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Das verkannte Ost-Gefühl

Bei den bevorstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg droht den Regierungsparteien ein historisches Debakel. Wer nach den Ursachen dafür fragt, sollte sich auch die Entwicklung im Osten des Landes seit der Einheit von 1990 ansehen

Klaus-Rüdiger Mai
25.08.2024

Mit Schrecken, Grausen, Panik und Wut sehen die einen den Wahlen im September in Sachsen, in Thüringen und in Brandenburg entgegen, die anderen mit Hoffnung und Vorfreude. Ein Blick in die Wahlumfragen ergibt ungefähr folgendes Bild: Die AfD führt in allen drei Bundesländern, es folgen in Sachsen die CDU, das BSW, weit abgeschlagen die Grünen, SPD und Linke bei jeweils fünf Prozent. In Thüringen folgt der AfD die CDU, das BSW, Linke und SPD. Die Grünen wären nicht mehr im Landtag vertreten. Auch in Brandenburg führt die AfD, auf dem zweiten Platz diesmal die SPD, dann die CDU und das BSW. Grüne und Linke finden sich hier an der Fünf-Prozent-Hürde.

Früchte westlicher Hochnäsigkeit
Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass, wenn sich die Wahlumfragen im Großen und Ganzen bestätigt haben sollten, das große Geschrei einsetzen wird, jede Menge an Volkspädagogik und die hunderttausendste Vermessung der Ostdeutschen durch Westdeutsche. Man kennt bereits das Arsenal an Beleidigungen und Beschimpfungen, das, wäre es etwa über das Wahlverhalten von Bremen formuliert worden, umgehend zu „Hass und Hetze“ erklärt worden wäre und zur größten Empörung geführt hätte. Da sich die Vernichtungsphantasien aber gegen Ostdeutsche richten, kann es natürlich weder Hass noch Hetze, sondern nur die lauterste Menschenfreundlichkeit sein, wenn man etwa Sachsen mit Napalm bombardieren will.

Doch ist man derlei Menschenfreundlichkeit, wenn im Osten des Landes nicht so gewählt wird, wie es das Brandmauerkombinat fordert, dort schon seit Jahren gewöhnt. So empfahl im WDR eine „Witzeerzählerin“, mittels Bombern die Sachsen mit Zitronensaft zu besprühen, weil das auch bei ihren Avocados helfe, dass diese nicht so schnell braun werden – was deshalb schon ein Rohrkrepierer ist, weil die Sachsen nie grün waren und deshalb, um in der Logik der Dame zu bleiben, auch nicht braun werden können. Doch die deutsche Lustigkeits-NGO strebt dem Ziel nach, dass, wenn man schon daneben liegt, dann auch richtig, weshalb die „Witzige“ noch einen draufsetzte und im selbstgefälligen Ernst abschloss: „... und wenn das nicht hilft: Napalm“.

Der Kommunikationsdirektor der Erzdiözese Köln, der es heute nicht mehr ist, twitterte vor einiger Zeit: „Tschechien – wie wär's: wir nehmen Euren Atommüll, Ihr nehmt Sachsen?“ Auch der Merkel-Hagiograph Ralph Bollmann von der früher liberal-konservativen „FAZ“ fand, dass die Ostdeutschen irgendwie nicht in die Bundesrepublik gehören: „Sie haben weniger Erfolg im Beruf und verdienen weniger Geld. Sie sind mit ihrer Lebenssituation im Schnitt weniger zufrieden und schimpfen über die Republik, die sie aufgenommen hat.“

Einer der Autoren der Räuberpistole vom „Geheimtreffen“ von Potsdam, das „Correctiv“ mehrmals corrigieren und als „Meinung“ deklarieren musste, Marcus Bensmann, hat Ende Juli 2024 mit Blick auf die Wahlumfragen getwittert: „Dann sollten wir lieber über eine Trennung nachdenken. Es kann nicht sein, dass eine Mehrheit der ehemaligen DDR-Bürger, die nur 1/6 der Gesamtbevölkerung stellen, mit der Westbindung das Erfolgsmodell der Bundesrepublik zerstören.“ So wie Bensmann Aussagen seiner Potsdam-Posse zurücknehmen musste, hat er auch diesen Tweet gelöscht, wahrscheinlich, weil die Zeit für seine große Wahrheit noch nicht reif ist. Vielleicht hat er aber auch gemerkt, dass die Zeit für diesen Tweet vorüber ist, er löst kein Schaudern mehr aus, er erschreckt im Osten niemanden, denn hier hat sich längst ein gravierender Stimmungsumschwung vollzogen.

Die Erfahrungen der Einheitszeit
Ausgerechnet Angela Merkel, die nur im Westen als Ostdeutsche wahrgenommen wird, nicht aber im Osten, entfachte den Konflikt. Das vereinigte Deutschland kannte die Kanzlerin des Niedergangs noch schlechter als den Osten des Landes, denn das lernte sie nur in der Dienstlimousine und dem Regierungsflieger kennen und unter Personenschutz. Die Politikerin, die sich als bodenständig ausgab, hatte nie den Boden des Landes berührt, sondern war immer nur über ihn hinweggeschwebt. So teilte sie die Erfahrung vieler Ostlandsleute, die nach 1990 in Vielem vollständig von vorn anfangen mussten, nicht.

Doch haben die Ostdeutschen die Ärmel hochgekrempelt und sich einen neuen Wohlstand erarbeitet. Dass sie von geschickten Westdeutschen aus ihren Positionen gedrängt worden waren, dass die Treuhand teils fragwürdige Geschäfte zu ihren Lasten machte, dass sie zur Witzfigur stilisiert wurden und der „dumme Ossi“ – am liebsten noch im peinlich schlecht nachgemachten sächsischen Dialekt – den dummen August im westdeutschen Humorverständnis ersetzte, all das verbuchte man als Preis der Freiheit, der Demokratie und der Möglichkeit, Wohlstand zu erarbeiten. Wer über Verluste sprach, wurde sofort als „Jammerossi“ abqualifiziert.

Doch hätten die Westdeutschen die Bundesrepublik und ihren Wohlstand binnen Kurzem zusammenbrechen sehen, all die Gewissheiten des Alltags, und wären sie gezwungen gewesen, von Grund auf neu anzufangen, hätten sie all diese Prozesse durchmachen und durchleiden müssen, die vornehm unter dem technischen Ausdruck Transformation zusammengefasst sind, wie viele Jammerwessis hätte es dann wohl gegeben? Vergessen werden zudem auch gern zwei Tatsachen: dass die
alte Bundesrepublik 1989/90 wirtschaftlich schwierigen Zeiten entgegenging sowie dass die Einheit die westdeutsche Wirtschaft belebte und sich der Aufbau Ost für westliche Unternehmen als äußert lukrativ erwies. Für die nüchternen Ostdeutschen ist das alles Geschichte und sollte es auch bleiben.

So jedenfalls war es bis zum Herbst 2015. Da zeigte sich schnell, dass es die Bundesrepublik, für die sich die ehemaligen Bewohner der DDR einst entschieden hatten – ein freier, toleranter, demokratischer Staat, der innere Sicherheit gewährleistet, dessen Infrastruktur funktioniert und der wirtschaftlich erfolgreich ist –, schon bald nicht mehr geben würde.
Früher als im Westen hatte man im Osten der Republik erkannt, dass Merkels Migrationspolitik den hart erarbeiteten Wohlstand der Bürger und die Zukunft ihrer Kinder zur Disposition stellte. Doch je stärker Merkel erkannte, wie falsch ihre Migrationspolitik war, umso stärker wurde die Willkommenskultur zum politischen Dogma erhoben. Denn Merkel vermochte keinen Fehler zuzugeben, selbst um den Preis nicht, einen noch größeren Fehler zu begehen.

Mief nach Ulbricht und Honecker
Mit Entsetzen verfolgten die Ostdeutschen dann, wie sich die Leitmedien, allen voran ARD und ZDF, in Regierungssprachrohre verwandelten, die sich immer weniger von der DDR-Propaganda unterschieden. Zwar wurde niemand von der Stasi abgeholt, aber auf dem Höhepunkt der Willkommenskultur wurden Andersdenkende diffamiert und marginalisiert. Die radikale Fremdenliebe konnte nur durch die radikale Nächstenfeindschaft durchgehalten werden.

Aber selbst das hätten viele Ostdeutsche noch hingenommen. Doch als Merkel im Frühjahr 2020 die freie Wahl eines liberalen Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD in Thüringen als „unverzeihlich“ bezeichnete und diese rückgängig machen ließ, miefte es für viele Ostdeutsche immer mehr nach Walter Ulbricht und Erich Honecker. Parallel dazu machte Merkels Pandemie-Regime dann deutlich, wie schnell die demokratischen Institutionen unterhöhlt werden konnten.

Dass nun den Ampel-Parteien im Osten herbe Verluste drohen, liegt an ihrer Politik des Niederganges, der De-Industrialisierung und des zunehmend institutionell geführten Kampfes gegen alle Meinungen, die nicht rotgrün sind und deshalb als „rechts“ markiert werden. Wobei „rechts“ für Innenministerin Faeser, Verfassungsschutzchef Haldenwang und Co. inzwischen gleichbedeutend mit rechtsextrem ist. So erinnert der Ampel-Staat die Ostdeutschen in seinem Wettkampf zwischen dem Niedergang der Wirtschaft und der Infrastruktur mit der Einschränkung der Freiheit und der Demokratie sowie der immer plumper werdenden Propaganda immer stärker an die späte DDR.

Die CDU stagniert derweil, weil sie sich von einer eigenen Politik verabschiedet hat. Sehen im Westen viele Wähler die Union noch als Gegenprogramm zu Rot-Grün, erinnert die CDU im Osten in ihren Beschwörungen der „Brandmauer“ sehr an die gleichnamige einstige Blockflöten-Partei und die Brandmauer selbst an die Nationale Front der DDR. Denn egal, was die Bürger wählen, am Ende bekommen sie stets grüne Politik.

Was den Osten ausmacht
Die wenig subtile Politikbeobachtung des Westens verkennt, dass es Wählern im Osten trotz des hohen Zuspruchs für AfD und BSW gar nicht um diese Parteien geht und auch nicht um deren Ideologie, sondern um einen echten Wechsel hin zu einer Politik, in deren Mittelpunkt wieder deutsche Interessen stehen. Die CDU wird das nur leisten können, wenn sie mit der Ära Merkel bricht und sie aufarbeitet. Doch genau das trauen ihr viele Ostdeutsche nicht mehr zu.

Hinzu kommt, dass all die postmodernen Politiker, die nur gelernt haben, in ihrer Blase zu agieren, und für die die schillernden Brechungen politischer Stereotype die Wirklichkeit ersetzen, die keine Verbindung mehr zu Tradition und Geschichte, zu Selbstverständnis und Heimat besitzen, die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen in deren Verbundenheit mit ihrer reichen Geschichte und Kultur nicht mehr erreichen.

Hier unterscheidet sich übrigens die DDR dann doch von Ampel-Deutschland. Der untergegangene Arbeiter-und-Bauern-Staat legte sehr wohl Wert auf Kultur und Bildung, auf die Leistungen der deutschen Geschichte. Er hielt die Erinnerung wach an Goethe und Schiller, an Luther und Bach, und reklamierte diese für sich. Die Schätze der eigenen Vergangenheit ungenutzt verkümmern zu lassen, wäre den kommunistischen Machthabern nicht in den Sinn gekommen.

Ein neues Selbstwertgefühl
In seiner Ansprache zur Einführung der D-Mark am 1. Juli 1990 in der DDR versprach Helmut Kohl den Bürgern des Landes „blühende Landschaften“. Wurde diese Formulierung angesichts all der Abwicklungen des alten Lebens anfangs noch von kritischen Stimmen voller Häme und Bitterkeit zur Beschreibung der Zustände von Rügen bis zum Thüringer Wald gebraucht, so muss man heute feststellen, dass die blühenden Landschaften (auch wenn längst nicht alles perfekt ist) durchaus entstanden sind. Dumm nur, dass viele Meinungsbildner im Westen davon nichts mitbekommen (wollen). Und so trifft der neue Stolz auf das Erreichte im Osten auf alte Ignoranz und Voreingenommenheit im Westen.

Womit ein Mann wie Marcus Bensmann bei seiner Drohung, über eine erneute Trennung nachzudenken, wenn im Osten nicht so gewählt wird, wie er als Musterdemokrat es anweist, nicht gerechnet hat, ist, dass derlei Drohung keinen Schrecken auslöst, sondern ein Kopfwiegen und den verschmitzten Gedanken: Warum eigentlich nicht? Eines will man im Osten jedenfalls nicht: dass verwöhnte Kinder aus dem Westen, die in ihrem Leben nie Kontakt mit der Wirklichkeit hatten, den hart erarbeiteten Wohlstand wieder zerstören.

Wer sich nun fragt, was gegen BSW und AfD im Osten – und übrigens immer stärker auch im Westen – hilft: mit Sicherheit nicht Propaganda und Medienkampagnen, sondern ganz einfach eine vernünftige, rationale Sachpolitik im Interesse des Landes und seiner Bürger. So einfach wäre es, wenn man es denn wollte. Doch beginnt ein solcher Ansatz nun einmal mit dem, womit Politik immer beginnen sollte: mit der unvoreingenommenen Betrachtung der Realität.


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Kommentare

K. M. am 29.08.24, 09:59 Uhr

Vielen herzlichen Dank. Der Artikel spiegelt genau das wieder, und schildert auch die Denkweise der Ossis wieder. Sie sprechen mir aus dem Herzen. Endlich jemand, der versteht und sachlich agumentiert.

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