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Arno Surminski

„Den Menschen und die Geschichte im Blick“

Arno Surminski wird am 20. August 86 Jahre alt. Quasi als Geburtstagsgeschenk stellt er sein jüngstes und damit 31. Werk vor

Peer Schmidt-Walther
20.08.2020

Noch nie hat meines Wissens ein renommierter Schriftsteller dem Leben eines (Dampf-)Lokführers einen Roman gewidmet. Eine Premiere also. Arno Surminski, der sich das Werk quasi zum Geburtstag geschenkt hat, verbeugt sich damit auch vor einem Berufsstand, den es regulär nicht mehr gibt.

Ich selbst bin viele Male auf dem Führerstand mitgefahren und habe dabei dem „Meister“ und seinem Heizer über die Schulter schauen können. Ein schwerer, aber, so sagen es ein bisschen verklärend viele Ehemalige, auch schöner Beruf. Surminski lässt das einen Eisenbahner so formulieren: „Eine Lokomotive kann dir ein Gefängnis sein oder ein gemütliches Zuhause, sagte ihm ein Lokführer. Es kommt ganz darauf an, was du daraus machst ...“

Er selbst ist mit der Bahn schon während seiner Kindheit im masurischen Jäglack in Berührung gekommen. In seinem Buch „Jokehnen oder ein Dorf in Ostpreußen“ schreibt er auf Seite 11: „Von Rastenburg aus führte eine Kleinbahnstrecke nach Norden, die sich in dem Ort Wenden teilte und nach Barten und Drengfurt ging. Sie wurde im Frühjahr 1898 eingeweiht. Jäglacker, die mit der Bahn in ihre Kreisstadt fahren wollten, mussten entweder in Barten oder in Drengfurt in die Kleinbahn einsteigen. Einen eigenen Bahnanschluss erhielt Jäglack mit der Barten-Nordenburger Kleinbahn, die hinter dem Jäglacker Gutspark einen behelfsmäßigen Bahnhof unterhielt. Diese Bahnstrecke bauten russische Kriegsgefangene im Jahr 1917. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Kleinbahnstrecken stillgelegt. Die Bahndämme sind heute noch erkennbar und werden teilweise als Radwege genutzt.“

Eigene Eisenbahnerfahrungen

Seine erste Fahrt von Barten nach Drengfurt als Achtjähriger hat er in keiner guten Erinnerung: „Es war schrecklich“, sagt Surminski rückblickend, „der Zug ruckte plötzlich an, mein Onkel auf dem Bahnsteig und ich im Waggon ganz allein. Da hab ich nur geschrien und getobt.“ Also keine Affinität zu den schwarzen Kolossen und ihren Männern. Wie die meisten Jungs mit Fernweh und Reiselust wollte auch ich gern Lokführer werden. Die Faszination „Dampflok“ gibt es für Surminski nicht. „Ich wollte über einen Menschen schreiben“, begründet er, „der schicksalhaft mit den beiden Weltkriegen verbunden und zwischen 1914 und 1950 überall in Deutschland unterwegs war. Da kam für mich nur ein Lokomotivführer in Frage. Und der musste auch noch Streckenkenntnisse haben. Das war aus heutiger Sicht zunächst ein Problem, aber das habe ich im Roman gelöst. Schließlich war Krieg mit teilweise chaotischen Verhältnissen.“ Humorvoll mit der Eisenbahn beschäftigt hat sich Surminski schon in seinen Erzählungen „Die masurische Eisenbahnreise und andere heitere Geschichten“.

Sein von der neuen Dampftechnik faszinierter Protagonist indes durchläuft, trotz elterlicher Widerstände, ein Eisenbahnerleben von der Pike auf. Hier eine Leseprobe der ersten Seiten:

„Er kam auf die Welt, als noch ein Kaiser regierte und das Leben in geordneten Bahnen verlief, wie sie später sagten, als es weniger ordentlich zuging. Geboren wurde Wilhelm Bubat in dem masurischen Flecken Prostken an der Grenze zum Reich des Zaren. Wenn auf der russischen Seite in Grajewo die Glocken läuteten, hörten sie es im preußischen Prostken ...

Prostken war ein angenehmer Ort, um auf die Welt zu kommen. Wälder und Seen umgaben eine langgestreckte Straße, die nach Südosten zulief und an deren Ende, so vermuteten die Leute, die große Stadt Warschau liegen musste ...

Zu den Sonderbarkeiten Prostkens gehörte die Eisenbahn, die jedermann in fernen Städten vermutete, aber nicht im masurischen Grenzland. Als Wilhelm auf die Welt kam, hatte sie im fernen Reich schon viele Kilometer gefahren, war aber in der östlichen Provinz mit Verspätung angekommen, weil die Eisenbahngesellschaften zögerten, eine Strecke von Berlin nach Königsberg zu bauen und zu befahren. Für wen sollten in dem weitläufigen, armen Land die Züge fahren? ... In Prostken erschienen die ersten Züge im Heldenjahr 1871, als die Südbahn einen Grenzbahnhof einrichtete ...

Er trieb sich oft auf dem Bahnhof herum, sah zu, wie sie Grubenholz verluden und kletterte auf den Holzbergen hinter dem vierten Gleis herum. Er kannte große und kleine Lokomotiven mit Namen, sprach mit Rangierern, Heizern und Lokführern, wenn sie Zeit hatten für den kleinen Boofke. Sie ließen ihn in ein Güterwagenbremserhäuschen klettern, wo er die Welt von oben anschauen konnte. Das Heulen und Stampfen machte ihm nichts aus, er empfand die Bahnhofsgeräusche als Botschaften einer fernen Welt, die mit der Eisenbahn nach Prostken gekommen war ... Bei Abfahrt und Ankunft seines Zuges hielt Wilhelm sich gern in der Nähe der Lokomotive auf, ließ sich vom Lokführer die Zeichen erklären, die zu beachten waren, und fragte ihn, wenn er oben aus der Luke schaute, wie seine Lok sich bei Schneetreiben anstellte.“

In Ostpreußen recherchiert

Im südostpreußischen Prostken und Umgebung habe er 2018 längere Zeit recherchiert, „um die realen Schauplätze zu überprüfen“. Zuschriften und Bildmaterial seiner Leser haben ihm zusätzlich dabei geholfen. Die Wahl von Prostken als Ausgangs-Schauplatz war für Surminski aus einem historischen Grund entscheidend: „Der kleine Ort lag an der damaligen Schnittstelle zwischen Ost und West.“ So durchläuft Wilhelm Bubat seine Ausbildung in Königsberg, kommt in die Heimat zurück und dampft später von dort aus – kriegsbedingt unterwegs (wie der Titel ursprünglich lautete) – durch halb Europa, bis er schließlich entwurzelt in Hamburg landet. Peinlich befragt von Entnazifizierern, die ihm eine Mitschuld an den Transporten nach Auschwitz anlasten wollen. Bubat jedoch lässt die Schnüffler aus der Etappe gewitzt auflaufen, denn er erfüllte nur seine Pflicht, schweigend und leidend.

Arno Surminski hat sich zuvor tief in die Thematik eingearbeitet: „Durch Fachbücher über die Deutsche Reichsbahn und historische DVD-Filme.“ Das und der Rat von Experten habe ihm sehr geholfen bei der sachlichen Bearbeitung dieses umfassenden Gebietes.

Dennoch muss derjenige enttäuscht werden, der hier einen „technischen“ Text vermutet. „Das soll er auch gar nicht sein“, meint Surminski, „die Grundtatsachen müssen natürlich stimmen, aber ich habe den Menschen und die Geschichte im Blick und bin kein Nietenzähler.“ Dazu passt auch der Erzählstil, der unprätenziös und alltagsnah ist. Passend zum Sujet. Wobei heimatlichen masurischen Landschaften und ihren Leuten immer wieder gern Raum gewährt wird. Ein neuer, großartiger Surminski mit seinem Kardinalthema „Menschenschicksale in der Geschichte“.

Auf historischen Gleisen verkehrt übrigens bis heute der „Ostpreußen-Express“ zwischen Stettin durch Hinterpommern, über Danzig, Marienburg, Elbing, Allenstein, Lötzen nach Bialystok. Er fährt täglich auch durch den Heimatkreis von Arno Surminski und berührt dabei auch Rastenburg, dessen Ehrenbürger er ist.

Arno Surminski
Irgendwo ist Prostken. Roman eines masurischen Lokführers
Langen-Müller Verlag, München 2020, gebunden, 384 Seiten, 24 Euro


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Kommentare

Carl-Ulrich Griebe am 22.08.20, 21:36 Uhr

Arno Surminski und vor einigen Tagen Ernst Wiechert sind zwei Schriftsteller,
in deren Büchern Ostpreußen lebendig bleibt. Dazu tragen Sie bei mit Ihren Berichten.
Herzlichen Dank - einen kleinen Beitrag habe ich eben überwiesen.

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