30.10.2024

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Vor 150 Jahren

Der Hiddensee-Goldschatz

Unglaublich detailreich und kunstvoll hergestellte Schmuckstücke, die den Betrachter in den Bann ziehen

Martin Stolzenau
21.08.2022

Die schmale Insel Hiddensee liegt mit rund 16 Kilometern Länge als sprichwörtlicher „Wellenbrecher“ westlich vor der Insel Rügen in der Ostsee, kann auf eine frühe Besiedlung schon in der Steinzeit verweisen, wurde, wie man in der „Edda“ lesen kann, auch von den Wikingern besucht und gehörte nach der Inbesitznahme durch die slawischen Ranen lange zum Territorium der Rügenfürsten und dann der pommerschen Herzöge.

Das Inselleben wurde durch ein Zisterzienserkloster, den Fischfang als Haupterwerbsquelle und den Kampf mit dem Meer geprägt, entwickelte sich im 20. Jahrhundert über alle Wechselfälle der Geschichte hinweg zu einem Anziehungspunkt für Künstler wie Gerhart Hauptmann, Thomas Mann, Asta Nielsen und Joachim Ringelnatz und gilt heute mit seiner weitgehend unberührten Naturidylle als Urlauberperle. In einem Reiseführer ist sogar vom „Capri Pommerns“ die Rede.

Doch die Auseinandersetzung mit dem Meer ist geblieben. Aus der langen Geschichte sind einige spektakuläre Sturmfluten, Überschwemmungen und Landverluste überliefert. Wenn nach längerer Westwindzeit mit dem Zustrom von großen Wassermassen in die Ostsee die Windrichtung wechselt und urplötzlich der Ostwind die Wassermassen gegen die Küsten von Pommern, Mecklenburg und Schleswig-Holstein drückt, kommt es auch an der Ostseeküste zu schweren Verheerungen.

Schatzfund nach Sturmflut

Als besondere Unglücksjahre sind 1309, 1625 und 1872 überliefert. Es gab Landverluste. Teile der Fischerdörfer waren verschwunden. Wiesen sowie Äcker waren weitgehend versandet. Viele Menschen konnten nur das nackte Leben retten. Erst schrittweise wurde danach das Ausmaß der Katastrophen deutlich.

Die Sturmflut vom 13. November 1872 sorgte dann aber auch für einen spektakulären Goldschatzfund am Strand von Neuendorf und an einer Westdüne bei Plogshagen, der die Bewohner teilweise ihre Verluste vergessen und auf Schatzsuche gehen ließ. Das wiederum rief die Behörden und die Wissenschaft auf den Plan. Heute sprechen die Wissenschaftler beim „Goldschatz von Hiddensee“ von „Deutschlands größtem Wikinger-Goldfund“, der allerdings nach der Auffindung und erster musealer Bearbeitung eine wechselvolle Geschichte erlebte.

Zunächst engagierten sich die Behörden und das damalige Stralsunder Provinzialmuseum für Neuvorpommern und Rügen per Vertrag für die Abgabe der wertvollen Fundstücke. Bei Ablieferung erhielten die Fischer als Finder „4,10 Mark pro Gramm Gold“. Damit wurde allerdings nur der Goldwert und nicht der Kunstwert bezahlt.

Die Funde sorgten einige Jahre für überregionales Aufsehen. Sogar Kaiser Wilhelm II. zeigte Interesse und bewog den Direktor des Stralsunder Museums, den Goldschmuck, der inzwischen mit 3,5 Millionen Reichsmark versichert war, 1880 für kurze Zeit zur Besichtigung nach Berlin zu bringen.

Danach rankten sich um den legendären Goldfund von Hiddensee noch mehr Geschichten. Letztlich hat die durch Wissenschaftler und Juristen begründete Version des Stralsunder Museums bis heute Bestand. Dazu gesellten sich als Bestätigung neueste „Untersuchungsergebnisse, die im Zusammenhang mit der Restaurierung im Römisch-Germanischen Zentralmuseum Mainz gewonnen wurden“.

Demnach entstammten die kunstvoll hergestellten Halsreifen, Hängestücke, Zwischenglieder, Kreuze mit Granulation und Anhänger mit Symbolen aus der germanischen sowie christlichen Überzeugung aus der Wikingerzeit des Königs Harald I. Blauzahn Gormsson aus dem Fürstenhaus Jelling, der als Wikingerkönig mehrfach die Normandie überfiel, die Oberhoheit Kaiser Ottos I. aber anerkannte und nach der eigenen Taufe als König von Dänemark und Norwegen ab 960 das Christentum in seinem Reich und damit in Skandinavien einführte. Dabei traf er auf mächtige Gegner. Nach verlorenem Kampf mit seinem Sohn Sven Gabelbart, einem Gegner der Christianisierung, konnte er mit Hilfe einiger Getreuer über Haithabu und Hiddensee auf die Jomsburg auf der Insel Wollin flüchten, wo er um 987 seinen Kampfverletzungen erlag.

Verwicklungen um den Schatz

Der Goldschmuck wurde wohl in diesem Zusammenhang unter Bedrängnis auf Hiddensee vergraben, dann über Jahrhunderte vergessen und erst im Gefolge der Flutkatastrophe von 1872 stückweise entdeckt. Alle überlieferten Fundstücke sind aus Feingold, befinden sich heute im Kulturhistorischen Museum in Stralsund, das in Stralsund Museum umbenannt wurde. Sie haben einen jetzigen Versicherungswert von rund 100 Millionen Euro.

Seit 1994 dürfen Schmuckgestalter mit der Erlaubnis des Museums im beschränkten Umfang „originalgetreue Replikate von Teilen des Hiddenseeschmuckes“ herstellen, die dann mit einem Zertifikat des Museums ausgestattet werden und zahlungskräftige Kunden anlocken.

Der Goldschatz von Hiddensee, der lange im Museum von Stralsund fast vergessen schien, erlebte während des Zweiten Weltkriegs eine Odyssee. Er kam zur Sicherung in einen Banktresor nach Stettin, lag nach einem Kriegstreffer „für jeden greifbar auf der Straße“ und wurde bei Aufräumungsarbeiten von einem Stralsunder, der den Goldfund kannte, entdeckt und als Museumsbesitz vor weiterer Plünderung versteckt. Das führte dann zu neuen Verwicklungen, weil sowjetische Offiziere die Objekte zunächst für „verstecktes Junkergut“ hielten.

Es dauerte, bis der Schatz endlich wieder im Museum der Hansestadt Stralsund landete, wo er nach Neuordnung und Restaurierung seit Langem zu den Hauptattraktionen gehört. Das Stralsund Museum in der Mönchstraße 25–28 ist ganzjährig außer montags geöffnet.

• www.stralsund-museum.de


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