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Musikwelt

Der Friedensvisionär mit dem Cello

Vor 50 Jahren starb der katalanische Cellist Pablo Casals – Trotz seines Idols J. S. Bach machte er um Deutschland einen großen Bogen

Antje Olivier
22.10.2023

Zweimal in seinem langen Leben baten ihn NS-Vertreter, in Berlin zu spielen. Zweimal sagte er nein. Beide Weigerungen blieben ohne Folgen. Es mag seine ungeheure Popularität in der weltweiten Musikszene gewesen sein, die ihn vor Verfolgung retteten. Pablo Casals, dem die Musikwelt nicht nur unzählige Sternstunden der Musik zu verdanken hat, sondern der auch den Menschen im zerstrittenen Europa ein seltenes Beispiel von pazifistischer Grundhaltung vorlebte, ist vor 50 Jahren, am 22. Oktober 1973, mit fast 97 Jahren verstorben. Er bleibt als Musiker und Humanist mit seiner aufrechten Gesinnung bis heute eine Ausnahme.

Eines der „Starstücke“, die ihm Weltruhm einbrachten, die sechs Cellosuiten von Johann Sebastian Bach, schmorten bis 1889 in einem Antiquariat in Barcelona, als der 13-jährige Musiker aus dem kleinen katalanischen Ort El Vendrell (südlich von Barcelona) eine Kopie in Händen hielt. Mit visionärem Blick erkannte der Junge die Bedeutung dieser Werke. Casals sagte dazu in späteren Jahren: „Sie sind die Quintessenz von Bachs Schaffen, und Bach selbst ist die Quintessenz aller Musik.“

Bei Casals brauchte es dann noch mehr als 30 Jahre, bis er die Werke integral 1936 und 1939 einspielte. Seitdem sind die Suiten Weltliteratur. Und Casals Spielweise – empathisch, rau, tiefschürfend und mit damals noch üblichen und heute verpönten Glissandi – prägte viele Generationen von Musikern.

Nach dem Musikstudium von 1888 bis 1895 in Barcelona und Madrid folgten erste Auftritte in London, Paris sowie in Russland und in den USA, so in der New Yorker Carnegie-Hall und im Weißen Haus vor Präsident Roosevelt. Gefördert von der musikbegeisterten belgischen Königin Elisabeth gründete er 1905 mit dem Pianisten Alfred Cortot und dem Geiger Jacques Thibaud das berühmte Klaviertrio, das bis zum politischen Wendepunkt 1933 Musikgeschichte schrieb. Danach vollzog Cortot eine Wendung nach „rechts“, Thibaud blieb gespalten, und nur von Casals kam ein entschiedenes „Nein“ auf eine Einladung Furtwänglers, in Berlin zu spielen.

Zurück in Barcelona schrieb Casals im wahrsten Sinne des Wortes Geschichte. Er gründete 1919 sein eigenes Orchester „Pau Casals“ (Pau als Abkürzung von Pablo bedeutet im Katalanischen auch „Frieden“) und zahlte den Musikern doppelt so hohe Gehälter wie in Barcelona üblich. Als Casals feststellte, dass in allen seinen Konzerten nur die gehobene Gesellschaft saß, gründet er eine Arbeiter-Konzert-Gesellschaft (Associacio Obrera de Concerts) und spielte für alle, die weniger als 500 Pesetas im Monat verdienten. Jeden Sonntag saßen 3000 begeisterte Hörer in den Freiluft-Konzerten. Und es waren nicht nur die Arbeiter, die kamen.

Bis in die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts war Casals in erster Linie Musiker, Solist von Weltgeltung, der das klassische Repertoire für sein Instrument durch die Bach-Suiten erweitert hatte und nun auch als Dirigent Erfolge erzielte. Das Jahr 1931 brachte eine Zäsur: In einigen Regionen Spaniens wurde die Republik ausgerufen, und Katalonien wurde autonom. Casals – ganz der Regionalpatriot –begrüßt das mit Beethovens „Neunter“, die er vor vielen begeisterten Zuhörern dirigierte.

Friedensaktivist und Pazifist
Zu Beginn des spanischen Bürgerkriegs im Jahr 1936 erlebte Casals brutale Straßenkämpfe in der katalonischen Hauptstadt, die das Zentrum der Republikaner war. Es kam zu Plünderungen, Ausschreitungen und Gewaltexzessen auf beiden Seiten. Casals, der Gewalt immer abgelehnt hat, war entsetzt. Wenn er auf einen Sieg der Republikaner gehofft hatte, so endete auch bei Casals die Vision einer neuen, menschlichen Republik, als diese sich in Flügelkämpfen zwischen Kommunisten, Anarchisten und Gemäßigten selbst zerfleischte.

Casals stand als Friedensaktivist auf Francos Liste möglicher Gegner. General Gonzalo Queipo schwörte, er habe alle Möglichkeiten, Casals' Agitationen zu beenden: „Ich werde ihm beide Arme bis zum Ellenbogen brechen.“ Doch auch die vorwiegend kommunistischen Republikaner waren Casals gegenüber skeptisch, nachdem er sich geweigert hatte, noch einmal in Russland zu spielen. Andere Musiker verließen in jenen Jahren der Reihe nach Europa, so etwa Bruno Walter, Otto Klemperer, Erich Kleiber, Fritz Kreisler, die Cellisten Emmanuel Feuermarin oder Igor Piatigorski.

Trotz zahlreicher Angebote zur Flucht blieb Casals in Europa und zog es vor, im Winter 1939 zusammen mit rund 300.000 republikanischen Landsleuten über die Grenze nach Frankreich zu gehen. Dort wurden sie jedoch als „Kommunisten“ und „Rote“ nicht überall freundlich empfangen. Im kleinen Pyrenäen-Ort Prades/Roussillon schien es politisch ruhig. Casals mietete die „Villa Collette“ und widmete fortan sein Schaffen der Flüchtlingshilfe. Und er beschloss, nie wieder zu reisen, nie wieder irgendwo in der Welt aufzutreten. Schon gar nicht dort, wo man mit dem Franquismus sympathisierte.

Hochzeit mit einer 21-Jährigen
1950 machte der US-amerikanische Geigerfreund Alexander Schneider ihm einen Vorschlag. Da Casals nicht mehr die Welt bereisen wollte, sollte die Welt zu ihm kommen. Ab dem Jahr 1950, passend zum 200. Geburtstag von J. S. Bach, lud man die Musikelite nach Prades ein. Und sie kamen alle: Jehudits und Hephzibah Menuhin, Isaac Stern, Clara Haskell, Paul Tortellier, David Oistrach, Rudolf Serkin, Arthur Grumiaux, Dame Myra Hess, um nur einige zu nennen. Man probte sogar in der halb zerstörten Benediktinerabtei St. Michel de Cuxa, wo die Fledermäuse sich eingenistet hatten. Columbia Records eilte nach Prades und bescherte der Musikwelt legendäre Aufnahmen. Und immer war Casals dabei, als Solist, als Kammermusiker, als Dirigent. Jedes Konzert beendete er mit dem melancholischen katalanischen Volkslied „El cant dels ocells“ (Gesang der Vögel). Es wurde zur geheimen Nationalhymne Kataloniens.

Nachzutragen wäre noch, dass Casals, der ab 1956 in Puerto Rico lebte, im Alter von 81 Jahren seine Schülerin heiratete: die erst 21 Jahre alte Puerto-Ricanerin Marta Montanez. Sie nannte er „seelenverwandt“, denn sie kam aus dem Land von Casals' Mutter. Diese Ehe als lebensverlängernde Maßnahme hielt bis zu seinem Tod im Jahre 1973 in der puerto-ricanischen Hauptstadt San Juan. Marta Casals-Istomin ist bis heute eine würdige Sachverwalterin des musikalischen und humanistischen Erbes ihres „Maestro“, wie sie ihn nach seinem Tod nannte.


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Kommentare

Chris Benthe am 28.10.23, 10:08 Uhr

Das sind die Geschichten, für die ich die PAZ so mag. Danke.

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