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Das zynische Spiel mit der Geschichte

Die Versuche, mit der Vergangenheit Politik zu machen, haben eine lange Tradition. Der Weg zum Missbrauch von Opfern des Totalitarismus für tagesaktuelle Zwecke ist kurz

René Nehring
08.09.2023

Glaubt jemand im Ernst, dass es den Anklägern Hubert Aiwangers wirklich um das Andenken an die Opfer des „Dritten Reichs“ geht? Wohl kaum. Zu offensichtlich ist hier, dass die „Süddeutsche Zeitung“ und die Empörung vorgebenden Politiker vor der Landtagswahl in Bayern vor allem im Sinn hatten, den Chef der Freien Wähler und stellvertretenden Ministerpräsidenten auszuschalten und der CSU zugleich einen neuen Koalitionspartner aufzuzwingen (siehe hierzu auch die Seite 3 dieser Nummer).

Neu ist die Instrumentalisierung von Geschichte nicht: Schon in der Antike und im Mittelalter wussten Herrscher sich im Glanz heldenhafter Vorfahren zu sonnen. Als dann im 19. Jahrhundert Religion und Philosophie an Bedeutung verloren, wurde die Geschichte zur großen Sinnstifterin der Gegenwart. Dies gilt vor allem für Deutschland, das in jener Zeit nach Jahrhunderten der Zersplitterung zusammengeführt wurde und zugleich eine industrielle Revolution erlebte, die die gewohnten Lebensverhältnisse von Grund auf umkrempelte.

Jede Zeit hat ihre Erzählungen

Nicht ohne Grund ging seitdem jeder politische Wandel im Land der Dichter und Denker mit einer Neudeutung der Geschichte einher. Nach der Reichsgründung 1871 etwa behaupteten die Großmeister der „borussianischen Geschichtsschreibung“, dass die Hohenzollern jahrhundertelang nichts anderes im Sinn gehabt hätten, als die zersplitterten Deutschen zusammenzuführen. Jahrzehnte später stellten die Nationalsozialisten mit Institutionen wie der „Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe e. V.“ und dem „Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands“ die Geschichtsschreibung in den Dienst ihrer Ideologie. Und nach 1945 mussten die „Lehren aus der Geschichte“ dafür herhalten, um die Teilung des Vaterlands zu legitimieren. In der DDR hatte die Geschichtswissenschaft zudem die Begründung für den Herrschaftsanspruch der kommunistischen Staatspartei zu liefern.

Nicht vergessen werden darf, dass die historische Aufräumarbeit immer auch den Weg freimachte für die Karrieren nachwachsender Jahrgänge. So kam die sogenannte Flakhelfer-Generation schon früh in Führungspositionen, die ihnen andernfalls erst sehr viel später zugefallen wären. Besonders gründlich trieben dieses Spiel die „68er“, denen es – wie 2008 Götz Aly in seinem Buch „Unser Kampf“ nachwies – auf ihrem „Marsch durch die Institutionen“ mitnichten um die Aufarbeitung des „Dritten Reiches“ ging, sondern vielmehr um das Verdrängen bürgerlicher Eliten.

Ginge es heute den Anklägern Hubert Aiwangers wirklich um das Gedenken an die finsteren Jahre des „Dritten Reichs“, würden sie sich nicht nur jede Instrumentalisierung der Opfer des NS-Regimes für tagespolitische Zwecke verbitten, sondern gelegentlich auch um die anderen Opfer jener Zeit trauern. Sie würden zum Beispiel ebenso an die Verhungerten und Erfrorenen von Flucht und Vertreibung aus dem deutschen Osten erinnern oder an die Verschütteten und Verbrannten in den Luftschutzkellern nach den alliierten Bombenangriffen. Oder sie würden jener Landsleute gedenken, die an der innerdeutschen Grenze und bei der Niederschlagung des Volksaufstands vom 17. Juni 1953 erschossen wurden. Doch da diese Opfer nicht in die üblichen „Narrative“ passen, werden sie geflissentlich beschwiegen. Ein zynisches Spiel, bei dem es um alles Mögliche geht, nur nicht um die Opfer.

Wie es anders gehen kann, zeigte 2005 der deutsch-jüdische Schriftsteller Ralph Giordano in seinem Vorwort zu einem Bildband über das Kriegsende in Deutschland: „Ich habe mich fast ein ganzes Leben lang beschäftigt mit dem Leid, das Deutsche über andere gebracht haben – dennoch will ich das Recht haben, auch über deutsches Leid erschüttert zu sein.“

Von dieser Größe sind die selbst ernannten Kämpfer für den historischen Anstand unserer Tage weit entfernt. Mangels Wissens und mangels eigenen Anstands reicht es bei ihnen nicht einmal mehr für eine ordentliche Sinnstiftung – sondern nur noch zum Schmeißen schmutziger Stinkbomben auf einen politischen Gegner.

Die Opfer unserer Geschichte haben etwas Besseres verdient.


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Kommentare

Ralf Pöhling am 11.09.23, 00:40 Uhr

Deutschland existiert nicht erst seit 1933. Es hat eine Jahrtausende lange Vorgeschichte, die erst 1871 zum modernen Nationalstaat führte. Die Deutschen als Kulturvolk sind zwar uralt, als Nation gehören sie aber zu den Spätgeborenen. Und das hatte Folgen. Die meisten anderen auf dem alten Kontinent waren bereits Nation und wollten die neue Konkurrenz nicht haben, bei der man sich nicht mehr so einfach bedienen konnte, was sich dann an jeder Ecke bei jeder Gelegenheit zeigte, um Deutschland als Nation wieder kleinzukriegen. Es waren natürlich nicht nur die Franzosen, die so dachten. Die Briten und die Polen waren auch nicht besonders erfreut über den neuen starken Mann in der Mitte, der seine eigenen Ansprüche stellte. Was dann letztlich zur angeblichen Alleinschuld am Ersten Weltkrieg und zum Vertrag von Versailles führte, der Deutschland nicht nur um Staatsgebiet beraubte, sondern auch noch finanziell und von den Ressourcen her komplett ausblutete. Dieser Umstand legte den Grundstein für das Dritte Reich, den zweiten Weltkrieg und ja, auch den Holocaust. Wer aufs Schafott geführt wird, der hat nichts mehr zu verlieren und kämpft um Leben und Tod. Was zu einem Befreiungsschlag in Form eines Vernichtungsfeldzugs führte, auf dem alles und jeder bis auf die Knochen ausgeplündert wurde, der irgendwie dem Endsieg im Weg stand und dabei etwas zu verlieren hatte. Inklusive des jüdischen Teils der Bevölkerung. Die immer wieder genannten 6 Millionen Juden die im Zweiten Weltkrieg starben, täuschen darüber hinweg, dass 54 Millionen der Opfer des Zweiten Weltkrieges keine Juden waren. Und da muss sich mal ehrlich fragen, woran das lag. Wäre es nur darum gegangen, die Juden aus Deutschland zu vertreiben, hätte es 1939 keinen Einmarsch in Polen und keinen Westfeldzug mit der faktischen Umkehrung des Vertrages von Versailles 1940 in Compiègne und 1941 keine Operation Barbarossa gegen die Bolschewiki gegeben. Ich behaupte, ohne das Auspressen Deutschlands durch die Siegermächte 1918 und folgend, hätte es überhaupt keinen Holocaust gegeben. Weil es keine Notwendigkeit gegeben hätte, alles und jeden im Weg auszuplündern und den Zweiten Weltkrieg in Angriff zu nehmen. Es stellt sich auch heute noch die Frage, wie Deutschland den Krieg 1918 verlieren konnte, obwohl seine Truppen immer noch tief im Feindesland standen. Diese Erklärungslücken haben Gründe. Die Geschichte schreiben nicht die Historiker, sondern die Militärs und die Geheimdienste. Was in der Konsequenz bedeutet, das in den Geschichtsbüchern nicht unbedingt immer die Wahrheit steht. Das gilt für damals wie auch für die Zukunft. Wer weiß, was heute wirklich hinter den Kulissen läuft, kann das bestätigen. Die Wahrheit will das Volk aber meist gar nicht hören. Das Volk will nur das hören, was es hören will, damit es sich besser fühlt. Das ist überall so und wird bewusst gefördert, denn wer sich gut fühlt, der gibt Ruhe. Aber dies soll gerade keine Generalabrechnung mit dem Zweiten Weltkrieg und der Siegerjustiz werden, denn die heutige Weltlage ist eine völlig andere, sie ist brenzlig und erfordert ein völlig anderes Vorgehen in ganz anderen Allianzen, bei dem die damalige Geschichtsschreibung nicht unerheblich im Wege steht. Auf militärischer und geheimdienstlicher Ebene ist das kein großes Problem. Auf der sichtbaren politischen schon. Ich bitte deshalb alle Europäer und besonders die Deutschen darum, die Probleme der Welt von heute nicht an der Geschichtsschreibung von damals zu messen und genauso zu reagieren. Was damals falsch war, zur Zerstörung Deutschlands und zur jahrzehntelangen Teilung führte, ist es heute erst recht. Wir brauchen die Festung Europa, um als die Welt prägender Kontinent voller verschiedener kultureller Errungenschaften nicht von der Landkarte zu verschwinden. Das setzt voraus, dass alle Europäer an einem Strang in die selbe Richtung ziehen. Der Blick nach hinten ist dabei hinderlich. Es braucht den gemeinsamen Blick nach vorne. Für eine bessere Zukunft. Die Vorarbeit dafür hinter den Kulissen ist geleistet. Und wir haben nicht nur die meisten Europäer an Bord, im Gegenteil. Wir sind viel mehr, als es nach außen scheint. Auf verschiedensten Kontinenten. Aber die müssen jetzt alle mitziehen und dürfen sich nicht auseinander dividieren lassen. Keiner schafft das allein. Das schaffen wir nur alle gemeinsam. Alleingänge werden nicht mehr funktionieren. Alles, was heute wieder nach Drittes Reich riechen könnte, sollte deshalb von uns tunlichst gemieden werden.

Marion Eschenbach am 10.09.23, 13:38 Uhr

Und die Erinnerungskultur. Allgemeiner Begriff? In Deutschland erinnern wir uns nur an die Nazi-Zeit. Was anderes gibt es nicht. Jeder der aufmuckt wird daran erinnert und schon hält er die Klappe. Eine Art nationale Sippenhaft?
Komisch, dass ich vor der Wiedervereinigung von alldem nichts so richtig gemerkt habe. Danke Merkel.

Dorit Valentina Selge am 08.09.23, 20:04 Uhr

Vor zwei Jahren bin ich nach Deutschland zurückgekehrt und bin entsetzt, wie ungeniert hier die Regierungsgegner als rechtsextrem eingestuft werden, das begann damit, dass ein rechtextremer Block immer vorne am Anfang der Corona Demonstrationen ging und die zum Großteil normalen Menschen, darunter viele Geschäftsleute dann von der Polizei angegriffen wurden.
Ich habe den Fernseher nicht mitgebracht und musste zwei Jahre Rundfunkgebühren zahlen. Abmelden kann man das nicht trotz Arbeitslosigkeit, geht nicht.
Die Propaganda muss ich mitbezahlen, aber wenn ich keine Wohnung mehr habe, dann nicht. Also habe ich beschlossen, keine Wohnung zu haben.
Tatsächlich sind die Nachfahren der Nationalsozialisten "Hitlers Children" die ehemaligen RAF-Terroristen, die hier im Artikel Falkhelfergeneration genannt wird, die die junge Demokratie angegriffen hatten, so hat Jilian Becker diese beschrieben.
Diese Nachkriegsgeneration bestimmt immer noch das Geschehen in Deutschland. Die direkten Kinder der Waffen-SS, wie es Wolfgang Grams war, die sind offensichtlich gestört. Die strammen Nazis und deren Kinder haben alles unterwandert, wer in der Familie kein NSDAP Parteibuch hat, hat es nach 80 Jahren noch schwer, dafür habe ich genug Beweise, aber es interessiert niemanden. Der Rechtsstaat ist nie entstanden, er wurde sofort und fortwährend unterwandert. In Österreich
noch offensichtlicher. Der Staat im Staat, darüber hatte Konrad Adam einen Artikel geschrieben und dann die AfD gegründet, aber die wurde natürlich auch unterwandert wie jede einzelne Behörde.
Der Nationalsozialismus ist ein Krebsgeschwür. Die grausamen Experimente mit den Affen im Horror-Affen-Labor in Hamburg-Harburg haben es der Welt gezeigt. Aber die Welt hat das nicht gesehen.
Die ausländische Presse übernimmt die deutsche Propaganda.
Hey, GIS, ich habe keinen Fernseher und will von dieser Propaganda nichts sehen und nichts hören.

Michael Holz am 08.09.23, 16:00 Uhr

„Ich habe mich fast ein ganzes Leben lang beschäftigt mit dem Leid, das Deutsche über andere gebracht haben – dennoch will ich das Recht haben, auch über deutsches Leid erschüttert zu sein.“
Herr Nehring, Giordano war ein großer Mann und die regierenden Wichte des heutigen Deutschlands, reichen ihm nicht einmal moralisch bis zum Knie. Mein Vater fiel bei der Schlacht um Berlin irgendwo bei den Seelower Höhen, durch Kampfhandlungen sowjetischer Soldaten, und meine Mutter starb an einer anfänglich unbehandelten Kriegsverletzung, zugefügt durch einen anglo-amerikanischen Piloten. Soll ich nun die sowjet-russischen und anglo-amerikanischen Soldaten hassen? Mitnichten! Ich habe amerikanische Freunde und während meiner Dienstzeit in der DDR hatte ich sogar russische "gute Bekannte", wenn nicht sogar Freunde. Mich schmerzt es zu sehen, wie in der Ukraine und in Russland Menschen leiden und sterben. Sie haben so einen Tod nicht verdient. Gerade tot, werden sie schon wieder missbraucht. Stoppt diesen Wahnsinn!!!

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