23.10.2024

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Gesellschaft

Der „Nörgler“ als Feindbild

Wer allzu viel Unzufriedenheit äußert, wird schnell als randständig, ja verwirrt in die Ecke gestellt

Wolfgang Kaufmann
21.10.2024

Das Wort „nörgeln“ fand Ende des 17. Jahrhunderts den Weg aus dem Mitteldeutschen ins Hochdeutsche. Allerdings dauerte es dann noch bis 1965, ehe der Bundesgerichtshof genau definierte, wann man aus juristischer Sicht von „Nörgelei“ sprechen könne, wobei dies nicht zufällig im Zusammenhang mit einem Ehescheidungsverfahren geschah: Nörgeln sei „unberechtigtes Herumkritisieren“, das sich auf keine sachlichen Prinzipien und Gründe stütze und in der Regel aus einem „wesenhaften Unvermögen“, also der „nörgelnden Art“ eines Menschen resultiere. Zwölf Jahre später führte die Reform des Scheidungsrechts dazu, dass die Gerichte nicht mehr darüber befinden mussten, wann das Herumgenörgel eines der beiden Partner die Auflösung der ehelichen Gemeinschaft rechtfertigt.

Bald darauf erlebte die populärwissenschaftlich-psychologische Literatur, welche zahlreiche Ratschläge zur Bekämpfung der Veranlagung zum Nörgeln bot, einen gewaltigen Boom. Allerdings ohne großen Erfolg: Es wurde nicht nur im Privaten weiter genörgelt, sondern auch im Arbeitsleben und im Umgang mit dem Staat. Der Pionier der Soziologie Max Weber hat einmal geschrieben, dass die staatliche Bürokratie der Idealtypus einer legalen und rationalen Herrschaft sei. Schaut man sich das Verwaltungs- und Regierungshandeln hierzulande an, so scheint Weber freilich komplett falsch zu liegen.

„Psychopathische Persönlichkeit“
Was dann wiederum erklärt, warum man die Begriffe „Staatsbürger“ und „Nörgler“ heute oft gleichbedeutend verwenden kann. Denn genörgelt wird logischerweise vor allem dann, wenn eine sachliche, auf Argumente gestützte Kritik ins Leere läuft, weil Politiker und hohe Beamte voller Sturheit darauf beharren, keine Fehler zu machen.

Anstatt von diesem hohen Ross herabzusteigen, entscheidet sich der Staat lieber dafür, die von ihm selbst herangezüchteten „Meckerer“ nach Kräften zu stigmatisieren, wobei die Einführung des neuen „Phänomenbereiche“ der „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“ nur das vorläufige Ende einer langen Entwicklung ist, in deren Verlauf die weniger handzahmen Bürger immer wieder verbal niedergemacht wurden.

So beispielsweise in einem früheren Urteil des Bundesdisziplinarhofes, das an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt: Wer permanent Unzufriedenheit mit der Obrigkeit äußere, sei oft ein Mensch, „der in egozentrischer Einstellung stets glaubt, allein im Recht zu sein, während alle anderen Unrecht tun. Er sieht immer und überall jeden auch noch so kleinen Mangel, wertet ihn auf und greift ihn mit kämpferischem Fanatismus und unter Benutzung abseitiger und herbeigeholter Argumente an. Er ist in dieser Art eine abnorme psychopathische Persönlichkeit, ohne dass diese charakterologische Abartigkeit Krankheitswert hat oder sich als Geistesschwäche werten lässt.“

Dem lässt sich freilich entgegenhalten, dass die Unterstellung, es gebe Argumente, welche von vornherein komplett indiskutabel seien, ebenfalls nicht gerade von intellektueller Brillanz zeugt.


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Kommentare

Peter Wendt am 17.10.24, 14:25 Uhr

Ein in sich ruhender und erfolgreicher Politiker empfindet Kritik nicht als Angriff sondern als Anregung, eine Art Lackmus Test der eigenen Fähigkeiten. Wo es jedoch an Talent und Wissen, im schlimmsten Fall an beidem fehlt, entsteht Ignoranz und im späteren Stadium Hass und Unrecht.

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