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Friedrich Wilhelm IV.

Der Preußenkönig, der in einer anderen Welt lebte

Der vor 225 Jahren geborene kunstsinnige Herrscher setzte auf Romantik und idealisierte die Vergangenheit

Erik Lommatzsch
13.10.2020

Der Dichter Friedrich von Hardenberg, besser bekannt unter dem Namen Novalis, war der Ansicht: „Die Welt muss romantisiert werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder ... Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, romantisiere ich es.“

Schriftstellern, Malern und Musikern war ein solches Denken im ausgehenden 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Orientierung, aber auch Philosophen und Staatsmännern. Prominenter Vertreter, das Künstlerische sowie das Politische in seiner Person vereinigend, war Friedrich Wilhelm IV., der 1840 König von Preußen wurde. Seit der Theologe David Friedrich Strauß ihn 1847 als „Romantiker auf dem Thron“ apostrophiert hatte, wurde das Schlagwort vielfach aufgegriffen. Es dürfte ein entscheidender Schlüssel für das Verständnis des Hohenzollern-Herrschers sein, der vor 225 Jahren, am 15. Oktober 1795, als erster Sohn der späteren, vor allem von der Nachwelt verehrten und noch mehr verklärten Königin Luise in Berlin geboren wurde.

Gegen eine gesetzlich festgeschriebene Mitsprache des Volkes und natürlich gegen den Umsturz stellte sich Friedrich Wilhelm IV. nachdrücklich. Im Zuge der 48er Revolution kam er nicht umhin, Zugeständnisse zu machen. Dass er sich vor den Särgen der toten Barrikadenkämpfer, der „Märzgefallenen“, verneigen und sich auf einem „Umritt“ mit einer schwarz-rot-goldenen Armbinde zeigen musste, empfand er als Demütigung. Er gewährte widerstrebend eine „oktroyierte“ Verfassung, die nun zwar zu einer konstitutionellen, aber immer noch starken Monarchie führte.

„Romantiker auf dem Thron“

Vieles in seinen Äußerungen wurde auch vom engsten Umfeld als wenig nachvollziehbar, widersprüchlich und wankend empfunden. Bezeichnend war seine Neutralitätspolitik im Krimkrieg. Zwar erwies diese sich im Nachhinein durch glückliche Umstände als vorteilhaft für Preußen und die kleindeutsche Lösung der deutschen Frage unter preußischer Leitung (siehe PAZ vom 28. August). Die Zeitgenossen jedoch hatten eine eindeutige Positionierung des Königs erwartet. Der „völlige Verlust seiner Reputation in Europa“ sei Folge dieser Politik gewesen, so der Historiker Winfried Baumgart.

Am 2. Januar 1861 ist Friedrich Wilhelm IV. gestorben. Sein Bruder und Nachfolger auf dem Thron, der spätere erste Deutsche Kaiser Wilhelm I., hatte ihn vorher bereits seit Oktober 1857 als Prinzregent vertreten. Der Grund für die konstatierte Regierungsunfähigkeit Friedrich Wilhelms IV. war „geistige Umnachtung“.

Schon lange vor den Jahren der „Umnachtung“, nämlich von frühester Jugend an, hatte der „Romantiker auf dem Thron“ ein ganzes Stück weit in seiner eigenen Welt gelebte. Stark beeinflusst wurde er von seinem Erzieher Jean Pierre Frédéric Ancillon. Die Werke des Schriftstellers Friedrich de la Motte Fouqué soll er verschlungen haben. Idealisierte Mittelalterwelten, poetische Fantasien, das Mystische und Märchenhafte waren für ihn zeitlebens Richtschnur. Zum Regenten eines bedeutenden europäischen Staates seiner Zeit war er nicht geboren. Sein Freund Christian Karl Josias von Bunsen hatte ihn gewarnt, er möge „sich hüten, nicht als ein Alterthumskünstler angesehen zu werden, statt als König und Gesetzgeber des Jahres 1848 oder 1850 aufzutreten und die Sprache des Jahrhunderts zu sprechen“.

Dem Zeichnen und vor allem der Architektur gehörte sein Interesse. Seinen romantischen Neigungen folgend, machte er sich für den Wiederaufbau der Burg Stolzenfels stark und für die Restaurierung der Marienburg, ebenso verwendete er sich für die Vollendung des Kölner Doms. In Form von Skizzen beteiligte er sich an der Gestaltung seiner Sommerresidenz „Charlottenhof“, ebenso am Entwurf der „Friedenskirche“ im Schlosspark von Sanssouci, die er zu seiner Grablege bestimmte. Aus der Kronprinzenzeit Friedrich Wilhelms IV. stammt ein Romanfragment, das aber erst 1997 unter dem Titel „Die Königin von Borneo“ veröffentlicht wurde.

Frank-Lothar Kroll, Preußen-Kenner und Verfasser zahlreicher Studien über Friedrich Wilhelm IV., hat herausgearbeitet, dass die romantische Grundierung auch an den – erstrebten, aber kaum umsetzbaren – politischen Konzeptionen des Königs ablesbar ist. In der deutschen Frage erfolgte die Ausrichtung am geschichtlich Gewachsenen, an regionalen Eigenheiten, Freiraum sollte gewährt werden. Die Einheit der Nation wurde bejaht, durch „Wiedererrichtung eines die ganze Nation politisch zusammenfassenden Kaisertums“.

Statt auf eine geschriebene Verfassung setzte der König auf ein ständisches Modell, eine Gemeinschaftsordnung „auf der Grundlage einer von Vertrauen, Freundschaft und Liebe zwischen Fürst und Volk beruhenden Wechselwirkung aller Staatsglieder und unter Berücksichtigung der historischen Rechte korporativer Zwischengewalten“. Außenpolitisch erstrebte er eine „ideelle Gesinnungseinheit der christlichen Monarchien“, zurückgehend auf den Ursprungsgedanken der Heiligen Allianz von 1815.

Unterschätzter politischer Verstand

Tief verwurzelt war die Vorstellung vom Gottesgnadentum. Bereits Novalis hatte den Monarchen als „höhergeborenen Menschen“ bezeichnet. Friedrich Wilhelm IV. äußerte 1844: „Es gibt Dinge, die man nur als König weiß, die ich selbst als Kronprinz nicht gewußt und nun erst als König erfahren habe.“ 1849 schrieb er, „die Revolution ist das Aufheben der göttlichen Ordnung, das Verachten, das Beseitigen der rechten Obrigkeit“. Die Ablehnung der Kaiserkrone, die ihm im April 1849 von einer Deputation der Frankfurter Nationalversammlung, also durch das „Volk“ angeboten wurde, stand für ihn außer Frage. Sie galt ihm als „Lumpenkrone der Paulskirche“ oder „Hundehalsband“, mit dem er an die Revolution gekettet werden sollte.

Aufgrund seiner Schwärmerei wurde der durchaus vorhandene politische Verstand Friedrich Wilhelms IV. unterschätzt. So findet sich in Plänen zur künftigen Gestaltung des „Deutschen Reiches“ aus den Jahren 1848/49 das Amt eines preußischen „Reichserzfeldherrn“. Der Geschichtsschreiber Leopold von Ranke bemerkte dazu 1873, Friedrich Wilhelm IV. habe damit eine „oberhauptliche Autorität Preußens“ im Auge gehabt. „Nur erschien das alles in Formen, an denen Reminiscenz und Phantasie so vielen Antheil haben, daß die Idee unverständlich für die Mitlebenden blieb.“


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