13.09.2024

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Zeitgeschichte

Das Massaker von Aussig

Das Gemeinschaftswerk „Was geschah in Aussig am 31. Juli 1949“ eines deutschen und zweier tschechischer Autoren liefert eine genaue Abfolge der Ereignisse am Kriegsende ab – Eine verdienstvolle Arbeit mit einigen Mängeln

Konrad Badenheuer
24.08.2024

Mit „Was geschah in Aussig am 31. Juli 1945?“ hat der Verlag „Tschirner & Kosova“ ein neues Buch über das Massaker in Aussig am 31. Juli 1945 vorgelegt. Geschrieben von einem deutschen und zwei tschechischen Autoren ist es die erweiterte, komplett zweisprachige Ausgabe eines Buches, das bereits 2005 nur auf Tschechisch erschienen ist.

Der erste, deutschsprachige Teil enthält auf 88 Seiten eine ziemlich klare Darstellung der Ereignisse, ihrer Vorgeschichte, Hintergründe, Abläufe, außerdem Überlegungen zur Frage der Opferzahl. Lesenswert ist die Darstellung der damaligen Versuche der tschechischen Verantwortlichen, das für sie in vieler Hinsicht beschämende Ereignis intern aufzuklären, dabei politisch auszunutzen und propagandistisch mit absurden Vorwürfen an die Deutschen auszuschlachten. Es folgen Register, Angaben zu den Autoren, die neuen Abbildungen und schließlich der tschechische Buchteil.

Das Buch ist ein weiterer Mosaikstein zur Aufklärung der damaligen Ereignisse nach der 576-seitigen Studie zum selben Thema von Otfrid Pustejovsky aus dem Jahr 2001. Der 1934 in Mährisch-Ostrau geborene Pustejovsky ist auch einer der Autoren des neuen Buches. Der absolute Neuigkeitswert ist nicht allzu groß, aber verdienstvoll ist, dass dieses Buch eine weitere, kürzer gefasste Möglichkeit eröffnet, sich über dieses Massaker zu informieren.

Das Ereignis selbst ist heute recht gut aufgeklärt, was bis 1990 noch ganz anders war. Während das massenhafte Sterben der Deutschen in tschechischen Lagern noch bis ins Jahr 1946 hinein weiterging, endeten die offenen Massaker ansonsten fast überall am 16. Juli 1945. Es war der Tag vor dem Beginn der Potsdamer Konferenz der alliierten Siegermächte, und aus diesem Anlass ließ der tschechische Präsident Edvard Beneŝ das Morden einstellen, offenbar weil er davon nun politische Nachteile erwartete: Er wollte aus Potsdam einen möglichst „harten“ Vertreibungsbeschluss. Stalin hatte er dafür schon gewonnen, Churchill weitgehend ebenfalls, aber Roosevelt eben noch nicht. Er musste befürchten, dass weiteres Blutvergießen das Zögern der USA in dieser Frage eher vergrößern würde.

Dass er das Morden überhaupt beenden konnte, akzentuiert übrigens seine Verantwortung. Es war eben nicht so, dass nach Kriegsende spontan viele Tschechen damit begonnen hätten, ihre deutschen Nachbarn zu erschlagen, wie dies etwa 1994 in Ruanda beim Völkermord der Hutu an den Tutsi der Fall war. Beneŝ und seine Mitstreiter hatten das zwar gehofft und auch alles dafür getan, sie haben dieses Ziel aber nicht erreicht.

Motiv war lange unklar
Ebenso auffällig ist, dass es in Aussig auch tschechische Tote gegeben hat, sieben an der Zahl. Sie starben aber nicht durch die Hand deutscher Täter, sondern bei der Explosion in einer als Munitionsdepot genutzten früheren Zuckerfabrik, bei der auch 14 Deutsche starben. Fast unmittelbar danach begann an mehreren Orten in der Stadt die Gewalt gegen die Deutschen. Unklar war lange das Motiv der Täter. Und wer waren diese? Heute wissen wir beides: Angestrebt wurde von den tschechischen Verantwortlichen die massive Beschleunigung der „wilden“ Vertreibung aus Nordböhmen durch mehr Terror gegen die Deutschen. Ein Massaker am 31. Juli war dagegen nicht geplant und auch nicht die Beeinflussung der Alliierten in Potsdam. Die Täter, das steht nun fest, waren kaum Aussiger Tschechen, sondern auswärtige. Hier bestätigen die tschechischen Quellen genau die Berichte der überlebenden Deutschen, mit vielen vor 1990 unbekannten Details. Diese Passagen gehören zu den informativsten des Buches.

Höchst unsicher war auch lange die Zahl der Getöteten. Bis heute ist sie nicht ganz klar. Jahrzehntelang gingen die vertriebenen Aussiger von ein paar Hundert Toten aus (mit einer weiten Spanne von 200 bis 1000), auch Zahlen bis zu 2700 wurden vertreten. Diese Schätzungen waren schon immer insofern fragwürdig, als weit weniger Vermisstenmeldungen vorlagen. Der Schreiber dieser Zeilen hat in den 1990er Jahren eigenhändig alte Ausgaben des „Aussiger Boten“ ausgewertet, mit dem verblüffenden Ergebnis, dass nur ziemlich wenige Aussiger (aus der Erinnerung: etwa 50) seit dem Massaker als vermisst gemeldet wurden, dagegen mehrere Hundert (aus der Erinnerung: etwa 300) mit dem Hinweis „Lager Lerchenfeld“.

Sicher bekannt waren den Vertriebenen jeweils nur wenige Dutzend Tote des Massakers ebenso wie in diesem Lager im Norden der Stadt. Nun wurde nach 1990 aus tschechischer Quelle aber 537 Tote des Lagers Lerchenfeld publiziert – weit mehr als die Aussiger auch nur vermutet hatten. In beiden Fällen scheint die tatsächliche Opferzahl der Summe der gesicherten Toten und der namentlich bekannten Vermissten recht genau zu entsprechen, was auch bei den inzwischen genau erforschten Massakern von Saaz und Postelberg Anfang Juni 1945 so ist. Für das Ereignis von Aussig nennt das Buch unter Berufung auf Pustejovsky eine wahrscheinliche Opferzahl von etwa 100 und eine Obergrenze von 200 bis 220. Das mag hinkommen, aber es ist schade, dass nicht deutlicher gesagt wird, warum weiterhin eine etwas höhere Zahl möglich ist. Man weiß nicht, wie viele Leichen insgesamt nach dem 31. Juli flussabwärts an die Ufer der Elbe gespült wurden und wie viele davon Opfer das Massakers waren. Und man weiß nicht, ob die Liste der 24 im Krematorium von Theresienstadt erfassten Massakeropfer vollständig ist.

Ungenauigkeit der Übersetzung
Ungenau ist das Buch bei der Übersetzung. Alte Munitionsbestände und andere Hinterlassenschaften der Deutschen werden als deren „Überbleibsel“ übersetzt, was ein bisschen merkwürdig ist. Ein Dokument belegt das Ziel der tschechischen Verantwortlichen, mit schnellen Vertreibungen „fertige Angelegenheiten“ zu schaffen, gemeint sind vollendete Tatsachen. Und wenn die Geschäftsstelle des Bezirksnationalausschusses zur „Kanzlei des Okresní Národní Výbor“ wird, muss das der deutsche Leser erst einmal verstehen. Manche Fehler sind sinnentstellend.

Sehr schade sind in einem Buch mit dieser Thematik schließlich ein paar antideutsche Spitzen nicht nur gegen die Vertriebenen. Im Vorwort des prominenten Historikers Petr Koura heißt es, das Massaker sei in das deutsche „kollektive Gedächtnis ... als eines der grauenvollsten Massaker des ‚blutigen Sommers' 1945“ eingegangen. Tatsächlich ist das Ereignis der breiten deutschen Öffentlichkeit unbekannt. Weiter liest man, das Buch stelle ein „Musterbeispiel dessen dar, was in wissenschaftlichen Kreisen die ‚Dekonstruktion eines Mythos' genannt wird“. Auch davon kann keine Rede sein, denn die zu hohen, traditionellen Opferzahlen dieses Massakers hatten in sudetendeutschen Kreisen nie den Rang eines Mythos, schon weil die Spanne der genannten Zahlen dafür viel zu weit war.

Eine zeichnerische Darstellung der Gewalt auf der Beneŝ-Brücke aus dem Jahr 1965 wird schließlich als „sudetendeutsche Propaganda“ abqualifiziert mit dem Hinweis, die Darstellung weiche von der „tatsächlichen Lage ... beträchtlich ab“. Das stimmt sogar: Die Abbildung zeigt vier oder fünf Personen im Wasser unter einer etwa drei Meter hohen Brücke. Tatsächlich ist diese Brücke 13 Meter hoch, sodass an anderer Stelle im Buch zu Recht gesagt wird, dass nicht alle der (Dutzenden) ins Wasser Gestürzten sofort tot gewesen sein mussten.

Ein Fazit ist also, dass eine gut lesbare, knappe und zugleich exakte Darstellung des Aussiger Massakers leider immer noch fehlt. Dennoch handelt es sich um ein verdienstvolles und lesenswertes Buch.

Jan Havel/Vladimir Kaiser/Otfried Pustejovsky: „Was geschah in Aussig am 31. Juli 1945? Dokumentation eines Nachkriegsverbrechens“, Verlag Tschirner & Kosova, Leipzig 2022, gebunden, 237 Seiten, 39,80 Euro


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