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Der Landsitz des Kaisers

Vor 125 Jahren erwarb Kaiser Wilhelm II. das seinerzeit westpreußische Rittergut Cadinen. Der Hohenzoller ließ es zu seiner Sommerresidenz ausbauen

Wolfgang Reith
18.12.2023

Die idyllisch am Frischen Haff gelegene Siedlung Cadinen, die man über eine wunderschöne Allee erreicht, wurde erstmals in einer Urkunde des Jahres 1255 als „terra Cadinensis“ erwähnt. Der Name leitet sich ab vom altprußischen Wort „kudas“, das mit „mager“ oder „elend“ übersetzt wird. Allerdings existierte dort auch eine prußische Burg unter der Bezeichnung „Cadina“, die der Sage nach auf die gleichnamige Tochter des Stammesfürsten Tolko zurückgeht. 1354 taucht dann die Feldmark als „Kudien“ auf.

Kurz nachdem sich der Deutsche Orden 1237 in Elbing niedergelassen hatte, begründete er in der Nähe der alten pru­ßischen Burg einen Hof, den er zusammen mit dem umliegenden Cadiner Land in eigenem Besitz behielt. Dieses Ordenshaus Cadinen war ein Richthof, auf dem der Elbinger Komtur Recht sprach. Außerdem beherbergte der Ort ein Kammeramt (Sitz des Kämmerers) und seit 1410 auch das Waldamt der Elbinger Komturei.

Nach der Tannenbergschlacht von 1410 geriet der Ritterorden in finanzielle Schwierigkeiten. Diese konnten zu einem großen Teil durch den vermögenden Landesritter Hans von Baisen (beziehungsweise Baysen) gelöst werden, der dafür 1431 Cadinen als Pfand verliehen bekam. Damit wechselten Ordenshof und Gut in Privatbesitz. Bis 1506 blieb er in den Händen der Familie von Baisen. Anschließend verkaufte diese ihn an das ermländische Domkapitel. So kam es, dass Cadinen von Nikolaus Kopernikus verwaltet wurde.

Schon von Kopernikus verwaltet
1521 fiel die Herrschaft noch einmal an den Deutschen Orden zurück, der sie jedoch bereits wenige Jahre später infolge des Krakauer Friedens von 1525 an das Domkapitel zurückgeben musste. Von diesem erwarb Hans von Baisens Nachkomme Georg von Baisen noch im selben Jahr das Gut. Mit Unterbrechungen während der Jahre 1537 bis 1559 und 1605 bis 1608 blieb Cadinen im Besitz der Familie, bis der kinderlose letzte Angehörige dieses Adelsgeschlechts, Ludwig von Baisen, das Gut 1612 an den Oberburggrafen des Herzogtums Preußen, Hans Truchseß von Wetzhausen, verkaufte. Durch die Heirat seiner Tochter Elisabeth mit dem Grafen Albrecht von Schlieben im Jahre 1624 ging Cadinen auf diese Familie über, deren Nachkommen mit einigen Jahren Unterbrechung bis 1787 Besitzer blieben.

In jenem Jahr erwarb der preußische General Wilhelm Friedrich Karl von Schwerin das Anwesen. 1799 verkaufte dieser es aufgrund hoher Schulden an den Frauenburger Domherrn Ignaz von Matthy. Letzterer behielt den Besitz nur ein halbes Jahr und verkaufte ihn dann an seinen Vetter, den Danziger Bankier Ignaz Anton von Matthy. Nach dessen Tod 1804 erwarb der Elbinger Bankdirektor Gotthilf Christoph von Struensee das Gut Cadinen, der es im Jahr darauf an seinen Schwiegersohn Leopold von Dewitz übergab. Als dieser wegen Überschuldung die Herrschaft nicht mehr halten konnte, übernahm es 1811 erneut Struensee, der es bereits drei Jahre später an den Elbinger Kaufmann Daniel Birkner verkaufte. Damit geriet Cadinen nach mehr als einem Vierteljahrtausend wieder in den Besitz einer bürgerlichen Familie.

Jahrhunderte in bürgerlichem Besitz
Nach Daniel Birkners Tod 1827 folgte ihm sein Sohn Eduard, der das Gut 40 Jahre lang bewirtschaftete. 1867 überließ er es seinen beiden Söhnen Erich und Arthur. Ersterer starb 1878. Dem überlebenden kinderlosen Bruder fiel es mit zunehmendem Alter immer schwerer, die Belastungen der Bewirtschaftung zu bewältigen. Bereits zu Lebzeiten beider Brüder hatten diese bestimmt, dass das Gut nach ihrem Ableben in den Besitz des preußischen Königs übergehen sollte. Dies geschah dann schon sieben Jahre, bevor 1895 auch der zweite Bruder starb.

Am 15. Dezember des Jahres 1898 erwarb Wilhelm II. Cadinen. Am 2. Juni 1899 besichtigte der deutsche Kaiser und preußische König erstmals seinen Neuerwerb. Am 5. und 6. Oktober 1899 zeigte der Kaiser seiner Gemahlin seinen neuen Besitz. Fortan diente er der Familie als Sommerresidenz und wurde von dieser nicht selten sogar zweimal im Jahr genutzt.

Das Gutshaus war in den Jahren zwischen 1723 und 1737 vom damaligen Besitzer Johann Wilhelm Graf von Schlieben im Barockstil erbaut worden, hatte um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert eine umfassende Renovierung zu einem Landhaus im Stil des Neoklassizismus erfahren und war 1883 noch einmal einer Modernisierung unterzogen worden. Im Sommer 1899 ließ der finanziell potente neue Hausherr zahlreiche bauliche Veränderungen vornehmen. So wurde das Herrenhaus durch einen Anbau vergrößert und die Inneneinrichtung erneuert. Das führte dazu, dass man das Gebäude nun als Schloss bezeichnete.

Umbau im Sommer 1899
Auch für die Gutsangestellten ließ der Monarch etliche Erneuerungen vornehmen, so etwa den Bau von Arbeiterhäusern, einer Post sowie eines Senioren- und Pflegeheims für die Alten und Kranken. Großes Interesse zeigte der Kaiser für die Kinder seiner Bediensteten, für die er 1901/02 eine Schule errichten ließ. Dort wohnte er gelegentlich auch dem Unterricht bei. Ab 1899 entstand zudem ein repräsentatives Gestüt, in dem Trakehner und Holsteiner gezüchtet wurden. Besonderen Bekanntheitsgrad erlangte schließlich die „Königliche Majolika- und Terrakotta-Werkstatt“, die 1904 in Betrieb ging und deren Erzeugnisse – rotbraune, glasierte Keramikwaren – einen hervorragenden Ruf genossen. Außerdem fertigte man hier die berühmten „Cadiner Fliesen“ an, mit denen unter anderem einige Berliner U-Bahnhöfe ausgestattet wurden. In den Jahren 1913 bis 1917 ließ der Kaiser etwas abseits eine prächtige Kirche erbauen, die wegen des Ersten Weltkrieges allerdings erst 1920 und damit nach dem Ende der Monarchie eingeweiht wurde. So entwickelte sich Cadinen in den 20 Jahren zwischen 1898 und 1918 zu einem landwirtschaftlichen Musterbetrieb mit vorbildlichen sozialen Verhältnissen.

Fertigung der „Cadiner Fliesen“
Die Bewirtschaftung seines Gutes übertrug der Imperator Rex dem damaligen Elbinger Landrat Rüdiger von Etzdorf, der die Funktion als Generalbevollmächtigter bis 1927 ausübte. Unterstützt wurde er dabei anfänglich vom Oberinspektor Walter Oldenbourg und anschließend vom Oberinspektor Georg Nowack. Die Verwaltung lag später einige Jahre in den Händen von Joachim-Peter von Moltke.

Nach dem Ende der Monarchie 1918 kehrte zunächst Ruhe auf dem hohenzollernschen Anwesen ein, bis 1941 nach dem Tod des Kaisers im Exil sein Enkel, Prinz Louis Ferdinand, von seinem Vater, Kronprinz Wilhelm, als Generaladministrator mit der Verwaltung des Gutes beauftragt wurde und mit seiner Familie einzog. Die beiden Töchter, Prinzessin Cécile und Prinzessin Kira, wurden hier 1942 und 1943 geboren. Cadinen blieb bis zum 25. Januar 1945 im Besitz des Hauses Hohenzollern. An jenem Tag verließ der Kaiserenkel nur wenige Stunden vor dem Eintreffen der Roten Armee den Ort und floh mit einem Pferdeschlitten über das Eis des Frischen Haffs.

Das Zuhause von Louis Ferdinand
Die von Louis Ferdinands Großvater vor dem Ersten Weltkrieg errichtete Kirche wurde während der Kampfhandlungen 1945 arg beschädigt. 1957 wurden ihre Reste gesprengt und abtransportiert. Der Altar konnte jedoch gerettet werden und befindet sich heute in der Nikolaikirche in Elbing.

Nach dem Zweiten Weltkrieg richteten die Polen in Cadinen zunächst eine Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft ein. 1961 wurde in den vormaligen Wirtschaftsgebäuden auch das Gestüt wiederbelebt. Bereits 1989 wurde das gesamte Dorf unter Denkmalschutz gestellt.

1990 etablierte ein amerikanischer Investor in den Verwaltungsgebäuden ein Hotel, das schon zwei Jahre später ein Engländer übernahm, zunächst als „Kadyny Palace Hotel“ beziehungsweise „Kadyny Country Club“, dann als „Kadyny Folwark Hotel & Spa“. Das einstige Schloss des Kaisers stand viele Jahre leer und wurde erst ab 2014 restauriert. Anschließend zog das Hotel ein. In einer Schauwerkstatt wird die Keramiktradition von Cadinen fortgeführt. Nahezu unauffällig, aber für den historisch interessierten Besucher gleichwohl von Bedeutung, sind die in die gemauerten Pfosten der Toreinfahrt eingelassenen Ziegel mit der deutschen Kaiserkrone und der Inschrift „Cadinen“.


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