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Der Wochenrückblick

Den „Mix“ spalten

Wozu die Maske wirklich dient, und wie wir eine Explosion verhindern können

Hans Heckel
15.08.2020

Egal ob Sportler, Polizeibeamter oder einfacher Nachbar: Deutschland macht Jagd auf die Quertreiber, die sich auf den Corona-Demos haben blicken lassen, wo die weisen Maßnahmen der Politik bekrittelt werden. Keiner von denen soll ungestraft davonkommen. Schließlich sind wir doch „schon so weit gekommen“, wie Karl Lauterbach nicht müde wird zu versichern. Da werden wir uns unsere Erfolge nicht kaputtdemonstrieren lassen.

„Weit gekommen“ klingt tatsächlich toll. Nur: Wohin sind wir eigentlich gekommen? In der österreichischen Talkshow „Talk im Hangar-7“ rechnet uns der Epidemiologe Andreas Sönnichsen etwas vor: Laut einer Studie verringere das Maskentragen die Ansteckungsgefahr um etwa 17 Prozent (andere Experten sprechen von einem höheren Schutzfaktor, das nur der Vollständigkeit halber). Im Supermarkt einem Covid-Kranken zu begegnen, bei dem man sich anstecken könnte, beziffert Sönnichsen mit einer Wahrscheinlichkeit von bestenfalls eins zu 10.000. Statistisch gesehen sei das null. Die Maske reduziert demnach eine Gefahr von praktisch null um 17 Prozent, also auf ebenfalls null, oder noch etwas „nuller“, wenn man null steigern könnte. Doch wer angesichts dieses Nichts seine Maske im Supermarkt abnimmt, muss sich dennoch auf hysterische Reaktionen anderer Kunden gefasst machen und kassiert selbstverständlich einen strengen Verweis durch das Ladenpersonal.

So „weit“ sind wir gekommen.

Der Bürgermeister von Innsbruck, Georg Willi, wird im „Hangar“ noch etwas konkreter. Ob die Maske gegen Ansteckung schützt, ist laut dem Grünen-Politiker gar nicht der Punkt: „Für mich ist die Maske eine wichtige bewusstseinsbildende Maßnahme“, lässt er wissen, denn, „die Leute sollen erzogen werden, sich an die Regeln zu halten.“

Wundervoll: Unser „Bewusstsein“ soll also darauf abgerichtet werden, dass wir uns „an die Regeln halten“. Alexander Lukaschenko hätte das nie so schön formulieren können. Stattdessen droht und pöbelt der Machthaber von Weißrussland gegen sein aufmüpfiges Volk und lässt Oppositionelle verhaften oder nötigt sie zur Emigration. Statt dieses ganzen aufreibenden Theaters sollte der Herrscher von Minsk lieber einen Deutschkurs belegen, um bei uns zu lernen, wie einfach und viel eleganter man das Pack auf der Straße unter Kontrolle bringen kann.

Bekanntlich lernt man ja nicht für die Schule, sondern für das Leben. Also kommt es darauf an, die während der „Corona-Krise“ erfolgreich eingeträufelten Fortschritte beim „Bewusstsein“ für die Zukunft zu festigen. Die Zauberformel „Das neue Normal“ bereitet uns darauf vor, das Erlernte nie mehr zu vergessen.

Und wir sind ganz schön gut in der Schule. Laut einer Umfrage haben 93 Prozent der Deutschen kein Verständnis für die Corona-Demos der Maßnahmenkritiker – das dürften fast alle sein, die nicht schon persönlich auf einer solchen Kundgebung gewesen sind. Allerdings: 93 Prozent? Ist das nicht ein bisschen auffällig viel? Können Sie sich noch erinnern, dass jemals eine solche Mehrheit von Bürgern auf ein und der derselben Seite stand? Nein?

Ich schon: Es waren die letzten von der SED inszenierten Kommunalwahlen in der DDR im Mai 1989, da war die Mehrheit sogar noch eindrucksvoller. Es sollte sich jedoch herausstellen, dass das Ergebnis gefälscht war, was für heutigen Umfragen natürlich auszuschließen ist. Demnach haben wir es tatsächlich mit einer Mehrheit zu tun, die es so eindeutig wohl noch nie gegeben hat. Nicht einmal Demokratie und Rechtsstaat erreichen bei den Deutschen demzufolge so viel Zustimmung wie die Corona-Maßnahmen.

Es sei denn, die Leute sagen nicht die Wahrheit, trauen sich nicht, ihre Meinung frei zu äußern. Konservative schwärmen ja schon seit Jahrzehnten von der „schweigenden Mehrheit“, die angeblich immer auf ihrer Seite steht und irgendwann den Mund aufmachen wird. Und dann aber! Indes: Die Hoffnung auf diese ewigen Schweiger hört sich an wie die Hoffnung auf Rettung durch den Priesterkönig Johannes. Von dem träumten die Kreuzritter im Heiligen Land. Irgendwo in Asien lebe ein märchenhaft reicher und mächtiger christlicher König, eben jener Johannes, der nur darauf lauert, den Sarazenen in den Rücken zu fallen und alles zum Guten zu wenden.

Tragischerweise ist der Kerl nie aufgetaucht – weil es ihn nicht gab. Und möglicherweise denkt die deutsche Mehrheit auch ganz etwas anderes, als es sich jene erhoffen, die Jahr um Jahr den bevorstehenden „Aufstand der schweigenden Mehrheit“ vorhersagen. Selbst wenn diese Mehrheit tatsächlich so denkt wie erhofft: Solange sie den Schnabel hält und sogar bei Umfragen nicht ihre Meinung, sondern das Verlangte aussagt, können die Regierenden samt medialem und gesellschaftlichem Anhang ruhig schlafen. Eigentlich. Mancher wälzt sich dennoch unruhig im Bett. Heinz Bude, renommierter Soziologe und Berater des Bundesinnenministeriums, fürchtet, dass im deutschen Volk etwas „Explosives“ heranwachse. Er sieht eine Mischung aus Panik, Frustration und Ermüdung um sich greifen, die sich zu einem einzigen Sturm vereinen könne. Dann werde es ernst.

Was ihn besonders beunruhigt ist eine „Symbiose von Milieus“, die vor zehn Jahren noch keine Berührungspunkte gehabt hätten. Auch Dunja Hayali gab sich erschrocken von dem bunten „Mix an Menschen“, der sich auf der „Querdenken“-Kundgebung in Berlin versammelt hatte.

Was der Wissenschaftler als „Symbiose“ umschreibt und Hayali als „Mix an Menschen“, nannte man früher „Volk“ oder „Nation“. Dieses Gebilde brachte den Herrschenden schon immer viel Ärger ein, weshalb schlaue Führer darauf achteten, das Volk in viele kleine, möglichst verfeindete oder zumindest konkurrierende Häppchen zu zerteilen, die sich dann gegenseitig in Schach hielten. So hatte man oben seine Ruhe.

Was aber, wenn sich die Häppchen tatsächlich „mixen“. Dann könnten die 93 Prozent rasch verdampfen. Und das ausgerechnet jetzt, wo wir schon „so weit gekommen sind“! Da heißt es, einen Zacken zuzulegen. Jedem Corona-Demonstranten wird zurzeit vor den Latz geknallt, dass er sich extremismusverdächtig mache, sobald irgendein Knilch aus dem mutmaßlich rechtsextremen Lager auf derselben Demo gesehen werden sollte wie er. Und wenn sich kein echter Bräunling zeigt, kann man dafür auch einen schicken. So wie in Chemnitz seinerzeit: Der lauteste „Heil Hitler“-Darsteller war so offensichtlich ein völlig verwahrloster Linksextremer, dass es wirklich jedem auffiel. Das hinderte etliche Medien dennoch nicht daran, ihn als „Beweis“ für die üble Gesinnung der übrigen Demonstranten tagelang herumzureichen.

Damals hat das wunderbar funktioniert. Ob es diesmal wieder klappt? Wir müssen es versuchen, der „Mix“, diese „Symbiose“ muss aufgebrochen werden. Nur dann sind uns die wohligen 93-Prozent-Resultate auch in Zukunft sicher.


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