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Seele

Dem Trott entfliehen

Alltägliche Gewohnheiten zu ändern ist harte Arbeit – „Mindset“-Ratgeber versprechen dazu Hilfe. Doch die kann trügerisch sein

Stephanie Sieckmann
14.03.2023

Albert Schweitzer soll gesagt haben: „Die größte Entscheidung deines Lebens liegt darin, dass du dein Leben ändern kannst, indem du deine Geisteshaltung änderst.“

So, wie Schweitzer es formuliert hat, schwingt die weitreichende Bedeutung dieser Aufgabe, der Änderung einer Geisteshaltung, bereits mit. Es ist ein Schritt mit Tragweite. Ein Schritt, dem die Kraft innewohnt, das Leben auf den Kopf zu stellen. Es ist auch ein gewagter Schritt, denn er birgt das Risiko, das Leben vielleicht sogar in mehreren Bereichen auf einmal zu ändern mit der Gefahr, eventuell sogar zu scheitern.

Der für die Geisteshaltung gebräuchliche englische Modebegriff „Mindset“ wird dagegen heute gerne und häufig so verwendet, als wäre es ein Fertigprodukt, das jederzeit verfügbar im Supermarkt-Regal steht. Der Ratschlag, „du musst einfach an deinem Mindset arbeiten“, wird auf alle Situationen und Lebensbereiche angewandt. Das Mindset wird angeführt, wenn es darum geht, jemandem zu erklären, warum man – immer noch nicht – den nächsten Schritt auf der Karriereleiter gemacht hat, den richtigen Partner gefunden hat oder weshalb man noch keinen sportlichen Erfolg verbuchen konnte.

Der Rat kommt so daher, dass es den Eindruck macht, nichts sei leichter als das Ändern der eigenen Überzeugungen. Zwischen den Zeilen schwingt mit: „Mach doch mal eben“, als wäre es ein kostenloser Zweitages-Kurs, der das Mindset umpolt. Das Leben in zwei Tagen grundlegend ändern? Wohl kaum.

In Hülle und Fülle befassen sich Ratgeber, Online-Seminare und Coachings aktuell mit dem Thema Mindset-Optimierung und vermitteln den Eindruck, dass es einfache Strategien gibt, die bei der Neuprogrammierung des Denkens und der Überzeugungen helfen. Die Wissenschaft dagegen weiß durch Studien, dass kaum etwas so schwer zu ändern ist wie Gewohnheiten. Einstellungen und Überzeugungen benötigen ebenso wie Glaubensgrundsätze oft intensive Unterstützung von Psychologen und Psychotherapeuten, wenn es um die Änderung der grundlegenden Muster dahinter geht.

Dynamische Typen sind besser dran

Die Ansichten, die ein Mensch hat, haben großen Einfluss auf sein Verhalten. Carol Dweck, Professorin für Psychologie, unterscheidet Menschen mit einem „Fixed Mindset“ oder auf Deutsch statische Mentalität und Menschen mit einem „Growth Mindset“, einer dynamischen Grundeinstellung. Wer sich selbst als erfolgreich wahrnimmt, seine Ziele konsequent fokussiert, konzentriert darauf hinarbeitet und sich zielstrebig ein passendes Umfeld aufbaut, geht mit großen Schritten im Leben voran. Er entwickelt sich weiter, ist Veränderungen gegenüber aufgeschlossen und kann wahrscheinlich auch gut loslassen. Eigenschaften, die Dweck einem Menschen mit einem dynamischen Mindset zuordnet.

Dagegen haben Menschen mit einem statischen Mindset Angst zu scheitern. Sie halten an Vertrautem fest und sind davon überzeugt, dass ihre Talente festgeschrieben sind. Angst vor Herausforderungen und vor Veränderungen sorgen dafür, dass bei Menschen mit dieser Art Überzeugungen das Leben eher statisch verläuft als in einer dynamischen Entwicklung.

Doch ob jemand ein „Fixed“ oder „Growth Mindset“ in seiner Kindheit und Jugend entwickelt hat, sagt noch nichts darüber aus, ob er mit seinem Leben glücklich oder unglücklich ist. Solange ein Mensch mit seinem Mindset, egal wie dieses gestaltet ist, ein zufriedenes Leben führt, ist seine Welt in Ordnung.

Erfolg, eigene Immobilien und wachsende finanzielle Möglichkeiten gehören laut vieler der Ratgeber-Bücher zu den Wünschen, die jeder Mensch in seinem Leben verwirklichen möchte. Doch die Realität sieht anders aus. Immer mehr Menschen sind mit weniger zufrieden: mit weniger Besitz, weniger Stress, weniger Medienkonsum, weniger Fernsehen und auch damit, weniger Zeit bei der Arbeit zu verbringen. Der Wunsch nach Teilzeitarbeit nimmt zu.

Durchhaltevermögen ist gefragt

Nicht zuletzt durch die Pandemie haben viele Menschen es wieder schätzen gelernt, die Zeit mit anderen gemeinsam zu verbringen. Zunehmend mehr Menschen möchten mehr Zeit mit Freunden und der Familie verbringen. Keine Frage: Auch das ist eine Mindset-Änderung. Allerdings nicht die, die von den Ratgebern und Mentoren hochgehalten und unterstützt wird. Geld verdienen sie vor allem mit all jenen Menschen, die auf dem Weg zum Erfolg die Abkürzung suchen.

Die Hoffnung, im Handumdrehen und ohne jede Mühe das Leben zum Besseren zu verändern, wie immer das auch aussehen mag, ist ein Trugschluss. Die Änderung des eigenen Mindsets ist eine lebenslange Reise, auf der man auch mit Rückschlägen rechnen muss. Und die sind sogar besonders wichtig. Aus dem Scheitern an sich, dem Verfehlen eines Zieles, kann ein Mensch mehr lernen als aus all seinen zuvor gefeierten Erfolgen. Derartige Erfahrungen annehmen und schätzen zu lernen ist eine Qualität, die bei der Mindset-Entwicklung ein Meilenstein sein kann.

Für Mindset, berufliche und sportliche Erfolge gilt dabei exakt das Gleiche: weitermachen und nicht aufgeben. Das erfordert vor allem Zeit, Konsequenz und Durchhaltevermögen. Die Bereitschaft, nach Niederlagen einen neuen Anlauf zu nehmen, gehört ebenso dazu wie die Überzeugung, dass eine Änderung im Sinne einer Verbesserung möglich ist. Und das sowohl bei den eigenen Fähigkeiten wie auch bei den erzielten Resultaten. Ein Leben lang lernen und selbst nach Verbesserung streben ist ein guter Anfang.


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