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Historie

Der Kaiser und die Wissenschaften

Die Westfälische Wilhelms-Universität Münster möchte sich vom Namen ihres Stifters trennen, da sie diesen für historisch belastet hält. Dabei hatte die Wissenschaft im Laufe der Geschichte selten einen Förderer in der Politik wie Wilhelm II.

Eberhard Straub
23.04.2023

Preußen war nicht, wie dessen Verächter unbeirrbar verkünden, ein Reich der Kasernen und Truppenübungsplätze, sondern vor allem ein Land der Schulen, Akademien, Hochschulen, Universitäten und Forschungsinstitute. Der Geist von Potsdam und der Geist von Weimar widersprachen sich nicht, sondern ergänzten einander. Preußen war, wie jeder moderne Staat, ein Militärstaat, vor allem aber ein Rechtsstaat. Es wollte diesen zum Kulturstaat erweitern. Nach der fürchterlichen Niederlage 1806 und während der französischen Besetzung bis 1813 rief der preußische König Friedrich Wilhelm III. dazu auf, mit moralischen Gütern den Verlust der materiellen auszugleichen, also mit Wissenschaft und Kunst eine innere Freiheit zu behaupten, während die äußere, die politische, aufgehoben ist. Die drei Friedrich-Wilhelms-Universitäten in Berlin, Breslau und später in Bonn repräsentierten diesen Geist der Freiheit und Selbstbestimmung, der die übrige Welt staunen machte. Denn „die französische Universität hat keine Freiheit, die englische keine Wissenschaft, die deutsche Universität hat beides“.

Das unterschied sie, wie der britische Schöngeist und Bildungspolitiker Matthew Arnold l867 lapidar seine Erfahrungen zusammenfasste, mit ihrem Schulbetrieb grundsätzlich von der preußischen und alsbald deutschen Verbindung von freier Forschung und freier Lehre, ergänzt um die Lernfreiheit der Studenten. Diese drei Freiheiten waren unmittelbar mit der Bildungsidee eines selbstständigen, freien Menschen verbunden, der auch in der Verwaltung, in den weiten Gebieten staatlicher Wirksamkeit, jeder ihm gestellten Aufgabe mit Zartheit und Behutsamkeit gegenüber allem Lebendigen gewachsen sein konnte. Die Universitäten unterhielt zwar der Staat, aber er garantierte ihnen als Körperschaften eigenen Rechts ihre Unabhängigkeit. Der Talar veranschaulichte, wie bei Richtern und Priestern, den besonderen Rang der freien Universität im freien Staat, der seine Grenzen nicht überschreitet.

Der Anteil Wilhelms an einer geistreichen Epoche

Der Name des Königs, des obersten Freiherrn, bot die Gewähr, geschützt zu sein vor gesellschaftlichen und staatlichen Übergriffen. Das galt auch noch unter Wilhelm II., dem preußischen König, dessen Namen die Universität Münster, 1902 während seiner Regierungszeit eingerichtet, gerade aus ihrem offiziellen Titel entfernen will. Mit diesem Akt fügen sich „die Lehrenden“ von heute den Wünschen einer „Zivilgesellschaft“, die in entschiedener Distanz zu Preußen und dessen Königen eine Voraussetzung zur notwendigen Wehrertüchtigung der Geister erkennen möchte, damit gerade an der Bildungsfront der Ungeist unschädlich gemacht werden kann.

Die Epoche des sogenannten „Wilhelminismus“ war allerdings ungemein geistreich und deswegen lebendig, voller glänzender Überraschungen. Daran hatte Wilhelm II. seinen Anteil. Er vertraute rückhaltlos den großen Kultur- und- Wissenschaftsorganisatoren: Adolf von Harnack, dem Theologen, Historiker und Direktor der Preußischen Staatsbibliothek, Wilhelm von Bode, dem Kunsthistoriker und Museumsdirektor, sowie den Beamten im preußischen Kultusminsterium Friedrich Schmidt-Ott und Friedrich Althoff, den manche Amerikaner um 1900 für einen der genialsten Männer ihrer Zeit hielten.

Wilhelm II. nannte Friedrich Althoff seinen „Napoleon in der Wissenschaftspolitik“. Anfänglich Professor für Zivilrecht, wollte dieser Ministerialdirektor (von 1882 bis 1908) nie Minister werden, weil er fürchtete, dann zu sehr von der Politik beansprucht zu werden. Gerade diese Klugheit, erlaubte es ihm, wie Napoleon in alle Gebiete einzugreifen, sie zu ordnen oder mit anderen geistigen Provinzen zu vereinen. Er wurde zum Autokraten, da durch Erfahrung darüber belehrt, dass ein Einzelner mehr zu erreichen vermag als ein Gremium oder Ausschuss. Seine ausschweifenden Sachkenntnisse machten unweigerlich Eindruck, und, wenn auch widerstrebend, erkannten viele die Vorzüge der berechtigten Autorität im Vergleich zur liberalen Diskussion, bei der man sich verplaudern kann und häufig nur Verwirrung stiftet und damit der Willkür den Weg ebnet. Dennoch sprachen solche Professoren, die mit ihm in Schwierigkeiten geraten waren, von seiner Tyrannei, obschon sie in ihrem Institut daran gewohnt waren, so zu entscheiden, wie sie es für richtig hielten.

„Napoleon der Wissenschaftspolitik“

Friedrich Althoff interessierte nur die Wissenschaft. Die Wissenschaftler mit ihrer Eitelkeit, ihrem Ehrgeiz, Einfluss zu nehmen und zu erweitern, dauernd mit Intrigen beschäftigt, um Konkurrenten möglichst zu schädigen, enttäuschten ihn zunehmend und stimmten ihn zuweilen sehr gereizt, weil er in ihnen das ärgerlichste Hindernis für neue Ideen und ungewohnte Methoden sah. Er konnte souverän im weiten Reich der Wissenschaft herrschen aufgrund seiner umfassenden Kenntnisse über neue Entwicklungen und Ermüdungserscheinungen bei überhandnehmender Routine, vor allem aber, weil sein Souverän, der König und Kaiser, mit einem Machtwort jede weitere Diskussion beendete und es damit Althoff ermöglichte, das durchzusetzen, was ihm dringend geboten erschien.

Den König und den Beamten verband dabei der Wille, den deutschen Universitäten und der deutschen Wissenschaft ihre Überlegenheit zu erhalten, also ihre Weltgeltung im Zeitalter der Weltpolitik, des Welthandels, der Weltmächte und auch der Weltliteratur und Weltwissenschaft.

Wer in der Wissenschaft den Anschluss verlor, büßte seine Wettbewerbsfähigkeit ein. Das bedeutete, die überlieferte Idee der Universität, ohne sie aufzugeben, den neuen Herausforderungen anzupassen, also auch die Wissenschaft wie einen Großbetrieb zu organisieren, ohne dabei die Einheit der Wissenschaft zu vernachlässigen, auf die der Name Universität hinweist. Berlin sollte die Modelluniversität schlechthin in allen Fächern bleiben, in Göttingen aber vorzugsweise die Naturwissenschaften, in Bonn Romanistik, Altertumswissenschaft und Kunstgeschichte institutionell gefördert werden.

Von Berlin aus sollten die Vorhaben der einzelnen Bundestaaten koordiniert werden im Sinne einer gesamtdeutschen Bildungspolitik, die stets darauf achtete, von anderen Nationen als Vorbild wahrgenommen zu werden, statt in Abhängigkeiten zu geraten. Das Reich trat zunehmend weltweit mit Instituten und Forschungseinrichtungen in Erscheinung, obschon Kultur und Wissenschaft ihm eigentlich entzogen waren. Die Übereinstimmung von Reich und Bundesstaaten genügte Althoff bald nicht mehr: Er zog Österreich-Ungarn in seine Überlegungen mit ein, um das große Mitteleuropa wissenschaftlich zu einigen zum Vorteil aller Beteiligten.

Labolatorium der Moderne

Besondere Aufmerksamkeit schenkten Althoff und Wilhelm II. dem einzigen gefährlichen Konkurrenten, nämlich den USA. Ihre Absicht war es, bei möglichst engem Austausch den Vorsprung zu halten und Deutschland das Privileg zu erhalten, die Universität der gesamten Welt zu sein und das große Laboratorium der wissenschaftlichen Moderne zu bleiben. Dafür reichten die Mittel der einzelnen Staaten und des Reiches nicht aus. Friedrich Althoff und Friedrich Schmidt-Ott, der letzte preußische Kultusminister, folgten daher dem amerikanischen Beispiel, reiche Bürger über Stiftungen und Schenkungen an Aufgaben zu beteiligen, die bislang als staatliche betrachtet worden waren. Es waren die Kaiser-Wilhelm-Institute (1947 von der englischen Besatzungsmacht gegen den Willen des Physikers in Max-Plank-Institute umbenannt), die – 1910 als reine Forschungsinstitute gegründet – eindrucksvoll bewiesen, dass Forschung und Wissenschaft als eine Gemeinschaftsaufgabe aller Deutschen verstanden wurden, die dem Reich als Kulturstaat mit ihren Leistungen neue Möglichkeiten erschlossen.

Trotz der Mitwirkung der preußischen Regierung handelte es sich bei diesen Instituten um keine spezifisch preußischen Einrichtungen. Sie waren nationale, gegründet im Namen des Deutschen Kaisers und nicht des preußischen Königs. Mit ihnen sollte die Leistungskraft der deutschen Wissenschaft und der deutschen Wirtschaft demonstriert werden.

Der Enthusiasmus des Bürgertums

Es war nicht allein die Eitelkeit der Industriellen und Handelsherren, die diese dazu veranlasste, hohe Summen zu spenden in der Erwartung hoher Orden oder adliger Titel. Im liberalen Bürgertum gab es einen Enthusiasmus, im öffentlichen Leben mitzuwirken. Staat und Gesellschaft kamen in viel engeren lebhaften Verkehr, weil Staatszwecke auf einmal als nationale und damit als gesellschaftliche galten, was die innere Einheit festigte.

Die Gesellschaft an der Förderung von Bildung und Wissenschaft zu beteiligen, bedeutete aber auch eine Demokratisierung. Die Bürger nahmen gerne die Möglichkeit wahr, vorübergehend oder dauerhaft, etwa mit einer Universitätsgründung wie in Frankfurt am Main 1913, ihren Bürgersinn zu beweisen. So lag es nahe, an den vaterstädtischen oder vaterländischen Stolz der Wohlhabenden und deswegen viel Vermögenden zu appellieren. Um 1910 gab es außerhalb der Vereinigten Staaten nur in Deutschland so viele gut ausgestatteten Stiftungen und eine ähnliche Bereitschaft, mit großzügigen Spenden Vorhaben von nationaler Bedeutung voranzutreiben. Außerdem war die Wirtschaft auf die Wissenschaft angewiesen, mit deren Ergebnissen sie arbeitete, um neue Produkte und Techniken zu entwickeln.

Die Weltgeltung deutscher Wissenschaft versprach der Wirtschaft, sich auf dem Weltmarkt weiterhin bewähren zu können. Wilhelm II. sorgte in Absprache mit Friedrich Althoff, Friedrich Schmidt-Ott und Adolf von Harnack dafür, dass Verwaltung, Professoren und Unternehmer zusammenarbeiteten, einig in der Überzeugung, dass mehr noch als auf der Wehrkraft Deutschlands Stellung in der Welt auf seiner Wissenschaft und Wirtschaft beruhe. Nationalismus und Internationalimus bildeten dabei keine schroffen Gegensätze. Handel und Wandel, auch die Diplomatie, lassen sich nicht vom Eigennutz trennen. Deshalb hielt es Friedrich Althoff für eine wichtige, die Wahrung der jeweiligen Interessen ergänzende Aufgabe, „dem geistigen Verkehr zwischen den Führern der Kulturbestrebungen der verschiedenen Nationen den Weg zu bahnen. Mit diesem neuen Kulturbindemittel werden wir dem Weltfrieden und der Weltkultur eine feste Grundlage geben.“

Auch ein solcher Rat Friedrich Althoffs, eines engen Vertrauten Wilhelms II., einem US-Amerikaner 1907 erteilt, gehört zum Wilhelminismus.

• Dr. Eberhard Straub ist Historiker und Publizist. Zu seinen Werken gehören „Kaiser Wilhelm II. Die Erfindung des Reiches aus dem Geist der Moderne“ (Landt Verlag 2012) sowie „Der Wiener Kongress. Das große Fest und die Neuordnung Europas“ (Klett-Cotta 2014).
www.eberhard-straub.de


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Kommentare

Michael Holz am 26.04.23, 15:41 Uhr

Sehr geehrter Herr Dr. Straub, wie wäre es, wenn Sie einmal etwas über die "völkerrechtswidrige" Auflösung Preußens schreiben würden. Das Kontrollratsgesetz Nr. 46 aus dem Jahre 1947 ist ein Gesetz der Sieger, den wir Preußen nicht zu akzeptieren haben - oder doch?
MfG
Dr. Michael Holz, ein Preuße

Tom Borns am 26.04.23, 07:41 Uhr

Leider nicht ganz richtig, liebe Frau Wolnow.

Richtig müsste es heißen: "...in der gar nichts MEHR stimmt."
"In der gar nichts stimmt", dies ist das Geschichtsbild, welches den Deutschen, insbesondere aber der heutigen Jugend in den Schulen, vermittelt wird. In der Regel wird dort über die Zeit vor 1933 schnell hinweggewischt, um dann nur ja schnell das schuldbeladene Zeitfenster zu erreichen. Vorgelagerte deutsche Geschichte (seien es die Befreiungskriege, die bürgerliche Revolution, der deutsch- französische Krieg, die Entwicklung der Kultur und der Wissenschaften oder der Bismarkschen Sozialgesetze, ganz zu schweigen von germanischen Vergangenheiten) spielt keine Rolle mehr. Hier sind die Eltern gefordert, Interesse zu wecken und Wissen zu vermitteln. Die Schulen ebenso wie die Medien kehren unwidersprochen stets das nur Schlechte hervor, sobald es um deutsche Geschichte geht.
Wer aber keine Wurzeln mehr hat oder um diese nicht weiß, der ist über kurz oder lang verloren...

Kersti Wolnow am 25.04.23, 08:50 Uhr

Deutsche Bildung als Vorbild? Nein, da gibt es globale Kräfte, die haben keine Vorbilder. Die rauben und zerstören lieber. Deutsche bildungspolitik ist den Namen nicht wert. Selbst der Meisterbrief wurde abgeschafft, in den Schulen lernen die Kinder Englisch, noch ehe sie die deutsche Grammatik, zerstört durch die Schlechtschreibreform, verinnerlichten. Man schreibt nach Gehör und nach häßlichen Bildchen, wie ich gerade feststellen konnte.
Nun, die Besatzer bestimmten den Namen der Bildungsinstitute, sie bestimmten auch die Zerstörung unserer Kultur und Geschichte, in der gar nichts stimmt.

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