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Vor 700 Jahren starb der Florentiner Dichter Dante Alighieri. Aufgewachsen in der Welt der Spätantike, wurde er zum Schöpfer der italienischen Sprache
Ein so zahlreiches und vornehmes Trauergefolge wie zu Ehren Dante Alighieris, am 14. September 1321 verstorben, hatte es, wie Zeitgenossen vermuteten, seit dem Tod des römischen Kaisers Augustus nicht mehr gegeben. Sie waren sich bewusst, dass es sich bei Dante, dem Dichter der „Divina Commedia“ (zu Deutsch: „Göttlichen Komödie“), um einen ganz außerordentlichen Mann gehandelt hatte, berühmt auf dem weiten Erdenrund, weil Schöpfer der neueren, der italienischen Sprache und Zierde wie Leuchte der alten, des Latein. In beiden Sprachen bestätigte er, nicht nur ein geschickter Versemacher, sondern ein profunder Denker und Gelehrter zu sein.
Der Florentiner Dante war stolz darauf von echten Römern abzustammen, die 59 vor Christus auf den Trümmern einer von ihnen zerstörten etruskischen Siedlung die Militärkolonie Faesulae gründeten, aus der sich im Lauf der Zeiten Florenz entwickelte. Er begriff sich als römischen Florentiner.
Der leidenschaftliche italienische Patriot haderte allerdings heftig mit seinem kleinen Vaterland, weil es vor dem großen Vaterland – Italien – versagte, das nur als Teil des von den deutschen Kaisern verwalteten Römischen Reiches und in Übereinstimmung mit ihnen seinen Aufgaben gerecht werden konnte, eine Friedensordnung aufrechtzuerhalten. Florenz und die übrigen Städte und Herrschaften verwickelten sich ununterbrochen in schreckliche Bürgerkriege, weil die nicht mehr fähig waren, sich in größere Zusammenhänge zu versetzen.
Sehnsucht nach klassischem Italia
Deshalb ging ihnen eine Vorstellung von der klassischen Italia verloren, dem Garten des Römischen Reiches. Indessen verwahrlost veranschaulichte dieser, wie sehr er auf Pflege angewiesen ist, weil im schlechten Acker auch die beste Saat nicht gedeiht. Ohne die römischen Tugenden, die zu Tüchtigkeit, praktischer Vernunft, Umsicht und Eleganz verhelfen, löste sich die frühere „civilitas“, die allgemeine Lebenskultur, auf und ebnete wilder Formlosigkeit den Weg, deren schaurigstes Ergebnis die babylonische Sprachverwirrung von den Alpen bis nach Sizilien war.
Dante ging es von vorneherein darum, als Dichter, entsprechend der Forderung des Römers Horaz, zu unterhalten und zu nützen, was für ihn hieß, den Italienern zu einer gehobenen Sprache zu verhelfen, die alle Vorzüge des Latein besitzt und es ihnen zugleich ermöglicht, wieder zu einer Idee ihres Vaterlandes zu gelangen.
Die Sprache sollte Einigkeit, nicht Einheit schaffen in der Tradition des Römischen Reiches, das in der alten Italia viele Besonderheiten achtete und dem freien Leben sein Recht in den Gemeinden und Landschaften ließ. Dante setzte fort, was eine Generation früher der schwäbische Kaiser Friedrich II. und dessen Söhne von Sizilien aus vorbereitet hatten: eine Wiedergeburt Italiens aus dem Geist der gemeinsamen Sprache.
Der Kaiser reiste während seiner Kriegszüge stets mit einem großen Gefolge von Dichtern, Sängern und ritterlichen Schöngeistern, die auf dem Festland unter den in ihren Dialekten und in ihren Lokalpatriotismen Befangenen dafür warben, sich um die noch ungeordneten Volkssprachen zu kümmern, sie zu adeln, zu verschönern, und den gefälligen Klang der gesprochenen Rede auch dem geschriebenen Wort zu verleihen. Klang und Rhythmus, die Musik, die edelste aller Künste, sollte dem Wort, dem Begriff einen besonderen Zauber verleihen.
Dante wusste wie jeder Christ: Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott, der mit der Schönheit identisch ist. Die Umgangssprache, in der die göttliche Wahrheit verkündet wurde, sollte deshalb eine Ahnung von dem „splendor veritatis“, dem Glanz und der Klarheit vermitteln, mit dem sich alles Göttliche offenbart. Es waren nicht zuletzt Florentiner, die des Kaisers Empfehlungen beherzigten, sodass Dante vor allem aus dem Toskanischen die verbindliche Sprache gewinnen konnte, die seitdem alle zu Italienern erzieht.
Entdeckung der Volkssprache
Dante war im Übrigen auch der erste und einzige, der lange vor der Sprachwissenschaft die Sprachgruppen in Europa untersuchte, die sich aus dem Latein und den germanischen Idiomen entwickelt hatten. Und das nicht nur aus philologischer Neugier, sondern aus patriotischer Leidenschaft.
Dante war als tüchtiger Bürger ein Opfer der parteipolitischen Zwiste in den Kommunen mit ihrer „Demokratie“ geworden. 1302 wurde er aus Florenz verbannt, später gar zum Tode verurteilt, reiste dann unstet durch Italien und lernte somit die Unzulänglichkeiten seiner Landsleute – nicht nur in Grammatik und Aussprache – gründlich kennen.
Er urteilte schroff über Städte und Herrschaften und über die Italiener insgesamt. Sein heiliger Zorn über die vaterlandslosen und nichtswürdigen Krämer, Krieger und Herren, die vorzugsweise im Nachteil des anderen ihren Vorteil witterten, ergab sich unvermeidlich aus dem hohen Ideal, das er sich – voller römischer Erinnerungen – entworfen hatte und dem nur wenige Zeitgenossen genügten. Er hoffte auf eine künftige „patria“ und auf begeisterte Patrioten, die römische Würde und Größe erneuerten. Er war tatsächlich als letzter Römer der erste Italiener und ist deshalb auch der größte geblieben, ein Gründer wie Romulus.
Pedantische Humanisten tadelten, dass Dante erhabene Dinge in der Volkssprache behandelte. Doch gerade unter denen, die kein oder kaum Latein kannten, wurde seine „Commedia“ rasch populär, trotz aller Gelehrsamkeit und der schon damals vielen gar nicht mehr vertrauten Personen mit ihren Lebensdramen, ganz abgesehen von den mythologischen Helden und römischen Senatoren, Soldaten und Kaisern. Es mögen liebenswürdige Lügen sein, dass Eseltreiber oder Schmiede Dantes Verse deklamierten oder sangen. Doch solche Anekdoten konnten nur verbreitet werden, weil eben „das Volk“, wie Dante es sich gewünscht hatte, in der Sprache das Band erkannte, das alle vereinigte und zusammenhielt.
Sehr bald stellte sich eine weitverbreitete Freude ein, sich gewandt ausdrücken zu können und phantasievoll mit den Möglichkeiten zu spielen, die Grammatik und Vokabular boten. Nirgendwo gab es damals ein solches Sprachbewusstsein, das bei aller Formalität einen freien, natürlichen Austausch erlaubte. Von den Italienern lernten die übrigen Europäer „civilitas“, eine Lebenskultur, die Anmut, Witz und Würde vereinte.
Die italienische Mission
Die Italiener reisten viel und konnten mit ihrer anmutigen Lebhaftigkeit nicht allein für die vornehmen Leute zum Vorbild werden. Handwerker, Künstler, Händler, Soldaten, Gastwirte und allerlei fahrendes Volk regten mit ihrem weltläufigen Betragen ihresgleichen unter Spaniern, Franzosen und Deutschen dazu an, manche ihrer Grobheiten oder Schwerfälligkeiten abzulegen. Italiener wurden zu einer Weltmacht des guten Geschmacks. Das war Dantes Verdienst. Nicht zuletzt, weil er dem italienischen Patriotismus eine universale Richtung gewiesen hatte.
Für Dante war Italien doppelt bevorzugt: wegen Rom, der Hauptstadt des Römischen Reiches und der Römischen Kirche, des weltlichen und des geistigen Imperiums mit universalem Auftrag. Er sah Italiens Bestimmung darin, einträchtig mit Kaiser und Papst dafür zu sorgen, dass eine alles umfassende Ordnung auf Erden eine Ahnung von dem göttlichen Friedensreich im Paradies vermittelt, in dem Christus als Römer herrscht.
Die Fülle der Zeiten war gekommen, als unter Augustus, für Dante der ideale und vollkommene Kaiser, das Römische Reich den Höhepunkt seiner Macht erreicht und mit seiner „Pax Romana“ die Voraussetzung geschaffen hatte für den Eintritt Christi in die Geschichte. Der Herr der Geschichte, Christus der Weltenkaiser, wurde als Retter und Römer geboren. Von der Sendung Roms, die Welt von allen Übeln zu befreien, kündete Vergil. Dieser heidnische römische Reichsdichter führte Dante – den anderen, nun christlichen Reichspoeten – durch die Unterwelt über den Läuterungsberg bis zu den Pforten des Paradieses.
Die „Divina Commedia“ ist nicht nur die Erlösungsgeschichte Dantes und des irrenden Menschen, sondern vor allem die Geschichte der Welterlösung durch Rom, durch Kaiser und Papst als Stellvertreter des Römers Christus. Alles gerät in Unordnung, sobald beide in Zwietracht miteinander leben und Rom, die Mitte der Welt, um seine Macht bringen. Die Macht ist gut, weil sie von Gott dem Allmächtigen herrührt. Ohne Macht lässt sich nichts machen.
Aufgrund dieser politischen Theologie Dantes waren das Heilige Römische Reich und die Heilige Römische Kirche auf Rom angewiesen, auf das Haupt der Welt. Fern von der „urbs“, der Stadt, die den „orbis“, den Weltkreis, repräsentiert, wie jetzt zu Dantes Zeiten, verkümmern beide und tragen mit ihren Schwächen zur Friedlosigkeit der Welt bei. Italien ist dann nicht mehr die Zierde des Reiches, sondern ein Irrgarten, wo jeder im anderen einen Wolf fürchten muss.
Dante hielt den weltlichen Ehrgeiz der Päpste für verderblich, den erst die Kaiser weckten, indem sie den Bischof von Rom seit Konstantin dem Großen mit politischen Privilegien ausstatteten, die sie aufmunterten, nach weiteren Vorrechten zu streben, endlich gar nach Obermacht über den Kaiser. Die Kaiser, die Hüter des Rechts, sind, wie Dante beklagt, in ihre deutschen Affären verstrickt, zu Parteiführern geworden, die das Reich und Italien vernachlässigen. Päpste und Kaiser beschleunigen mit ihren Spießgesellen die vollständige Korruption in Italien, die der Römer Dante heftig beklagt.
Stifter des Vaterlands
Er geißelt Personen, ob Kaiser oder Päpste, die den Institutionen aber nichts anhaben können. Denn Ideen und Ideale verlieren ihre Bedeutung und fordernde Macht nicht wegen menschlicher Schwächen. Ganz im Gegenteil. In der Welt voller Täuschungen und Lügen, in der Fiktionen die Wirklichkeiten überlagern, gewähren sie allein einen Halt und mahnen Italiener, sich an die alten römischen Tugenden zu erinnern und nicht alle Hoffnung aufzugeben und mutlos zu verzagen.
Alle, die sich nach einem würdigen Vaterland während der sieben Jahrhunderte seit Dantes Tod heraussehnten aus dem ohnmächtigen, uneinigen Italien, beriefen sich auf diesen Vater eines idealen Vaterlandes. Seine Sprache blieb – einzigartig in Europa – unverändert die ihrige. Rinascimento und Risorgimento, vaterländische Wiedergeburt oder nationales Auferstehen, sind mit diesem Römer und Italiener verbunden, der immer wieder als Nothelfer beschworen wird, wenn die Kleinmütigen darüber hadern, was Italien war, ist und sein könnte.
Chris Benthe am 13.09.21, 13:37 Uhr
Exzellenter Artikel. Glänzend geschrieben, mit packendem Pathos. Wunderbar. Und danke.