftigten das gemeinsame Interesse ihrer Länder an der Westintegration, also dem Beitritt zur Europäischen Union und zur NATO. Darüber hinaus vereinbarten sie eine verstärkte Zusammenarbeit auf den Gebieten Kultur, Wirtschaft und Technik sowie Umgang mit nationalen Minderheiten.

Mit der Aufnahme in den Nordatlantikpakt zum 12. März 1999 beziehungsweise 29. März 2004 und in die EU zum 1. Mai 2004 erreichten die vier eines ihrer Hauptziele von 1991. Dadurch wurde diese besondere Form der Kooperation zwischen Polen, der Tschechei, Ungarn und der Slowakei jedoch nicht obsolet – ganz im Gegenteil. Verantwortlich hierfür waren die politischen Entwicklungen in der Folgezeit. Das Versagen der Europäischen Union bei der Sicherung ihrer Außengrenzen, der Zurückweisung illegaler Einwanderer und der effektiven Bekämpfung des islamischen Terrorismus erreichte ein nachgerade katastrophales Ausmaß.

„Zwei plus Zwei“
In dieser Situation einigten sich die Visegrád-Staaten auf eine seitdem konsequent beibehaltene harte Linie. So lehnten sie beispielsweise verbindliche Quoten ab, nach denen „Flüchtlinge“ auf die einzelnen EU-Länder aufgeteilt werden sollen. Polen machte dabei seine ausnehmend negativen Erfahrungen mit der Aufnahme von rund 90.000 muslimischen Tschetschenen geltend. Nicht einer der V4-Staaten sah sich als Einwanderungsland, und die Tschechei erklärte ganz explizit, „keinen einzigen illegalen Migranten“ beherbergen zu wollen. Die Position der Visegrád-Gruppe fasste der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán dergestalt zusammen: „Das Ziel unserer Flüchtlingspolitik ist es, die Migration zu stoppen.“

Die Visegrád-Staaten bilden heute jedoch nicht etwa einen monothematischen Club. Sie eint nämlich mehr als nur das Bestreben, den Einwanderungsbefürwortern in Brüssel, Berlin und anderswo Paroli zu bieten. So sind sie auch gegen den „European Green Deal“, also das von der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgestellte Konzept, den europäischen Kontinent bis 2050 „klimaneutral“ zu machen. Ebenso wird kritisiert, dass die EU das christliche Erbe Europas negiert, traditionelle Familienbilder in Frage stellt und die nationalen Identitäten der Mitgliedsländer durch einen oktroyierten Multikulturalismus zu untergraben versucht. Brüssel solle aufhören, den Ostmitteleuropäern zu diktieren, wie sie zu leben hätten, meinte Orbán im Juli vorigen Jahres hierzu. Darüber hinaus geißelte der ungarische Regierungschef im Namen auch der anderen V4-Staaten die Praxis ausländischer Konzerne, in den Visegrád-Staaten Lebensmittel minderer Qualität in Umlauf zu bringen. Dieses Agieren „mit zweierlei Maß“ müsse aufhören. Ansonsten wenden sich Polen, Ungarn, die Tschechei und die Slowakei auch noch ganz dezidiert gegen den Ruf nach „mehr Europa“. Für die V4-Staaten ist die Bewahrung des Status quo beziehungsweise die Rückkehr zu einem Europa möglichst souveräner Vaterländer sehr viel erstrebenswerter als noch mehr Zentralismus und Kommandowirtschaft.

Als Nettoempfänger erpressbar
Damit bekleiden sie eine ganz besondere Rolle in der EU, nämlich die der halbinstitutionalisierten inneren Opposition. Das einstmalige Zweckbündnis der Staaten des früheren Ostblocks hat sich inzwischen zu einer Art Binnenorganisation der EU entwickelt, die systematisch und gezielt gegen die Hauptstrukturen der Union agiert. Letztere verfügen dabei kaum über wirksame Mechanismen, die Blockadehaltung der selbstbewusst auftretenden und von ihrer jeweiligen nationalen Homogenität profitierenden V4-Staaten zu sanktionieren – sieht man vom Geld ab, denn alle vier Vise­grád-Staaten sind Nettoempfänger.

Ungeachtet der nach Außen demonstrierten Einigkeit, welche die Stärke der Visegrád-Gruppe ausmacht, gibt es unter den V4-Staaten aber auch Differenzen. So sind die Slowakei und die Tschechei etwas weniger EU-skeptisch als Polen und Ungarn. Das lässt manche Beobachter hinsichtlich der „Visegráder Vier“ von „Zwei plus Zwei“ sprechen. Die Slowakei signalisierte mittlerweile beispielsweise ihre Bereitschaft, zumindest kleinere Kontingente von „Flüchtlingen“ aufzunehmen. Darüber hinaus steht Polen mit seinem Kampf gegen Gasleitungen aus Russland unter Umgehung seines eigenen Territoriums in der Visegrád-Gruppe allein.

Käme es über solche Divergenzen, über die derzeit noch nicht laut gestritten wird, zur Erosion der Visegrád-Gruppe oder gar zu deren Zerfall, würde dies zu einer gravierenden Schwächung des konservativ-nationalen Elements in der EU führen.


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Kommentare

Jan Kerzel am 20.02.21, 16:07 Uhr

Sie wollen die Kohle aus Brüssel, dann müssen sie auch das garstig Lied singen. Da führt kein Weg daran vorbei. Zum Aufbau einer eigenen Wertschöpfungswirtschaft reicht die Leistungsbereitschaft hinten und vorne nicht. Ideen haette man schon, aber die Frage ist doch letztlich, wer macht es und wer bezahlt es. Und somit: zurück zum Anfang.

Frank Schmidt am 15.02.21, 15:12 Uhr

Mit der Inbetriebnahme von Nord Stream 2 würde auch die Slowakei erhebliche Transiteinnahmen verlieren. Sie steht hier auf der Seite Polens. Die Tschechische Republik wiederum unterstützt die Fertigstellung,da sie von der Anschlussleitung EUGAL Erdgas billiger beziehen kann.

Siegfried Hermann am 15.02.21, 10:18 Uhr

Schöne Zusammenfassung.
Hoffnungsvoll 1991 mit dem Abstreifen des russischen Joch´s gestartet, nach 30 Jahren den Teufel gegen den EU-Beelzebub getauscht.

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