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Der ambivalente Rübezahl ist kaum noch bekannt. Das Theaterfestival Via Thea versucht, das in diesem Jahr zu ändern
Rübezahl zeige Dich!“ Die Sagengestalt aus dem Riesengebirge stand vergangene Woche Pate beim Straßentheaterfestival Via Thea in der „Europastadt Görlitz/Zgorzelec“. Die Zwillingsstadt feiert 25 Jahre Europastadt-Proklamation und wer, wenn nicht Rübezahl, der Geist des Riesengebirges, sei geeigneter gewesen, „das Publikum zu packen“, sagt Christiane Hoffmann, Organisatorin des seit 27 Jahren stattfindenden Straßentheaterfestes in der seit 1945 geteilten Stadt.
Ein weiteres Rufen: „Rübezahl, zeig Dich Mal!“ führt zum Erfolg – im Schlesischen Museum zu Görlitz, das zusammen mit dem Kulturforum Östliches Europa eine Rübezahl-Ausstellung für Kinder eigens für das Via Thea organisierte.
„Im Schlesischen Museum ist Rübezahl in Veranstaltungen mit Kindern der Star. Wir sagen gerne auch mit Augenzwinkern, er ist der gute Geist des Schlesischen Museums“, so Matthias Voigt. Er ist für Bildungsprojekte am Museum zuständig. „Rübezahl ist bekannt, man muss aber die Schnittmenge immer wieder darstellen“, sagt er und weist immer wieder darauf hin, dass Rübezahl und „Duch Gór“, was „Berggeist“ auf Polnisch heißt, im Riesengebirge dieselbe Persönlichkeit seien.
So wartet am ersten Festivaltag ein Grüppchen Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren auf ihre Begegnung mit dem Herrn der Berge. Die größeren haben schon einmal etwas vom Berggeist gehört, bekunden sie. Nun wollen sie erfahren, warum man Rübezahl jedoch nicht bei seinem Namen rufen soll. Die kleinen Zuhörer hängen Voigt an den Lippen, wenn er von der schönen Prinzessin erzählt, in die sich „der Herr der Berge“ verliebte.
Also erzählt Voigt: „Die junge Frau will diesen alten Mann nicht haben, sie hat gesagt: ‚In deinem Riesengebirge da ist nichts los! Dort kann ich meine Freundinnen nicht treffen, dort lebe ich mit Dir alleine irgendwo unter der Erde, es ist kalt, es ist nass, das will ich nicht!'. Aber der verliebte Berggeist möchte die hübsche Prinzessin unbedingt heiraten, er entführt sie und schenkt ihr, um sie bei Laune zu halten, einen Korb voller Rüben und einen Zauberstab. Damit könne sie die Rüben in Spielgefährtinnen oder wen auch immer verwandeln.
Musäus' Geschichte von Rübezahl
Was der Berggeist nicht bedacht habe“, so der Museumspädagoge weiter, „ist die Tatsache, dass Rüben nach einer Zeit welk werden. Auch die herbeigezauberten Gesellinnen verlieren ihre Vitalität und werden für die Prinzessin langweilig. Die kluge Prinzessin hat aber einen Plan, sie willig der Heirat mit dem Berggeist unter der Bedingung ein, der Bräutigam müsse zunächst alle Rüben auf seinem Felde zählen, damit die Braut unterdessen die Anzahl der Hochzeitsgäste überschlagen könne. Und weil die Prinzessin ihrem Verlobten beim Rübenzählen immer wieder hineinquatscht, muss dieser dauernd von vorne anfangen. Während der Berggeist die Rüben zählt, verwandelt die Prinzessin eine besonders große Rübe in ein Pferd und reitet davon. Dabei verhöhnt sie den Berggeist, indem sie ihm zurief: ,Rübezahl, Rübezahl – zähl die Rüben noch einmal!'“
Voigt warnt: „Seitdem haben die Menschen ihn Rübezahl genannt. Und weil sich Rübezahl darüber schämte und grämte, werde er immer zornig, wenn man ihn bei diesem Namen rufe.“
Seine Erfahrung ist: „Hier in Görlitz, in diesem kleinen Zipfel mit schlesischer Bezugsgröße, ist Rübezahl zwar präsent, aber nicht mehr so vertraut“, sagt er. „Wenn ich heute um Hirschberg unterwegs bin, wird mit dieser Figur touristisch ganz anders geworben. Es gibt in Hirschberg in der Straße des 3. Mai einen Bauzaun – vielleicht gibt es ihn auch nicht mehr – auf dem wurde Rübezahl in verschiedene Sprachen übersetzt. Und das macht neugierig.“
Er sähe kein Problem zu sagen: „Rübezahl ist mehrsprachig, er bedient alle Sprachen, die im Riesengebirge vorkommen. Punkt!“ Damit zielt der Pädagoge auch darauf ab, dass auf der Südseite des Riesengebirges Rübezahl auch eine tschechische Komponente hat.
Das, was man in der Bundesrepublik über Rübezahl noch wisse, sei, dass der Berggeist ein alter Mann sei, der zaubert und mal Gutes, mal Schlechtes tut. Das Interesse der Kinder und Jugendlichen, Rübezahl auch lokal zu verorten, sei aber da und genau das „ist ein Bildungsauftrag unseres Hauses“, so Voigt. Also erklärt er anhand von Karten, wo sich das Reich des „Herrn der Berge“ erstreckt und welche Staatsgrenzen und Sprachen man dort heute vorfindet.
Den Berggeist aus dem Riesengebirge kennt man unter den Namen Krkonoš auch in Tschechien, denn Krkonoše ist der tschechische Name des Riesengebirges. Selten gebräuchlich ist dort die phonetische Adaption Rýbrcoul; zumeist begegnet uns der Berggeist hier als Pan Jan, also als Herrn Johannes. In der polnischen Sprache ist die Bezeichnung Liczyrzepa für Rübenzähler wohl die bekannteste. Aber der Berggeist hört hier auch auf die Namen Karkonosz, Karkonosze ist die polnische Bezeichnung für das Riesengebirge, oder seltener Rzepiór, ein Kompositum aus rzepa für Rübe und upiór für Geist oder Gespenst.
Auch wenn man im Riesengebirge bereits im 19. Jahrhundert Rübezahl als Werbefigur und Touristenmagnet aufbaute, ist diese Fabelfigur bereits 1561 vom Kartographen Martin Helwig in der ersten schlesischen Landkarte verewigt worden. „Als 1945 Polen ins Riesengebirge kamen, war diese Gestalt allgegenwärtig: ob in Inschriften, auf Tafeln, Wegweisern und Plakaten. Er war auch touristisch stark vermarktet“, erläuterte etwa Mateusz J. Hartwich bei einem früheren Referat im Schlesischen Museum. Der in Berlin lebende Breslauer Autor hat den Tourismus im schlesischen Riesengebirge und wie sich dieser auf die Identitätsbildung auswirkt, genauer unter die Lupe genommen. Er fand heraus, dass Józef Sykulski, ein polnischer Lehrer, der bereits im Sommer 1945 ins Riesengebirge kam, seinen Schülern auftrug, alles zu sammeln, was sie zu Hause von Rübezahl finden könnten. Aus dem, was die Kinder an Erzählungen sammelten, wurde bereits im November 1945 das erste polnischsprachige Buch überhaupt, das in den neuen „polnischen Westgebieten“ gedruckt wurde.
Rübezahl bleibt im Riesengebirge
Auch wenn es im Riesengebirge um den Herrn der Berge leiser wurde, ganz weg war er nicht. Immer wieder fand er Einzug in die Welt polnischer, aber auch tschechischer Künstler und Filmemacher, bis ihm 2011 in Krummhübel [Karpacz] sogar das Museum „Geheimnisse des Riesengebirges“ (Karkonoskie Tajemnice) gewidmet wurde. Seine Entstehung ist einem Zufall zu verdanken. Bei Errichtung einer Ferienpension stießen Bauarbeiter im März 2011 auf einen sonderbareren Stab mit einer kristallenen Spitze. Für den Krummhübelner Unternehmer Jakub Paczyński hatte der Berggeist seine Hände im Spiel, denn für Paczyński war es eindeutig Rübezahls Stab. Er beschloss, an der Fundstätte keine Pension, sondern ein Rübezahlmuseum zu errichten. „Ich wollte dem Berggeist ein neues Leben schenken. Er ist keiner Nationalität zugeschrieben, ich denke, er war seit Jahrhunderten im Riesengebirge zu Hause und sollte dort weiterhin bleiben“, so Paczyński, der Martin Helwigs Rübezahlzeichnung als Symbol für seine Einrichtung wählte. Nun thront der gehörnte und behufte Dämon vor seinem Museum in Krummhübel, wo auch der restaurierte Rübezahlstab einen geeigneten Platz fand. Das Museum ist auch als Miniatur in Paczyńskis 2015 gegründeter Modelleisenbahnschau „Koljkowo“ im Breslauer Sky-Tower zu bewundern.
Schauspieler, Autor und bildender Künstler Thomas J. Hauck kennt Rübezahl noch aus seinem Grundschulbuch: „Das war das allerschönste in unserem dämlichen Deutschbuch. Mit Bart und dem großen Stock marschiert Rübezahl durch die Welt. Im Wald, über Wurzeln, da ein Käfer, dort ein Pilz – wie ein zeitgenössisches Wimmelbild“, erinnert er sich. Der extra für das Via Thea engagierte Künstler hatte im Vorfeld viel über Rübezahl gelesen. Alt sei er, wie die Steine, zitiert er Carl Hauptmann im „Rübezahl-Buch“ von 1915, wo es im Vorwort weiter heißt: „vermutlich so alt, wie die Riesenwoge aus Granit, die schon in Urzeiten zwischen Böhmen und Schlesien ausrollte und zum Riesengebirge erstarrte“.
Hauck sitzt an einem langen Tisch mit Malutensilien und erzählt. Er fällt schon von Weitem auf in seinem grell-roten Anzug. Kinder scharen sich um ihn herum und lauschen mit großen Augen seinen Geschichten über Rübezahl. Die Kinder dürfen dann ihre eigenen Gedanken zu Rübezahl künstlerisch zu Papier bringen. Ihre Zeichnungen haben mit der furchteinflößenden Martin-Helwig-Figur nichts mehr zu tun, und darüber sei er froh. „Sie zeichnen Rübezahl, wie sie wollen. Mal fährt er Skateboard, mal kann er fliegen, mal auf einem Zebra reiten“, sagt Hauck. Die Zeichnungen werden sich mit einem Vorwort von ihm in einem Rübezahl-Via-Thea-Buch wiederfinden, das künftig an der Museumskasse erhältlich sein soll.
Rübezahl und die Kultur
1561 zeichnet Martin Helwig auf seiner seiner Schlesien-Landkarte „Rübenczal“ als gehörnten und behuften Dämon.
Johannes Praetorius beschreibt ihn 1662 Mal als Riesen, Bewacher des Bergschatzes, als Mönch, der Menschen vom Weg abbringt, als Rabe oder Esel und als Diabolus.
Johann Karl August Musäus veröffentlicht 1783 die Legende von der Entführung der Königstochter Emma. Doch sie kann zu ihrem Prinzen Ratibor fliehen und verspottet den Berggeist mit der Anrede Rübezahl. Musäus macht Rübezahl zu einer weit über Schlesiens Grenzen hinaus bekannten Gestalt.
Joseph Schuster schrieb 1789 die Oper „Rübenzahl oder Die wahre Liebe“. Carl Maria von Weber, Friedrich von Flotow sowie Hans Sommer schrieben weitere Rübezahl-Opern.
Das Riesengebirgslied entstand 1914/15 von Othmar Fiebiger und Vinzenz Hampel.
sitra achra am 20.07.23, 12:28 Uhr
Im Augenblick dominiert die polnische Version des Rübezahl. Dieser geldgierige Strolch zählt nicht Rüben, sondern die Penunsen, die er dem deutschen Steuerzahler abknüpfen kann wegen der ach so enormen Schäden, die der Deutsche angeblich während des Krieges in seinem teuren Heimatland angerichtet haben soll.
Chris Benthe am 16.07.23, 09:35 Uhr
Wertvoller Beitrag, danke.
Ich bekenne allerdings ganz offen, dass für mich die tschechischen/polnischen Bezüge uninteressant sind. Schlesien/Böhmen/Sudetenland !