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Dasselbe in Grün

In der „Klimaneutralen Gesellschaft“ erlebt die sozialistische Planwirtschaft ihre Auferstehung. Doch auch sie wird scheitern – weil sie nicht auf eine freie marktwirtschaftliche Ordnung setzt, sondern auf staatliche Lenkung

Klaus-Rüdiger Mai
21.06.2024

Diese Rede hatte es in sich. Als die am 17. April 2024 von Dr. Theodor Weimer auf einer Veranstaltung des Wirtschaftsbeirats Bayern gehaltene Ansprache zum Thema „Deutschland verbrennt seine alten Industrien“ Ende Mai auf YouTube hochgeladen wurde, dauerte es nicht lange, bis sie durch die Sozialen Medien rauschte und ihren Weg in die Medien fand.

Weimer ist Chef der Deutschen Börse, er spricht mit den Spitzen der in Dax und TechDax gelisteten Unternehmen, mit ausländischen Investoren, auch mit der Bundesregierung, vor allem mit Olaf Scholz, Christian Lindner und Robert Habeck. Sein Resümee fällt nicht freundlich aus: „Ich hatte inzwischen mein 18. Treffen mit unserem Vizekanzler und Wirtschaftsminister Habeck hinter mir und ich kann Ihnen sagen, es ist eine schiere Katastrophe.“ Was der Börsenchef in seiner Rede darlegte, war die Meinung, die ausländische Investoren und auch die Chefs der deutschen Dax-Unternehmen von der deutschen Politik haben, aber nie öffentlich zu äußern wagen.

Weimers Appell zur Selbstbehauptung dagegen: „Wir müssen eine Private Economy werden, wo die Unternehmer wieder sagen, wir machen nicht mehr mit. Der Staat wird es nicht richten, ausländische Investoren ziehen sich zurück.“ Die deutschen Unternehmer, so der Börsen-Chef, sollten nicht länger wie das Kaninchen auf die Schlange nach Berlin starren, bis es gefressen wird, sondern sie sollten wieder selbstständig und unbeeindruckt von der Regierung entscheiden. Als Beispiel führte er die USA an, wo ihm die Unternehmer sagten, dass es ihnen egal sei, welcher alte Mann Präsident sei, denn „wir als Unternehmer führen das Land“.

Damit setzt Weimer einen Kontrapunkt zur „Government Economy“, also zu einer staatlich gelenkten Wirtschaft, in die insbesondere die Grünen und deren verantwortlicher Ressortminister Deutschland Schritt für Schritt verwandeln – mit fatalen Folgen.

Märchen statt Wirtschaft
Die beiden Kernthemen der Wirtschaft, die letztlich über Erfolg und Wohlstand entscheiden, sind – Energie und Innovation. Von der Grundlagenindustrie wie Stahl- und Zementproduktion über KI bis hin zu Transport und Logistik ist für das Wirtschaftswachstum und für bezahlbare Preise, auch für private Nahrungsmittelkosten, die zuverlässige Verfügbarkeit von auch im internationalen Vergleich günstigen Energiekosten entscheidend.

Doch die Ampelregierung mit ihrem ideologiegetriebenen Wirtschaftsminister, der das Wirtschaftsministerium zum Märchenministerium umbaut, unternimmt das Gegenteil von dem, was wichtig und richtig ist. Sie stellt die Sicherheit der Energieversorgung in Frage, was zwar dramatisch, aber für die Öffentlichkeit noch nicht sichtbar ist, und sie sorgt für hohe Energiepreise. Wenn Habeck mit der frohen Botschaft durch die Lande zieht, dass die Energiepreise und die CO₂-Emissionen gesunken seien, dann entspricht das nicht der Wahrheit, sondern folgt nur der Methode, mit der Wahrheit zu lügen. Selbst Habecks Freunde bei der „Agora Energiewende“ mussten eingestehen, dass die Emissionen sich nur deshalb verringert haben, weil die Industrieproduktion zurückgegangen ist. Die Unternehmen verlassen in Scharen Deutschland, weil die Energie zu teuer ist und ihre Produkte damit nicht mehr auf dem Weltmarkt konkurrieren können, sowie auch wegen der ausufernden Bürokratie, beispielsweise des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes.

Wohin die Reduktion der CO₂-Emissionen führt und unter welchen Voraussetzungen sie funktioniert, zeigen folgende Daten. Deutschland will bis 2045 die Emissionen auf Null reduzieren, fünf Jahre übrigens vor der gesamten EU. 2024 soll die Reduktion 88 Prozent betragen, 2030 65 Prozent. Von 1990 bis ins Jahr 2020, also in 30 Jahren, gelang eine Reduktion von 40 Prozent. Doch zum großen Teil glückte diese, weil die Industrie der DDR, die alten Dreckschleudern, abgeschaltet worden sind. Heißt, die Reduktion der CO₂-Emissionen, zu der sich die Bundesregierung verpflichtet hat, lässt sich nur durch De-Industrialisierung erreichen – und dahin sind wir auf dem besten Weg.

Im letzten Jahr befand sich Deutschland in einer Rezession, das Wirtschaftswachstum sank um 0,3 Prozent im Vergleich zum Jahr 2022. Seit 2018 erlebt Deutschland einen Rückgang des verarbeitenden Gewerbes um 9,2 Prozent, während die Schweiz einen Anstieg um 19,7 Prozent, Österreich um 7,3 Prozent und die gesamte EU, obwohl Deutschland die Bilanz stark nach unten zieht, um immerhin noch um 3,6 Prozent vorweisen kann. Im gleichen Zeitraum geht die Produktion in der Automobilindustrie um 14 Prozent und in der chemischen Industrie sogar um 20 Prozent zurück. Das Einzige, was derweil anstieg, waren die Kosten für die Erneuerbaren Energien.

Die Ursachen der hohen Energiekosten
Damit wären wir bei Habecks zweiter Lüge. Die Energiepreise sind nicht gefallen, der Endverbraucher zahlt nur weniger, weil die EEG-Umlage in den Staatshaushalt verlegt wurde. Der Strompreis lag in den Jahren 2014 bis 2022 bei 28,03 Cent bei einem Jahresverbrauch von 4000 Kilowattstunden (KWh). Im Jahr 2022 stieg der Preis aufgrund der energiepolitischen Geisterfahrt von Baerbock und Habeck rasant auf 43,02 Cent bei einem Jahresverbrauch von 4000 KWh.

Aktuell liegt der Strompreis bei 37,73 Cent, also immer noch höher als bis zum Jahr 2022, denn die Voraussetzung dafür, die Energiewende finanziell noch einigermaßen beherrschbar zu halten, findet sich im billigen Erdöl und Erdgas aus Russland. Noch im Jahr 2018 sagte Jürgen Trittin dem „Spiegel“: „Das Grundargument, man würde sich von den Russen abhängig machen, ist falsch. Pipelinegas führt zu einer gegenseitigen Abhängigkeit, weil die Bindung zwischen Produzent und Konsument groß ist. Der Produzent ist sogar abhängiger, wenn der Konsument auch andere Quellen hat. Während Europa recht einfach auf Flüssiggas LNG aus den USA oder Katar wechseln könnte, kann Russland eben nicht so einfach den Abnehmer wechseln. Dafür müssten die ja eine neue Pipeline nach China bauen.“ Und: „Die Idee, der Russe würde aus Jux und Dollerei eben mal den Gashahn zudrehen, ist deshalb absurd: Der Kreml würde sich vorsätzlich selbst schädigen. Das hat nicht einmal die Sowjetunion im Kalten Krieg getan.“ Stimmt, die Russen haben auch nicht den Gashahn zugedreht, sondern Baerbock und Habeck wollten nach Ausbruch des Ukrainekriegs kein russisches Erdöl und Erdgas mehr importieren – und dann hat noch ein „hilfreicher“ Geist die Nordstream-Pipelines gesprengt.

Wie fahrlässig die Bundesregierung mit der Zukunft der Wirtschaft und der Privatleute umgeht, zeigt folgende kleine Chronologie: Im Frühjahr 2023 wurden die letzten drei von ursprünglich 17 Atomkraftwerke abgeschaltet. Im Jahr 2024 erlässt die Bundesregierung mit dem Gebäudeenergiegesetz de facto ein Ölheizungsverbot. Im Jahr 2035 soll das Verbrenner-Aus komplett sein, der Kohleausstieg soll zwischen 2030 und 2038 erfolgen, Erdgasausstieg bis 2045, außerdem sollen 80 Prozent der Gasnetze „zurückgebaut“, also zerstört werden.

Der grüne Elektrifizierungswahn
Stattdessen soll die grüne Elektrifizierungs-Utopie auf der Basis von Wasserstoff und Erneuerbaren Energien Wirklichkeit werden. Hatte Lenin einst mit dem GOELRO-Plan verkündet, dass Kommunismus nichts anderes sei als Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes, so modernisieren die Grünen nun Lenin: Klimaneutrale Gesellschaft ist Herrschaft der Grünen plus Elektrifizierung des ganzen Landes.

Allerdings erreichen die Grünen dann doch nicht Lenins Qualität, denn zur Elektrifizierung nutzte die Sowjetmacht alle Erzeugungsarten von Strom, so auch die AKW, während die Grünen die geniale Idee verfolgen, den Strombedarf durch die Komplettelektrifizierung zu maximieren und zugleich die zuverlässigsten Quellen für die Stromgewinnung – Kernenergie, Kohleverstromung, später die Verstromung von Erdgas – versiegen zu lassen. Die Erhöhung des Bedarfs bei gleichzeitiger Verringerung des Angebots ist eine einmalige ökonomische Variante.

Der lenkende Staat
Um diese Idee durchzusetzen, baut Habeck den Staat als zentrale Leitungs- und Planungsbehörde aus, die durch Subventionen und Interventionen auf der Angebotsseite die Wirtschaft in die grüne Ecke drängt sowie gleichzeitig auf der Nachfrageseite die Bürger und die Institutionen des Staates zwingt, die teuren grünen Produkte – etwa E-Autos statt preiswerter Verbrenner – zu kaufen.

Dadurch wird eine Staatswirtschaft als Subventionswirtschaft errichtet: Wenn die Umrüstung der Produktion auf die Herstellung von „Grünem Stahl“ teuer ist, dann fördert der Staat mit Milliardenbeträgen die Umrüstung. Wenn der produzierte Stahl wesentlich teurer auf dem Weltmarkt ist als der herkömmlich produzierte Stahl, dann übernimmt der Staat die Differenz von Weltmarkpreisen und Herstellungskosten und weist alle Behörden an, teuren „Grünen Stahl“ zu kaufen.

Die simple Wahrheit, dass Wirtschaft etwas erwirtschaften und nicht Steuergelder verwirtschaften soll, ist Habeck unbekannt. Bei seiner Vordenkerin, der italo-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlerin Marian Mazzucato, klingt das so: Der Staat „soll und kann die Richtung bestimmen, in der die Wirtschaft sich entwickelt“; er sollte als „Investor erster Instanz“ fungieren und Risiken übernehmen. Er kann und soll Märkte so gestalten, dass sie einen Zweck erfüllen. „Die Märkte werden freilich nicht von sich aus in eine grüne Richtung finden. Dem Staat fällt eine fundamentale Rolle dabei zu, für stabile, konsistente Investitionen zu sorgen, die sicherstellen, dass Regulierung und Innovation einen grünen Weg einschlagen, der das Problem des Klimawandels angeht.“

Warum die Wirtschaft stillhält
Die Frage, weshalb sich die Konzerne zum Teil darauf einlassen, ist leicht beantwortet. Wenn Manager, also Angestellte, ihre Boni erhöhen können, weil sie die Produktion ihrer Unternehmen subventionieren lassen und das unternehmerische Risiko dem Staat überhelfen können, sich selbst weniger dem anstrengenden Wettbewerb unterziehen müssen, dann ist das für sie eine tolle Angelegenheit. Wenn etwa ein Energieversorger prächtig an der Abschaltung eines AKW verdient, das Geld in den USA investieren kann, dann bezahlt aufgrund der Habeckschen Wirtschaftspolitik der deutsche Steuerzahler die De-Industrialisierung. Manager, die mit fremdem Geld agieren, lieben nicht den Kapitalismus, sondern sie lieben das Geldverdienen – das wird zuweilen verwechselt und erklärt, weshalb der BDI, der die großen Konzerne vertritt, mit Habeck kuschelt. Man macht ein Geschäft zu Lasten Dritter – die deutschen Steuerzahler.

Der neue Treiber für den Wohlstand ist indes Technologie. Doch statt das zu begreifen, versinkt Deutschland geradezu in Technologiefeindlichkeit. Für die Entwicklung neuer Technologien sind Investitionen erforderlich, nicht nur Staatsgelder, sondern vor allem privates Kapital. Doch die guten Investoren investieren nicht mehr in Deutschland. Aus Deutschland holt man nur Subventionen ab, das „stupid german money“. Und das war es dann.

Dr. Klaus-Rüdiger Mai ist Schriftsteller, Dramaturg und Publizist. Zuletzt erschien „Die Kommunistin. Sahra Wagenknecht. Eine Frau zwischen Interessen und Mythen“ (Europa Verlag 2024). www.europa-verlag.com


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