24.09.2024

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Vom Lycker Rathaus, 1912 als Kreishaus erbaut, startete Dziadek die Hindenburgsäule von Lyck (o.l.)
Foto: Ath29/WikipediaVom Lycker Rathaus, 1912 als Kreishaus erbaut, startete Dziadek die Hindenburgsäule von Lyck (o.l.)

Ermland-Masuren

Der ostpreußische Hindenburg-Läufer

Franz Dziadek lief nach Berlin, weil Reichspräsident Paul von Hindenburg nicht nach Lyck zum Jubiläum kommen konnte

Jürgen Ehmann
24.09.2024

Gestern wurde der ostpreußische Ausnahmeläufer Frank Dziadek, der vor sechs Tagen in Lyck gestartet war und die Strecke nach Berlin im Dauerlauf zurückgelegt hatte, vom Reichspräsidenten feierlich empfangen. Der ostpreußische Läufer überreichte hierauf dem Reichspräsidenten die Ehrenurkunde der Stadt Lyck, welche die Stadt aus Anlass ihrer 500-Jahrfeier dem Reichspräsidenten entsandt hatte. Reichspräsident Paul von Hindenburg sprach dem ostpreußischen Läufer seine Hochachtung vor dessen einmaligen Sportleistung aus und überreichte ihm im Gegenzug wie dem gleichfalls empfangenen deutschen Marathonmeister Paul Hempel sein Bild mit eigener Unterschrift.“ So oder so ähnlich lautend war eine sensationelle Nachricht Mitte Oktober im Jahr 1925 in vielen deutschen Zeitungen zu lesen. Eine aus heutiger Sicht bemerkenswerte Geschichte.

Umso überraschender, dass kaum jemand heute noch davon weiß. Und auch den Hauptprotagonisten Frank Dziadek sucht man im Internet vergeblich. Selbst im digitalen Online-Lexikon Wikipedia ist unter diesem Namen kein Eintrag zu finden. Umso wichtiger, dass die PAZ sich dieser bemerkenswerten Geschichte, die ebenso kurios, aufregend wie außergewöhnlich ist, an dieser Stelle einmal annimmt. Denn diese Geschichte ist es wert, erzählt und gelesen zu werden. Eben weil sie nicht alltäglich ist. Ein Mann läuft von Lyck nach Berlin, um dem Reichspräsidenten zu begegnen. So weit, so gut. Aber wie kam es überhaupt zu diesem ebenso außergewöhnlichen wie ehrenwerten Marathonlauf?

Dem hochverehrten Ehrenbürger
Die Kreisstadt Lyck, im ostpreußischen Landkreis Lyck im Bereich der Lycker Seenplatte gelegen, plante vor knapp
100 Jahren, am 11. Oktober 1925, ihr 500-jähriges Bestehen sowie die Einweihung des neuen Rathauses in Anwesenheit ihres Ehrenbürgers, Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, zu feiern. Einladungen wurden verschickt, aber leider erhielt man vom damaligen Reichspräsidenten eine Absage aus terminlichen Gründen.

Auf Anregung des im Herbst 1917 gegründeten Sportvereins „Masovia“ beschlossen jedoch Magistrat und Festausschuss von Lyck, aus Anlass des Festes eine vom Architekten Lotz gestaltete Treuedankurkunde durch den Langstreckenläufer Dziadek nach Berlin zu senden. Getreu dem Motto: „Kommt der Reichspräsident nicht zu uns, dann kommen wir eben zu ihm“. Die besagte Urkunde enthielt folgenden Text: „Unserm hochverehrten Ehrenbürger, Herrn General-Feldmarschall von Hindenburg, dem Befreier der Stadt Lyck von der Russenherrschaft, erlauben wir uns aus Anlass unserer 500-Jahrfeier die Liebe, Dankbarkeit und Verehrung seiner Mitbürger von Lyck hierdurch zum Ausdruck zu bringen. Wir hoffen, dass Sie, Herr Feldmarschall, als Schirmherr jedweder Ertüchtigung deutscher Jugend an der mit der Überreichung dieser Schrift verknüpften sportlichen Leistung Freude finden werden. Lyck, am 11. Oktober 1925. Die städtischen Körperschaften der Stadt Lyck. Seidel, stellv. Bürgermeister. Kalweit, Stadtv.-Vorsteher.“

Der am 17. September 1899 in Oberschlesien geborene Franz Dziadek, seit seiner Jugendzeit ein begeisterter Kurz- und Langstreckenläufer und aktiv in der Sportvereinigung Masovia tätig, lief im Herbst 1925 zu einem Fußballwettspiel zum 200 Kilometer entfernten Königsberg. So war es nicht verwunderlich, dass Dziadek auch für diesen Lauf nach Berlin den Offiziellen geradezu prädestiniert erschien. Am 5. Oktober 1925, Montagvormittag um 9 Uhr, versammelten sich im neuen Lycker Rathaus die Vertreter des Magistrats, des Stadtparlaments und einige Mitglieder des Festausschusses, in deren Gegenwart Dziadek vom stellvertretenden Bürgermeister Stadtrat Seidel die Urkunde überreicht bekam. Nach einigen gemachten Fotos und seiner Verabschiedung von der Familie startete der Sportler um 9.30 Uhr am Rathaus, von einem Radfahrer begleitet, Richtung Berlin. In den an der Strecke liegenden Städten – unter anderem führte ihn die Laufroute über Allenstein, Schneidemühl, Landsberg, Küstrin, Müncheberg und Dahlwitz – wurde er von den jeweiligen Sportvereinen und Stadtbewohnern begeistert empfangen. Den polnischen Korridor durchquerte er mit einem von Deutsch-Eylau abfahrenden D-Zug.

Am 10. Oktober traf Dziadek schließlich nach rund 650 gelaufenen Kilometern in Begleitung des deutschen Marathonmeister Paul Hempel, der ihn auf dem letzten Teil der Strecke begleitete, in Berlin ein. Reichspräsident Hindenburg empfing die beiden am 11. Oktober, erhielt von Dziadek die speziell angefertigte Urkunde überreicht und sprach ihm seine Hochachtung über dessen außergewöhnliche Leistung aus. Die zwei Sportler erhielten jeweils ein Bild von Reichspräsident Hindenburg mit dessen eigener Signatur. Eine Ehre, die in den damaligen Zeiten von größter Bedeutung und von ebenso großer Wertschätzung war.

Den Beweis antreten
Nach diesem in der Presse veröffentlichten Ereignis tauchten bald „in der Öffentlichkeit Gerüchte auf, bei diesem Lauf nach Berlin sei nicht alles korrekt und mit rechten Dingen zugegangen. Um dem Gerede ein Ende zu machen, sollte Dziadek in einem „Lauf der Offenbarung“ sein Können beweisen. Ihm wurde die Wahl der Strecke freigestellt.“ An dem 180 Kilometer langen, von Allenstein über Wartenburg, Bischofsburg, Sensburg, Nikolaiken, Arys nach Lyck führenden Straßenlauf nahmen Franz Dziadek, Carius vom SV Allenstein 1910, Wagner und Hildebrandt vom PSV (vermutlich Elbing) und ein fünfter, namentlich nicht genannter Läufer teil, welcher den im „Ostpreußenblatt“, 6. August 1966, Folge 32 veröffentlichten Artikel verfasste. „Jedem Läufer wurde ein neutraler Radfahrer als Kontrolleur beigeordnet. Erlaubt war, unterwegs beliebig oft und lange zur Erholung zu pausieren. Sieger sollte sein, wer unter diesen Bedingungen zuerst in Lyck ankam.“

Die fünf Sportler starteten Samstagmittag um 12 Uhr vor dem Rathaus in Allenstein gemeinsam mit ihren Rad fahrenden Kontrolleuren. Nachdem die beiden PSV-Läufer und dann auch Carius aufgaben, stieg zu guter Letzt ebenso Dziadek vor dem letzten Drittel der Strecke aus. Als Einziger erreichte der namentlich nicht genannte Läufer am nächsten Tag um 15.30 Uhr das Ziel – die Kreisstadt Lyck. Erwähnt werden soll auch die Laufstrecke Berlin–Wien über Zittau in der Oberlausitz, wo Franz Dziadek einen Zwischenstopp einlegte und feierlich empfangen wurde. 1927 startete er vom Tannenberg-Denkmal zu einem weiteren Dauerlauf nach Berlin und überbrachte dem Reichspräsidenten eine Botschaft der ostpreußischen Bevölkerung.
Am 1. Oktober 1928 startete der Hindenburg-Läufer bei regnerischem Wetter um 10.32 Uhr vom Brandenburger Tor in Berlin zu einem „Hindenburglauf rund um die Erde“. Zum Abschied hatten sich zahlreiche Sportleute eingefunden. Den Titel „Hindenburg-Läufer“ durfte Dziadek offiziell mit Genehmigung des Reichspräsidenten führen.

Ein Lauf rund um die Erde
Zahlreiche Zeitschriften der Weimarer Republik berichteten von diesem Ereignis. Die Strecke sollte über Potsdam und Magdeburg durch Thüringen nach München führen. Als weitere Etappen waren Wien, Budapest, Konstantinopel, Kairo, Jerusalem, Teheran, Afghanistan, Australien und der nordamerikanische Kontinent geplant. Im Oktober 1929 wollte Dziadek wieder in Berlin eintreffen.

Einige Zeitschriften wie beispielsweise die „Rhein- und Ruhrzeitung“ vom 4. Oktober 1928 zweifelten aber über das Gelingen des Vorhabens. Andere Zeitschriften berichteten Ende Oktober 1928 sogar über einen angeblichen Hindenburg-Läufer Dziadek, der in mehreren Städten seine Hotelrechnung nicht bezahlt habe. Außerdem habe laut Mitteilung eines Berliner Korrespondenzbüros nach Informationen des Büros des Reichspräsidenten Dziadek überhaupt keine Ermächtigung vom Reichspräsidenten, sich Hindenburg-Läufer zu nennen.

Bei Olympia 1936 nicht zugelassen
Neben den nachredenden Neidern lobten hingegen viele andere deutsche Zeitungen Ende Oktober und Anfang November 1930 einige Läufer in den höchsten Tönen. „In letzter Zeit leisteten bekanntlich Hervorragendes Peltzer, Nurmi und Dziadek, der 1925 von Lyck nach Berlin in sechs Tagen bei Regen, Gewitter und Hagel drei Paar Schuhe zerlief und täglich 150 km zurücklegte, um dem Reichspräsidenten eine Ehrenurkunde zu überbringen.“

Doch neben den ruhmreichen Laufleistungen führte der Ausnahmeathlet ein ganz normales, ein sehr bescheidenes und ebenso beschauliches Leben. Mit der seit 1920 verheirateten Marie Janzik bekam Dziadek fünf Kinder und zog 1929/1930 nach Plowczen, das 1938 in Plötzendorf umbenannt wurde, wo er als Tischler in einer eigenen Werkstatt, die in einer Scheune untergebracht war, arbeitete. Mit seiner Familie lebte er bis zum Kriegsende am Fuße des 205 Meter hohen Plötzendorfer Berges, der höchsten Erhebung des Kreises Lyck. Mit seinen Kindern trainierte er auf Feldwegen und lief mit ihnen querfeldein, über Stoppelfelder, Schlaglöcher und Steine, um auch sie für den Ausdauerlaufsport zu begeistern. In dieser Umgebung bereitete er sich darüber hinaus auf die Marathonteilnahme bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin vor, zu welcher er sich beworben hatte. Leider wurde er von der obersten Sportbehörde nicht zur Teilnahme am Wettbewerb zugelassen. Die Gründe für diese überraschende Entscheidung sind bis heute unbekannt.

Vermutlich beendete Dziadek um 1938 sein sportliches Engagement und damit seine Ausdauerlauferei. Im Krieg wurde er an beiden Beinen verwundet. Nach seiner Kriegsgefangenschaft verschlug es ihn in die heutige Tschechische Republik (ehemalige ČSSR), wo er letztendlich am3. Juni 1977 bei Ostrava verstarb.

Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle der Tochter von Franz Dziadek, Edeltraut Przyborowski, für ihre wertvollen Informationen, die bisher vermutlich niemandem bekannt waren.


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