06.11.2024

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Geodäsie

Der „Nabel Europas“ wird fein gemacht

Am Nullpunkt der preußischen Landvermessung – Bund fördert Sanierung des Helmertturms in Potsdam mit 450.000 Euro

Silvia Friedrich
14.08.2023

Die Wellblechfassade ist verschwunden, Rost hat sich breitgemacht, das Betreten ist verboten. So desolat und unscheinbar zeigt sich dieses unter Denkmalschutz stehende Monument deutscher Wissenschaftsgeschichte heute den Besuchern des „Wissenschaftsparks Albert Einstein“ auf dem Potsdamer Telegrafenberg.
Vielleicht halten ihn manche sogar für einen rostenden Wasserturm. Wenn die über den idyllisch gelegenen Hügel am Rande Potsdams schlendernden Gäste nur ahnten, welch fundamentale Bedeutung dieses heute so jämmerlich ausschauende Bauwerk dereinst hatte, erstarrte so mancher sicher vor Ehrfurcht.

Die Rede ist vom sogenannten Helmertturm, den manche sogar als „Nabel Europas“ bezeichneten. Er wurde 1893 mit dem Meridianhäuschen und dem In­strumentenhaus eingeweiht und diente zusammen mit ihnen als Observatorium zur Vermessung von Erde und Weltall, offiziell als „Observatorium für astronomische und geodätische Winkelmessungen“ bezeichnet. Der Backsteinbau des ehemaligen Geodätischen Instituts wurde 1892 eingeweiht und erlangte durch die hier betriebene Forschung weltweite Bekanntheit und Berühmtheit.
Hier wurde von 1898 bis 1904 der Potsdamer Wert für die Erdanziehungskraft gemessen, der sogenannte „Potsdamer Schwerewert“. Dieser galt von 1909 bis 1971 als internationaler Referenzwert. Heute befindet sich im Haus die Bibliothek des Wissenschaftsparks und eine Satelliten-Arbeitsgruppe des DeutschenGeoForschungsZentrums (GFZ).

Der Helmertturm mit Drehkuppel diente der Fernmessung geodätischer Winkel und war der Nullpunkt der preußischen Landvermessung des damaligen Preußischen Geodätischen Netzes. Wonach richtete man sich, wenn man vor 1870 ein Stück Land vermessen wollte? Beliebige Nullpunkte führten zu Grenzstreitigkeiten, nicht nur zwischen Personen, sondern auch zwischen Staaten. „Wer immer zwischen 1870 und 1950 ein Stück Land vermessen wollte, hatte sich am Helmert-Turm zu orientieren“, heißt es auf der Schautafel vor dem Bauwerk, und weiter: „So wie Greenwich der Bezugspunkt für die Zeit ist, war der Helmert-Turm der Bezugspunkt für den Raum.“
„Zur Wende ins 20. Jahrhundert wurde Potsdam zum Weltzentrum für die wissenschaftliche Geodäsie“, sagte Johannes Ihde vom Bundesamt für Kartographie und Geodäsie in Frankfurt am Main in seinem Vortrag „Monument mit Vermessungsgeschichte“ über den Helmertturm. „Diese Entwicklung“, so Ihde, „fiel in eine wissenschaftliche Glanzzeit Deutschlands, in der die wissenschaftlichen Ergebnisse maßgeblich aus dem deutschsprachigen Raum geprägt waren.“

Wegweisend im Bereich der Erdvermessung damals war Friedrich Robert Helmert, der 1843 in Freiberg/Sachsen geboren wurde und 1917 in Potsdam an den Folgen eines Schlaganfalles verstarb. Als Wegbereiter der modernen Geodäsie verband er deren Erkenntnisse mit denen anderer Geowissenschaften. Er initiierte auch den Bau des Geodätisch-Astronomischen Observatoriums. Helmert war von 1886 bis 1917 Direktor des Geodätischen Instituts. 1924 bekam der Turm auf Grundlage eines Beschlusses des Beirates für das Vermessungswesen den Namen des Wissenschaftlers verliehen, ohne dessen Forschung auch die Raumfahrt später nicht möglich gewesen wäre.
Forscher des Zentralinstituts für Physik der Erde der DDR-Akademie der Wissenschaften nutzten in den 1970er Jahren den Turm, um von dort mittels Fernrohr und Laserteleskop Satelliten anzupeilen. Nachdem 2008 das Teleskop demontiert worden war, zerfiel das Bauwerk ungenutzt. Die Stahlkonstruktion musste saniert und die fehlende Wetterschutzhülle ersetzt werden. Damit dieses Monument der Nachwelt erhalten bleibt, machte sich schon vor Jahren die Stiftung Denkmalschutz durch Spendenaufrufe für dessen Restaurierung stark. Durch die Spenden und eine Zuwendung der Pietschker-Neese-Stiftung kamen mehr als 100.000 Euro zusammen. Das war jedoch nur ein Zehntel des benötigten Geldes.

Der Antrag des GFZ an den Bundestag zur Sanierung des Turms wurde mit einer Empfehlung der Potsdamer Bundestagabgeordneten und Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis90/Die Grünen) eingereicht. Das Kulturstaatsministerium teilte mit, dass der Haushaltsausschuss des Bundes nun 450.000 Euro zur Sanierung vergeben habe. Die Mittel stammen aus dem Denkmalschutz-Sonderprogramm des Bundes.
Sogar als „Mekka der Geodäten“ wurde der Helmertturm bezeichnet. Ob nun „Nabel Europas“ oder „Mekka“ der vermessenden Wissenschaftler – dieses Wahrzeichen der Technik- und Geoforschungsgeschichte wird vielleicht schon Ende 2024 wieder der Öffentlichkeit zugänglich sein und nicht nur durch Ausstellungen locken, sondern von dem 15 Meter hohen Turm einen phänomenalen Blick über den Telegrafenberg und Potsdam bieten.Silvia Friedrich


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