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Östlich von Oder und Neiße

Der bislang unscheinbare Modernismus

Oberschlesische Plastiken müssen erst wieder neu entdeckt werden

Chris W. Wagner
25.10.2021

Wer Oppeln besucht und sich in die stets lange Schlange vor der Crêpe-Bude neben der Pfennigbrücke am Mühlgraben einreiht, um den beliebten Blick auf den Mühlgraben zu ergattern, der muss sie einfach erblicken: die fünf Kinderskulpturen von Thomas Myrtek. Die Figuren aus der Zwischenkriegszeit wurden beim Bau der Terrasse dieses Imbisses im Schutt gefunden und erhielten wieder den ihnen gebührenden Platz. Dass es Skulpturen aus dem Myrtek-Atelier und von kunsthistorischem Wert sind, hatte die einstige Beauftragte für Minderheitenangelegenheiten in Oppeln, Danuta Berlinska, herausgefunden. Die 2016 verstorbene Historikerin bemühte sich darum, den vergessenen Bildhauer wieder in Erinnerung zu rufen. Immer wieder lenkte sie die Aufmerksamkeit der Besucher auf die Oppelner „Myrtkis“, an denen man sonst gedankenlos vorbeieilt.

Kunst aus Breslau

Der Beuthner Thomas Myrtek studierte an der Königlichen Kunst- und Gewerbeschule in Breslau. Seine Lehrer waren Albert Werner-Schwarzburg und Theodor von Gosen. Myrtek war Vorsitzender des Künstlerbundes Schlesien. Für Oppeln schuf er 1926 zum Beispiel die Schülerinnenplastiken, die an der Fassade der einstigen privaten Liebfrauenschule, der Oberschule für Mädchen in der heutigen ulica Reymonta, angebracht wurden. Am Haus in der nahegelegenen ulica Damrota 10 überdauerte ein Myrtekrelief am Hauseingang. Nur noch wenige seiner Plastiken findet man auch in Gleiwitz und Beuthen.

Das Los des in Vergessenheit geratenen Bildhauers fristet eine ganze Reihe Künstler, die in Schlesien gewirkt haben. Das Gleiwitzer Museum „Villa Caro“ widmet sich in einer Sonderausstellung Künstlern wie Thomas Myrtek, Hannes, Kurt Bimler, Robert Bednorz, Paul Ondrusch, Walter Tuckermann, Peter Lipp oder Jaroslav Vonka. Letzterer stammte aus dem böhmischen Goritz [Hořice v Podkrkonoší] und dozierte an der Städtischen Handwerker- und Kunstgewerbeschule zu Breslau.

Ausstellung in Gleiwitz

„Wir zeigen Plastiken, die zum ersten Mal einem breiten (polnischen A.d.R.) Publikum gezeigt werden. Sie sind Bestandteil des Gleiwitzer Museums und Leihgaben der Nationalmuseen in Breslau und Warschau, des Museums in Ruda [Ruda Śląska] und des Schlesischen Museums zu Görlitz“, sagt der Gleiwitzer Museumsleiter Grzegorz Krawczyk, der sich mit seiner Schau „Germania“ oder der Ausstellung „Preußens Gloria. Mit Gott für König und Vaterland“ in der Republik Polen nicht nur Freunde gemacht hat. Krawczyk möchte mit der neuen Ausstellung zu einer Spurensuche einladen. „In unseren oberschlesischen Städten findet man noch einige guterhaltene modernistische Skulpturen vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Es sind wichtige Arbeiten der Künstler, die wir in unserer Ausstellung präsentieren“, sagt er. Dafür hat das Museum eine Route durch Gleiwitz, Ruda, Beuthen und Hindenburg [Zabrze] erarbeitet.

Für Kuratorin Barbara Andruszkiewicz ist die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts eine spannende Periode, da sich in dieser Zeit gleich mehrere Kunstströmungen überschnitten. „Wir haben hier immer noch den Akademismus und Realismus des 19. Jahrhunderts. Zur Jahrhundertwende dominierte der Jugendstil, dem sich der Stil des Art Decos wiedersetzte. Wir haben es mit einer Faszination der Antike zu tun, die aber auf eine moderne Weise interpretiert wurde, und wir haben den Modernismus“, zählt sie auf. Für Andruszkiewicz ist das Oberschlesien des einsetzenden 20. Jahrhunderts ein Ort, an dem sich die Künstler besonders entfalten konnten. Hier fanden sie unter dem schlesischen Adel und den Industriemagnaten leichter Kunstmäzene. Besonders die sogenannten neureichen Industriellen wollten ihren Gesellschaftsstatus durch Kunstsammlungen dokumentieren. In Oberschlesien gab es auch zahlreiche kirchliche Stiftungen, die sakrale Kunst für neu entstehende Kirchen bestellten. Doch Andruszkiewicz sieht auch einen gravierenden Nachteil für junge Künstler in der Region: „Hier fehlte es an einer Kunstakademie. Man musste zum Kunststudium eben nach Breslau, Berlin oder München gehen.“ So machten sich der Hindenburger Robert Bednorz (1882–1973), der Beuthner Thomas Myrtek (1888–1935) und auch der in Alt Schalkowitz [Stare Siołkowice] geborene Kurt Bimler (1883–1951) in die Schlesische Metropole auf, um dort an ihrem Talent zu feilen. Auch Kuratorin Andruszkiewicz musste sich zunächst auf eine Erkundung in Oberschlesien begeben. Die Breslauerin sagt: „Für mich war das Erforschen der oberschlesischen Künstler und überhaupt Oberschlesiens ein faszinierendes Abenteuer.“


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