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Rund vier Wochen ist Deutschland wieder einmal Gastgeber eines großen Fußballturniers. Wie die Europameisterschaft ausgeht, weiß niemand. Klar dürfte indes sein, dass die Politik versuchen wird, von der erwartbaren Euphorie zu profitieren
Fußball ist ein Spiegelbild der modernen Gesellschaft. Seit das Spiel um die Jagd nach dem runden Leder ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von der britischen Insel kommend den europäischen Kontinent und die Welt eroberte, schrieb es unzählige großartige, aber auch dramatische und traurige Geschichten. Es sind Geschichten von heroischen Siegen und tragischen Niederlagen, vom Aufstieg legendärer Spieler und dem Absturz tragischer Helden.
Längst sind die Erzählungen rund um den Fußball und deren Protagonisten zu Mythen unserer Zeit geworden. Wo früher Väter und Großväter von ihren Kriegserlebnissen erzählten, berichten ihre Nachfahren heute – nicht weniger bewegt als ihre Vorfahren – den Söhnen und Enkeln von unvergessenen Stadionbesuchen und „Jahrhundertspielen“, von einzigartigen Toren und Meisterschaften, die ganze Regionen und Nationen in einen kollektiven Jubel versetzten.
So lebt der heute im Mittelfeld der zweiten Liga dümpelnde FC Schalke 04 noch immer vom Ruf seiner Mannschaft aus den 1930er und frühen 1940er Jahren um die beiden aus Ostpreußen stammenden Spieler Ernst Kuzorra und Fritz Szepan, die nicht nur binnen weniger Jahre sechsmal Deutscher Meister wurden, sondern mit ihrer Spielform, dem „Schalker Kreisel“, gleich den ganzen Fußball revolutionierten. Und der Sieg der deutschen Nationalmannschaft um Fritz Walter im WM-Finale von 1954 gegen die ungarische Übermannschaft um Ferenc Puskás ging nicht nur als „Wunder von Bern“ in die Zeitgeschichte ein, sondern gilt auch als zweite Geburtsstunde der Bundesrepublik (wie umgekehrt für die Ungarn die Niederlage zum nationalen Trauma wurde). So stiften die Helden des Fußballs wie der „Boss“ Helmut Rahn, Schütze des Siegtors von 1954, und erst recht „Kaiser Franz“ Beckenbauer oder der „Bomber der Nation“ Gerd Müller aus der Weltmeistermannschaft von 1974 längst ein größeres „Wir“-Gefühl als die Heldenepen der Geschichte oder die Klassiker der muttersprachlichen Literatur.
Ein kollektives Lagerfeuer
Was den Fußball so besonders macht ist, dass er wie kaum ein anderes Ereignis Menschen der verschiedensten gesellschaftlichen Schichten zusammenbringt. Kanzler, Konzernlenker und sogar Könige jubeln über die Tore der eigenen Mannschaft genauso wie Handwerksgesellen, Paketboten oder Schüler. In einer zunehmend in unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen geteilten Welt, in der sich die Lebens- und Arbeitsmodelle kontinuierlich auseinanderentwickeln, ist der Fußball so etwas wie das letzte kollektive Lagerfeuer, um das sich die Nation noch immer fast vollständig versammelt. Selbst die Mehrheit der Migranten, die im Alltag oft mit der neuen Heimat fremdeln, tragen wenn der Ball rollt wie selbstverständlich Schwarz-Rot-Gold (oder in Frankreich die Trikolore).
Die Faszination des Sports verlockt indes immer wieder dazu, das Spiel in den Dienst politischer oder auch ökonomischer Interessen zu stellen. Prominente Beispiele für Letzteres sind die Gründung des Vereins RB Leipzig durch den Red-Bull-Konzern, das kostspielige Engagement der Holding „Quatar Sports Investment“ bei Paris Saint-Germain oder das Investment eines Konglomerats von Investoren aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, China und den USA bei Manchester City und anderen Spitzenvereinen rund um den Globus.
Noch größer – und länger andauernd – sind die Versuche der Politik, von der Popularität des Fußballs zu profitieren. So geht der heutige Pokalwettbewerb des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) unmittelbar auf den 1936 von dem Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten gestifteten Tschammerpokal zurück. Auch in der DDR war der Pokalwettbewerb des dortigen Deutschen Fußball-Verbandes (DFV) mit einer politischen Botschaft unterlegt, trug er doch den Namen der kommunistischen Einheitsgewerkschaft „Freier Deutscher Gewerkschaftsbund“ (FDGB).
Sport im Dienst der Politik
Generell hatte der Sport, nicht nur der Fußball, für die DDR im wahrsten Sinne des Wortes eine staatstragende Bedeutung. Seit der Trennung der gesamtdeutschen Olympiamannschaft 1965 investierte der kleine Arbeiter-und-Bauern-Staat in fast allen olympischen Disziplinen in Wettkampfstätten, Übungsleiter, Sportschulen, Fahrgelegenheiten, Nachwuchswettkämpfe und vieles mehr – und schaffte es so binnen weniger Jahre, bei Olympischen Spiele teilweise selbst die Supermächte USA und UdSSR in den Medaillenwertungen hinter sich zu lassen. Dass viele Erfolge nur durch ein flächendeckendes Dopingprogramm möglich waren, konnte erst nach 1990 belegt werden. Wie stark der Einfluss der Mächtigen in der DDR auf den Sport war, zeigte sich auch an den zehn Meisterschaften des Berliner Fußballclubs Dynamo in Serie, die nicht zuletzt deshalb möglich waren, weil Stasi-Chef Mielke seiner Lieblingsmannschaft nach Kräften unter die Arme griff.
Der Einfluss der Politik auf den Fußball zeigte sich indes nicht nur in den Siegen, sondern gerade auch in den Niederlagen. Wo erwartete Erfolge – und damit der erhoffte Propagandaeffekt – ausblieben, wurden schnell Schuldige gesucht und gefunden. So kostete die Niederlage der deutschen Nationalmannschaft im olympischen Fußballturnier von 1936 gegen Norwegen Reichstrainer Otto Nerz unmittelbar den Job, weil unter den 50.000 Zuschauern auch die komplette NS-Führung war, die – da die Skandinavier bis dahin noch nie gegen Deutschland gewonnen hatten – fest mit einem deutschen Sieg gerechnet hatte. Und Jahrzehnte später kostete eines der größten „Wunder“ der Fußballgeschichte, das 7:3 des FC Bayer 05 Uerdingen gegen Dynamo Dresden nach 1:3 Halbzeitrückstand, den Dresdner Erfolgstrainer Klaus Sammer umgehend seinen Posten. Wo das politische Prestige auf dem Spiel steht, gilt die alte Regel, wonach der Erfolg viele Väter hat, die Niederlage jedoch eine Waise ist, viel konsequenter als andernorts.
Natürlich versuchten nicht nur die beiden deutschen Diktaturen, den Fußball in ihren Dienst zu nehmen. Als der DFB zur Jahrtausendwende entschied, sich um die Austragung der Weltmeisterschaft des Jahres 2006 zu bewerben, brauchte der Verband nicht lange, um den damaligen Bundeskanzler und Fußball-Fan Gerhard Schröder für dessen Unterstützung zu gewinnen. Erst unlängst erklärte der seinerzeitige Außenminister Joschka Fischer in einer TV-Doku vielsagend, dass das Kabinett damals „das, was eine Regierung zur Unterstützung einer Bewerbung tun kann“, auch geleistet habe.
Das Ergebnis ist bekannt. Unter dem Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“ erlebte Deutschland 2006 sein historisches „Sommermärchen“: rund vier Wochen, in denen das Land in seltener Fröhlichkeit wie selbstverständlich in Schwarz-Rot-Gold gehüllt ein einziges großes Fest feierte – und sich bis auf ein paar ewiggestrige Linksintellektuelle niemand daran störte. Schon gar nicht die Gäste aus aller Welt, für die das selbstbewusste Tragen der eigenen Nationalfarben die normalste Sache der Welt ist.
Die Macht der schönen Bilder
Das Schicksal wollte es freilich, dass nicht Schröder und Fischer von dieser Stimmung profitierten, sondern – aufgrund der vorgezogenen Bundestagswahl von 2005 – die neu gewählte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Diese war zwar kein Fußball-Fan und hatte, wie sie Jahre später eindrucksvoll an einem Wahlabend demonstrierte, nichts für die Nationalfarben übrig, doch erkannte sie während des „Sommermärchens“ schnell, welch wirkmächtigen Bilder sich rund um den Fußball erzeugen ließen.
Und so suchte die Kanzlerin in der Folge regelmäßig die Nähe der Nationalmannschaft, die ihrerseits in Person der damaligen Doppelspitze aus Bundestrainer Jogi Löw und Geschäftsführer Oliver Bierhoff auch die Nähe zu ihr suchte. Der Höhepunkt dieser vor allem visuellen Partnerschaft waren die Bilder aus der Umkleidekabine der Nationalmannschaft nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft im Maracanã-Stadion von Rio de Janeiro im Sommer 2014.
Damals setzte jedoch auch eine fatale Neigung ein, die Nationalelf in den Dienst politischer und gesellschaftlicher Missionen zu stellen. So wurde bei der Weltmeisterschaft 2018 in Russland „die Mannschaft“ – das Wort „Nation“ war bereits kurzerhand entsorgt worden – für Kritik an der politischen Führung des Gastgeberlandes eingespannt. Anders als bei der WM in Brasilien vier Jahre zuvor, als auf allen Kanälen gezeigt wurde, wie warmherzig die Deutschen von den Einheimischen empfangen und gefeiert wurden, gab es 2018 keine Bilder zu sehen, auf denen deutsche Nationalspieler von russischen Fans gefeiert wurden, obwohl – zumindest damals noch – die Russen eine kaum zu erschütternde Bewunderung für Deutschland und die Deutschen in sich tragen.
Vor zwei Jahren dann erreichte die Instrumentalisierung der „Mannschaft“ für politische Zwecke anlässlich der Weltmeisterschaft in Katar einen Höhe- beziehungsweise Tiefpunkt. Auch hier kein Dank für die gigantischen Aufwendungen der Gastgeber, die eine perfekt ablaufende WM auf die Beine stellten. Stattdessen diskutierten die deutschen Elitekicker schon im Vorfeld auf Druck von Politik und Medien über viele „woke“ Fragen, allen voran, ob die „Mannschaft“ während der Spiele die regenbogenfarbene „One Love“-Armbinde als Zeichen der Solidarität mit den in dem Gastgeberland unterdrückten sexuellen Minderheiten tragen solle. Über die Aussichten, den Weltmeistertitel gewinnen zu können, sprachen die Spieler und Funktionäre des DFB weit weniger. Als der Weltverband FIFA letztlich das Tragen der angedachten Armbinde untersagte, hielten sich die Nationalspieler vor dem Eröffnungsspiel in Anspielung an die berühmten „Drei Affen“ („Nichts sehen. Nichts hören. Nichts sagen.“) kollektiv den Mund zu – und machten sich damit buchstäblich selbst zum Affen.
Zurück zum Fußball
Das Ergebnis dieser Verlegung des eigenen Fokusses vom Sport auf die Politik war, dass die deutsche Elf, die zu den erfolgsreichsten Mannschaften in der Geschichte des Fußballs gehört, gleich zweimal hintereinander in der Vorrunde ausschied. Letztlich war der Fußball auch damit ein Spiegelbild der Gesellschaft. Wo Fragen der politisch korrekten „Haltung“ wichtiger sind als Leistung, ist der Niedergang nicht weit. Immerhin zog der DFB schnell Konsequenzen. Die „Mannschaft“ bekam nicht nur ihr Präfix „National-“ zurück, sondern sie sollte sich fortan wieder stärker auf den Sport konzentrieren. Zusammen mit einer neuen sportlichen und organisatorischen Leitung führte dies dazu, dass die Nationalelf seitdem wieder mit den anderen großen Nationen mithalten kann.
Ob es bei der nun beginnenden Europameisterschaft im eigenen Land für die Nationalmannschaft und ihre Landsleute wieder zu einem „Sommermärchen“ reichen wird, ist schwer zu sagen. Die regierende „Ampel“, von der einige Minister bekanntermaßen traditionell wenig mit Deutschland anfangen können, ließ bislang wenig Begeisterung dafür erkennen. Doch dürfen die Deutschen sicher sein, dass für den Fall, dass die deutschen Spieler um den Titel mitspielen sollten, die Repräsentanten der „Ampel“ nicht zögern werden, sich im Trikot der Nationalelf oder gar in Schwarz-Rot-Gold zu zeigen.