25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden

Wilhelm I.

Der Mann über Bismarck

Vor 225 Jahren wurde der spätere König und Kaiser geboren. Gedanken über einen zu Unrecht vergessenen Monarchen

René Nehring
21.03.2022

Wilhelm I. ist einer der wenigen Monarchen der deutschen Geschichte, die gleich zweimal gekrönt wurden. Dennoch wissen selbst historisch Interessierte nur wenig von ihm und seiner Bedeutung für die jüngere deutsche Geschichte. Und das wenige, das die meisten zu wissen glauben, stellt sich bei näherer Betrachtung als Klischee oder gar falsch heraus. Doch der Reihe nach.

Geboren wurde der spätere König und Kaiser am 22. März 1797 – also vor 225 Jahren – in Berlin als Wilhelm Friedrich Ludwig von Preußen. Seine Eltern waren die Herzogin Luise zu Mecklenburg-Strelitz (die wenige Jahre später in der napoleonischen Zeit als Königin Luise zu einer Legende der Geschichte des Hohenzollernstaates wurde) und der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm, der nur wenige Monate nach Wilhelms Geburt zum König Friedrich Wilhelm III. wurde.

Wilhelms Leben war von klein auf geprägt von den Umbrüchen seiner Zeit – und der Zerbrechlichkeit des scheinbar so starken preußischen Staates. Schon als Neunjähriger musste der Prinz erleben, wie dieser Staat unter der Wucht der napoleonischen Eroberungszüge beinahe zerstört wurde. Mit seiner Mutter und den Geschwistern – darunter sein älterer Bruder, der spätere König Friedrich Wilhelm IV., und die Schwester Charlotte, die später als Gemahlin von Nikolaus I. die russische Zarin Alexandra Fjodorowna wurde – musste er unter höchst prekrären Umständen ins ostpreußische Memel fliehen. Auch wenn Preußen in den Befreiungskriegen schon bald wieder auferstand, blieb der Zusammenbruch für Wilhelm zeitlebens ein prägendes Erlebnis, das ihn an die drohende Vergänglichkeit auch der stärksten Mächte erinnerte.

Ausbildung zum Soldaten

Als zweitgeborenem Sohn seiner Eltern waren Wilhelm die späteren Ämter nicht in die Wiege gelegt. Stattdessen durchlief er wie viele Hohenzollernprinzen schon früh eine Soldatenlaufbahn im preußischen Heer. Mit zehn Jahren wurde der Prinz Fähnrich im 1. Garde-Regiment zu Fuß, und bereits im Alter von 17 Jahren begleitete er 1814 im Range eines Majors seinen Vater auf dem Feldzug gegen Napoleon. Auch wenn die hohen Beförderungen in jungen Jahren (1818 erhielt Wilhelm im Range eines Generalmajors das Kommando einer Gardeinfanteriebrigade) auf seine königliche Abstammung zurückgehen, war Wilhelm in militärischen Fragen zweifellos ein ausgewiesener Experte, der schon früh in jeder wehrpolitischen Debatte bestehen konnte. Dies brachte ihm freilich auch den Ruf ein, ein Militarist zu sein und – für sein Ansehen langfristig weitaus gefährlicher – von anderen, zivilen Fragen weitaus weniger zu verstehen. Doch wird diese Ansicht, die lange Zeit auch in der spärlichen Forschungsliteratur über Wilhelm gepflegt wurde, seinem Wesen und Wirken keinesfalls gerecht.

Spätestens als in den späten 1820er Jahren klar wird, dass die Ehe seines Bruders Friedrich Wilhelm IV. mit Elisabeth Ludovika von Bayern kinderlos bleiben würde, widmet sich Wilhelm zunehmend auch anderen Politikfeldern. Sein wichtigstes Anliegen ist die Wahrung der Interessen der Krone, wobei Wilhelm – etwa in Auseinandersetzungen mit seinem Bruder – angibt, im Interesse seines 1831 geborenen Sohnes Friedrich zu handeln. Bereits zuvor hatte er das vormalige Stadtpalais des Grafen Boguslav v. Tauentzien am Boulevard Unter den Linden erworben und durch Carl Friedrich Langhans zu einem eigenen repräsentativen Wohnsitz im Herzen der Monarchie ausbauen lassen. 1833 ließ er Karl Friedrich Schinkel und Peter Joseph Lenné in Potsdam Schloss und Park Babelsberg errichten. Beide Bauvorben können durchaus als Beleg seines Selbstbewusstseins verstanden werden.

Auch in dieser Zeit – lange vor den Revolutionstagen des März 1848 – ist die Monarchie als Staatsform auch in Preußen keineswegs mehr unumstritten. Die Julirevolution in Frankreich 1830 hatte die Herrschaft der Bourbonen beendet und den „Bürgerkönig“ genannten Louis Philippe von Orléans auf den Thron gehievt – für Wilhelm eine weitere Mahnung, dass die preußische Krone keineswegs unverrückbar ist und neben äußeren Mächten auch durch innere Umwälzungen gefährdet ist. Doch da er außer seinem Platz in der Thronfolge kein konkretes Staatsamt innehat, bleibt Wilhelm in diesen Jahren eine direkte Mitwirkung am politischen Geschehen verwehrt.

Prinz von Preußen

Das ändert sich mit dem Jahr 1840. Als Wilhelms Vater am 7. Juni stirbt, wird sein Bruder als Friedrich Wilhelm IV. neuer König von Preußen – und er selbst als Prinz von Preußen Thronfolger. Aus dieser Zeit sind zahlreiche Briefe und Denkschriften überliefert, die unzweifelhaft ein politisches Programm erkennen lassen und die bis heute vorherrschende Meinung, Wilhelm sei im Grunde kaum mehr als ein unpolitischer Soldat gewesen, eindeutig widerlegen. Wichtigste Bestrebungen des Prinzen von Preußen waren die Wahrung der Vorrechte der Krone nach innen und das Ziel, „an die Spitze Deutschlands“ zu treten, nach außen.

Als im März 1848 in Berlin die Revolution ausbricht, gilt Wilhelm damit in der Öffentlichkeit als Inbegriff und Kopf der Reaktion. Obwohl er kein einziges militärisches Amt innehat, gilt er als treibende Kraft hinter der Niederschlagung der Aufstände und muss die preußische Hauptstadt verlassen. Aufschlussreich ist, dass der Prinz von Preußen nicht etwa zu seiner Schwester und seinem Schwager nach Russland flieht, das damals als wichtigste Macht der reaktionären Kräfte galt, sondern in das Zentrum der liberalen Welt, nach Großbritannien. Schon von London aus schickt er Nachrichten nach Berlin, dass in seinen Augen die alte Welt dahin sei und nun etwas Neues entstehen müsse.

Dass dies keineswegs nur dahingesagt war, zeigt sich in den folgenden 1850er Jahren, die als „Reaktionsära“ in die Geschichte eingegangen sind. Kaltgestellt von seinem Bruder und dessen Umfeld um den Ministerpräsidenten Otto Theodor v. Manteuffel sowie die Brüder Ernst Ludwig und Leopold von Gerlach, die den Prinzen von Preußen zwar nicht aus der Thronfolge verdrängen, jedoch seine Versetzung nach Koblenz bewirken können, entwickelt sich Wilhelm in diesen Jahren zum Hoffnungsträger der Liberalen.

„Neue Ära“ für Preußen

Tatsächlich beginnt denn auch mit Wilhelms Übernahme der Regierungsgeschäfte eine „Neue Ära“ für Preußen. Als er 1858 Stellvertreter des gesundheitlich angeschlagenen Königs wird, beruft er das liberale Kabinett Karl Anton Fürst von Hohenzollern-Sigmaringen und leistet einen Eid auf die preußische Verfassung, was sein Bruder zuvor stets vermieden hatte. Damit erkennt Wilhelm die Verfassung als für die preußische Krone verbindlich an – und düpiert zugleich seinen Bruder, der trotz seiner Amtsunfähigkeit noch immer der Souverän im Staat ist.

Die Neue Ära endet jedoch schon bald wieder, als Wilhelm merkt, dass die vom Bürgertum geforderten Reformen zulasten der Vorrechte seiner Krone gehen. Zum großen Zerwürfnis kommt es ab 1859 in der Frage der Heeresreform und der damit verbundenen Kompetenzen für die Krone und das Parlament. Wilhelm „verschleißt“ in dieser Zeit mehrere enge Vertraute als Ministerpräsidenten und Minister, darunter Rudolf von Auerswald und Adolf zu Hohenlohe-Ingelfingen.

König und Kaiser

Zur Bekräftigung seiner Ansprüche auf eine unumschränkte Krone unternimmt Wilhelm in dieser Zeit auch einen ungewöhnlichen Schritt. Als 1861 Friedrich Wilhelm IV. stirbt, wünscht Wilhelm als neuer König wie seine Vorgänger die Erbhuldigung der preußischen Stände. Da diese in der Verfassung jedoch nicht vorgesehen ist, krönt sich Wilhelm am 18. Oktober 1861 in Königsberg als zweiter Hohenzoller selbst zum König.

Bewegung in den Heereskonflikt, der sich längst zum Verfassungskonflikt entwickelt hat, kommt erst mit der Berufung Otto v. Bismarcks zum Ministerpräsidenten. Allerdings anders als von den Liberalen erhofft. Mit provokanter Rhetorik und Chuzpe ignoriert Bismarck die Ablehnung der Heeresvorlage durch das Unterhaus des Parlaments und sagt nach der Zustimmung des Oberhauses, dass die Verfassung für diesen Fall keine Vorschrift enthalte („Lückentheorie“). Nach dem Triumph im Deutsch-Dänischen Krieg von 1864 freilich lässt Bismarck nachträglich das Heeresbudget bewilligen – womit der König und sein Ministerpräsident letztlich die Verfassung als auch für die Krone bindend anerkennen.

In den folgenden Jahren – Wilhelm steht inzwischen in der zweiten Hälfte seines siebten Lebensjahrzehnts – wird Bismarck ohne Zweifel zum zentralen Akteur preußischer und deutscher Politik. Er forciert den Dualismus mit Österreich bis hin zum Deutschen Krieg von 1866 und wird anschließend zum Architekten des Norddeutschen Bundes, der mit seiner Bundesverfassung und der dominierenden Rolle Preußens die eigentliche Staatsgründung bildet. Und 1870/71 dann wird Bismarck nach dem Deutsch-Französischen Krieg zum Architekten eines neuen deutschen Kaiserreiches – mit Wilhelm I. als Deutscher Kaiser als Staatsoberhaupt.

Herr und Diener

Über das Verhältnis zwischen Bismarck und Wilhelm ist seit Generationen viel geschrieben worden, zumeist in dem Duktus, dass Letzterer von dem zupackenden Bismarck zu den wichtigen Schritten jener Zeit getrieben wurde und selbst die Kaiserwürde eigentlich gar nicht wollte.

Doch auch wenn Wilhelm selbst in seinen späten Jahren einmal gesagt haben soll, dass es unter einem Kanzler wie Bismarck schwer sei, Kaiser zu sein, kann bei der Lektüre der Briefe, Denkschriften und Reden des Monarchen kein Zweifel daran bestehen, dass Bismarck bei allem strategischen Geschick in den großen Entwicklungslinien letztlich den Willen seines Königs und Herrn umsetzt. Deshalb auch lässt Wilhelm, der 1871 bei seiner Kaiserproklamation fast 74 Jahre alt ist und bei seinem Tod am 9. März 1888 fast 91 Jahre, Bismarck in der Ausgestaltung des politischen Tagesgeschäftes weitestgehend freie Hand.

Die Leistungen der Jahrhundertfigur Bismarck führen jedoch schon bald nach dessen Tod 1898 dazu, dass sich die historische Forschung zunehmend dem Architekten der Einheit zuwendet – während sein „Auftraggeber“ fast in Vergessenheit gerät. Während die Literatur zu Bismarck kaum noch zu überschauen ist, gab es zu Wilhelm lange Zeit kaum Arbeiten.

Letzteres immerhin ändert sich allmählich. Mit „Wilhelm I. Deutscher Kaiser – König von Preußen – Nationaler Mythos“ von Guntram Schulze-Wegener (Mittler Verlag 2015) sowie „Wilhelm I. Vom preußischen König zum ersten Deutschen Kaiser“ (Böhlau 2020) sind in den vergangenen Jahren gleich zwei Biographien erschienen, die versuchen, der historischen Bedeutung Wilhelms gerecht zu werden. Weitere Forschungen und Arbeiten in diesem Sinne sind nicht nur wünschenswert – sondern geradezu geboten.


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentare

Chris Benthe am 21.03.22, 09:01 Uhr

So stelle ich mir unterhaltsamen Wissenserwerb durch eine deutsche Wochenzeitung vor, unerreicht ! Danke für diesen überaus interessanten Artikel !

Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS