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Reformstau

Der Internationale Währungsfonds sieht Deutschland in mehrere Krisen schlittern

Kaputte Infrastruktur, Fachkräftemangel, Energiekosten und schleppende Digitalisierung - die Liste der beanstandeten Mängel ist lang

Peter Entinger
03.01.2023

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat seine Prognose für die Weltwirtschaft deutlich gesenkt und sieht dabei vor allem Deutschland im Zentrum einer globalen Krise. Das Land habe „zweifelsohne große, aktuelle Probleme“, sagte Alfred Kammer, Direktor der Europaabteilung des IWF, dem „Spiegel“, und forderte die Bundesregierung auf, den Standort Deutschland mit staatlichen Investitionen zu stärken.

Als größte Baustelle macht der IWF Energie, Infrastruktur, Fachkräfte und Digitalisierung aus. „Überall ist die Bundesrepublik zurückgefallen. Das kostet Produktivität und Wachstum. Obendrein ist Deutschland besonders von der sich ändernden Globalisierung betroffen. Was es jetzt braucht, ist ein großes staatliches Investitionsprogramm“, sagte Kammer. Als Beispiele nannte er Breitbandausbau, eine digitale Verwaltung und Energiesouveränität.

Energiekosten verschärfen die Krisen

Vor allem die Energiekrise wird Deutschland nach Einschätzung des IWF noch lange zu schaffen machen. „Dieser Winter wird schwierig, aber der Winter 2023 könnte noch schlimmer werden“, sagte IWF-Vizedirektorin Gita Gopinath und fügte hinzu: „Die Energiepreise werden noch für längere Zeit hoch bleiben. Darauf muss Deutschland reagieren. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien muss deutlich beschleunigt werden.“ Deutschland habe einen größeren Industriesektor als andere Länder.

IWF-Direktor Kammer fordert, dass Deutschland noch „grüner“ werden müsse. „Die momentane Krise muss der Weckruf für eine neue, grüne Wirtschaft in Deutschland sein. Dafür muss die Bundesregierung alle Anstrengungen unternehmen“, so Kammer, der allerdings einen Vorteil in Deutschland sieht: „Die öffentlichen Haushalte sind finanziell immer noch weit besser in Schuss als vielerorts sonst.“

Dass es in Deutschland einen erheblichen Reformstau gibt, kritisiert nicht nur der IWF, sondern auch deutsche Ökonomen. Oliver Holtemöller, Direktor am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH), sieht die Bundesrepublik im Hinblick auf Digitalisierung international im Mittelfeld. „Ich bekomme von den Bundesministerien immer noch Faxe. Das ist ein absoluter Anachronismus“, sagte er. Sein Institut sieht die deutsche Wirtschaft zum Jahreswechsel vor schwierigen Zeiten. „Der Energiepreisanstieg erhöht die Lebenshaltungskosten und durch die vorsichtigere Kreditvergabe haben sich die Finanzierungsbedingungen verschlechtert“, so Holtemöller, fügte aber hinzu: „Die deutsche Konjunktur ist durchaus robust.“ Vor allem der Export habe sich von der Corona-Pandemie recht schnell und gut erholt. Allerdings bestünden aufgrund der aktuellen Lage zahlreiche Unwägbarkeiten. „Die Gas- und Strompreisbremse dürfte den Konjunktureinbruch im Winter zwar abfedern, sie erhöht aber auch das Risiko, dass die Inflationsrate von den hohen schuldenfinanzierten staatlichen Transfers weiter angeheizt wird“, erklärte der Ökonom.

Vor einer weiter steigenden Inflation warnt auch Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Das Armutsrisiko in Deutschland werde zunehmen, „weil eben gerade Menschen am unteren Ende jetzt auch nicht die großen Lohnsteigerungen bekommen. Für Menschen mit mittleren und geringen Einkommen wird das nächste Jahr eine Katastrophe.“

Wachstum ist möglich

Der IWF hatte seine globale Wachstumsvorhersage für das kommende Jahr kürzlich von 2,9 auf 2,7 Prozent gesenkt. Im Euroraum werde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) noch um 0,5 Prozent wachsen. Deutschland aber drohe eine Rezession um 0,3 Prozent, schreibt der Währungsfonds in seinem „World Economic Outlook“. Nur ein Land schneide 2023 noch schlechter ab – und das ist Russland.

2023 – so sagen es die Experten einhellig – dürfte ein ungemütliches Jahr werden. Für 2024 bleibt die Hoffnung, dass die Inflation so weit heruntergeht, dass die Löhne und staatlichen Leistungen wieder stärker steigen“, sagt Fratzscher. Doch bis dahin liege noch ein weiter Weg vor der Bundesrepublik.


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Kommentare

Henry Bleckert am 03.01.23, 08:32 Uhr

Es ist nicht schwer, Deutschlands Zukunft der kommenden zwei oder drei Jahrzehnte vorherzusagen:

Wird wohl für die meisten Bewohner im Großen und Ganzen von der Lebensqualität her auf eine Mischung zwischen dem heutigen Argentienien und dem aktuellen Libanon herauslaufen. Auch diese waren in ihren guten Zeiten wohlhabende und friedliche Länder.

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