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Der Wochenrückblick

Der Geruch der Räte

Wie man sich ein Ersatzvolk bastelt, und wie sich Politiker mit sich selbst herausreden

Hans Heckel
21.09.2024

Nanu! Waren Sie darauf gefasst? Ausgerechnet Karl Lauterbach fordert beim „Bericht aus Berlin“ plötzlich eine gründliche Aufklärung der Corona-Politik: „Ich fordere, dass es eine Aufklärung gibt noch in dieser Legislatur. Wir haben nichts zu verbergen!“ Das sagt Lauterbach! Der Bundesgesundheitsminister hatte bislang eher den Eindruck erweckt, er wehre sich mit Händen und Füßen gegen eben diese Aufklärung.

Haben wir also richtig gehört? Ja. Und nein: Denn als es um die Frage ging, wer diese Aufklärung denn in die Hände nehmen soll, ließ er die Hüllen fallen. Er finde den Vorschlag von Kanzler Scholz, das könne man doch einem „Bürgerrat“ überlassen, „nicht falsch“, so der SPD-Politiker. Auch die Grünen haben bereits einen solchen Rat ins Spiel gebracht, oder ein Expertengremium.

Mit Expertengremien hatte man ja schon während der Corona-Zeit glänzende Erfahrungen gemacht. Die hatten in der Regel das empfohlen, was die Regierung empfohlen haben wollte. Taten Experten das nicht, fanden sie sich blitzschnell mit dem Etikett „umstritten“ in der Schmuddelecke wieder und sollten nicht weiter beachtet werden. Die „Aufklärung“, die wir von einem durch die Regierung zusammengestellten Expertengremium zu erwarten haben, können wir uns danach sehr gut ausmalen.

Und wie wäre es mit einem „Bürgerrat“? Auch nicht schlecht. Solche Räte kommen sowieso in Mode, und das mit gutem Grund. Gerade hat ein solcher Rat mit dem Namen „Forum gegen Fakes“ seine Empfehlungen für den Kampf gegen „Desinformation“ ausgespuckt. Sie entsprechen in der Tendenz genau dem, was Nancy Faeser und ihr Geheimdienstchef Thomas Haldenwang schon seit Jahren an freiheitseinschränkenden Maßnahmen durchpeitschen. Und im Ausmaß übertreffen sie diese Eingriffe sogar noch. Kernforderung: „Desinformation“ solle unter Strafe gestellt werden, fordern die 120 Ratsmitglieder, die zuvor wer auch immer wie auch immer ausgesucht hatte.

Was „Desinformation“ eigentlich ist, wird nur sehr schwammig definiert. Wahrscheinlich alles, was einer gewissen linksgrünen Linie widerspricht. In Zeiten von Wahlkämpfen soll ein „unabhängiges Medienhaus/Kollektiv“ ein „Desinformationsranking“ erstellen, um die Bürger vor gewissen Medien zu warnen. Die Ratsmitglieder schlagen dafür „Correctiv“ vor, das sich mit seiner Märchenstunde über ein angebliches Geheimtreffen in Potsdam Anfang des Jahren tief ins Herz aller Wahrheitsliebenden vorgearbeitet hat. Bürger sollen zudem verpflichtend gegen „Desinformation“ geschult werden, etwa auf Elternabenden, auch Studenten und Azubis sollen Kurse zur Schulung besuchen müssen.

Es riecht dermaßen streng nach SED-Staat, dass es einem die Nase verstopft. Das kommt nicht von ungefähr: Schon vor mehr als hundert Jahren haben die russischen Kommunisten eine Räterepublik an die Stelle von Russlands kurzlebiger Demokratie nach dem Zarensturz gesetzt. Warum? Weil sie gemerkt hatten, dass sie in freien Wahlen nie die Macht erlangen würden. Also schalteten sie die Demokratie aus und setzten an die Stelle der Volksvertretung jene sorgsam ausgewählten Räte, die immer das wollten, was die Kommunistische Partei wünschte.

Wie sich die Dinge doch ähneln! Mit den demokratischen Wahlen funktioniert es im heutigen Deutschland ja auch nicht mehr so richtig. Also ich meine, was das Ergebnis angeht. Schon diesen Sonntag könnten die Bürger wieder zu einem viel zu großen Teil falsch wählen, diesmal in Brandenburg. Da ist es eine verlockende Aussicht für die bedrängten Herrschenden, die Formulierung des Volkswillens vom richtigen Volk auf ein selbst gebasteltes Ersatzvolk aus „Bürgerräten“ zu verlagern.

Die EU als „himmlische Macht“
Und wir kennen noch einen anderen, sehr probaten Trick, mit dem man das ungehorsame Volk listig ins Leere laufen lässt. Wir reden vom angeblich übergeordneten EU-Recht. Im Moment wird es bemüht, um Zurückweisungen an den deutschen Grenzen für rechtlich gar nicht durchsetzbar zu erklären. Warum nicht durchsetzbar? Weil das EU-Recht solche Zurückweisungen verbiete. Da könnten wir gar nichts machen, selbst wenn wir das unbedingt wollten – schade.

Von der Erzählung lassen sich viele Leute entmutigen, denn „EU-Recht“ erscheint den meisten Deutschen so entrückt wie eine Weisung aus himmlischen Sphären, auf deren Ratschlüsse der einfache Bürger, ja sogar ganze Völker gar keinen Einfluss haben. Man muss es einfach hinnehmen. Außerdem, so der Glaube vieler Leute, sei das Recht der Europäischen Union dem deutschen Recht natürlich übergeordnet, schließlich ist die EU ja auch viel größer als die Bundesrepublik, die nur ein Mitglied von 27 ist.

Sind Sie jetzt verzweifelt? Brauchen Sie nicht, denn beides ist auf seine Weise falsch. Zum einen stammt EU-Recht nicht aus himmlischen Sphären, sondern aus den Reihen jener Politiker, die sich mit dem Verweis auf die EU aus der Affäre stehlen wollen. In Brüssel herrschen die gleichen Parteien wie in den Mitgliedsländern. Die könnten alles auch ganz anders beschließen, wenn sie denn wollten. Sie reden sich sozusagen mit sich selbst heraus.

Zum anderen ist die EU kein Bundesstaat, sondern nur ein Staatenbund weiterhin souveräner Staaten. Das hat unser Bundesverfassungsgericht längst in diversen Urteilen immer wieder festgestellt, vom „Maastricht-Urteil“ 1993 bis zum „ultra vires“-Urteil von 2020, in dem Karlsruhe die Europäische Zentralbank in deren Schranken wies.

Die EU ist nur ein Netz von Verträgen, die Deutschland im Ernstfall kündigen könnte. Deshalb konnte Großbritannien sogar ganz aus der EU ausscheiden. Es hatte seine Souveränität niemals aufgegeben, ebenso wie alle anderen 27 EU-Staaten. Daher durfte es auch wieder gehen, und Brüssel ging das einen feuchten Kehricht an.

Na ja, austreten wollen wir ja gar nicht. Aber wird man nicht bestraft, wenn man sich als Mitglied nicht dem Willen der EU-Führung beugt? Tatsächlich hat man Ungarn schon mal mit EU-Strafgeldern belegt, weil sich die Magyaren ungehorsam zeigten. Das dürfte im Falle Deutschlands jedoch schwierig werden. Wir sind, anders als Ungarn, nämlich Nettozahler. Das heißt, wir zahlen Milliarden Euro mehr in den europäischen Gemeinschaftstopf, als von dort an Zuschüssen nach Deutschland zurückfließt, während Ungarn mehr herausbekommt als es einzahlt. Somit ist Ungarn erpressbar. Wir dagegen könnten unsere Beiträge einfach um genau den Betrag kürzen, den Brüssel uns abnehmen könnte, um uns auf EU-Linie zu pressen. Das Schwert gegen die Ungarn ist gegen die Deutschen demnach stumpf, wenn es die Germanen ernst meinen.

Aber meinen es die Germanen denn ernst? Um kein Risiko einzugehen, sollte man die Antwort auf diese Frage besser einem weiteren „Bürgerrat“ überlassen. Denn dessen Antwort wäre mit Sicherheit: Nein.


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